Das Zeitalter der Industrie

Vom Bauern zur
industriellen Landwirtschaft

Über Jahrtausende stellte die wachsende Menschheit ihre Nahrungsmittelversorgung vor allem durch eine Ausweitung des Acker- und Weidelands sicher. Mit der wissenschaftlich-technischen Basis der Industriellen Revolution änderte sich dies: Kunstdünger, Maschinen und Züchtungserfolge führten zu einer hoch technisierten, industriellen Landwirtschaft mit enormen Erträgen.

Industrielle Landwirtschaft: Foto eines Mähdreschers

Mähdrescher: Die Mechanisierung der Landwirtschaft begann in Deutschland erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Foto: Benno Bartocha, Deutsches Bundesarchiv. Aus wikipedia, >> Agrargeschichte  (abgerufen 10.5.2010), Lizenz: >> c.c 3.0

Während die wissenschaftlich-technische Revolution in der Industrie zur >> Industriellen Revolution führte, änderte sich in der Landwirtschaft zunächst wenig. 1798 hatte der englische Pfarrer und Ökonom Thomas Robert Malthus in seinem “Essay on the Principle of Population” einen Zusammenhang zwischen Bevölkerung und Nahrungsmittelproduktion erkannt. Da die Bevölkerungszahl exponentiell wachse und daher schneller steigen könne als die Erzeugung von Nahrungsmitteln, sah er weitere Hungersnöte voraus, wenn die Menschheit diesen nicht vorbeuge, etwa durch spätere Heirat und Geburtenkontrolle. Malthus’ Voraussage sollte sich nicht bewahrheiten: Der landwirtschaftliche Ertrag stieg durch die weitere Ausdehnung der landwirtschaftlichen Fläche, sei es durch Umwandlung weiterer Wälder (wie in England), das Trockenlegen von Feuchtgebieten (wie in Italien) oder den verstärkten Anbau von Nahrungsmitteln in den Kolonien und ehemaligen Kolonien: Dort gab es viel Land, aber wenige Menschen. Als in der Folge der Hungersnot in Irland Mitte des 19. Jahrhunderts (>> mehr) eine Millionen Menschen auswanderten, trugen sie zu einer Massenbewegung bei, die ab 1840 insgesamt 50 bis 60 Millionen Europäer in die neue Welt (Amerika, Australien, Neuseeland) und nach Russland brachte. Dort fanden sie unter anderem beim Bau der Eisenbahnen Arbeit, die die Grasländer erschlossen. So konnte etwa in den Prärien des Mittleren Westen der USA, in Argentinien und Australien Getreide angebaut werden, das mittels Eisenbahnen an die Küste transportiert und von dort mit Dampfschiffen nach England gebracht wurde. Die industrielle Revolution nutzte der Landwirtschaft also zuerst indirekt: Sie profitierte von den Transportmöglichkeiten durch Eisenbahn und Dampfschiff. Um 1700 waren weniger als drei Prozent der Landfläche Ackerland, bis 1850 hatte sich dieser Anteil verdoppelt, und bis 1940 verdoppelte er sich noch einmal. (Das letzte große Projekt zur Ausweitung des Ackerlands in den gemäßigten Klimazonen war Chruschtschows Neulandprojekt von 1954 bis 1960, mit dem er Teile der russischen und kasachischen Steppe unter den Pflug nehmen ließ – die Gebiete erwiesen sich als untauglich für den Weizenanbau, heute liegen sie zum größten Teil brach.)

Mit der Verbesserung der Transportmöglichkeiten wurden “Kolonialwaren” vom Luxus- zum Massengut; Zucker, Kaffee, Tee und Kakao wurden in immer größerem Maßstab angebaut und verbraucht. Von den Kolonialmächten wurden diese gefördert, nach der Theorie der “komparativen Kostenvorteile” (>> hier) hätten auch die Exportländer von einer Teilnahme am Welthandel profitieren sollen; tatsächlich sollten viele Volkswirtschaften später unter der Spezialisierung auf wenige Exportprodukte leiden (>> mehr). Mit der Entwicklung der Kühl- und Gefriertechnik vervielfachten sich die Möglichkeiten noch einmal: Jetzt konnten auch Fleisch und Milchprodukte und empfindliche Obstsorten um die Welt transportiert werden. Der erste gekühlte Fleischtransport fand 1875 (von New York nach London) statt, in den 1890er Jahren wurden Butter und Käse aus Neuseeland nach England gebracht. Im Jahr 1901 fand der erste Bananentransport von Jamaica nach England statt. Vor allem England importierte immer mehr Nahrungsmittel, um seine mit der Industrialisierung wachsende Bevölkerung (>> mehr) zu ernähren: Anfang des 19. Jahrhunderts importierte England 80 Prozent seines Getreides, 65 Prozent seiner Früchte und 40 Prozent seines Fleisches.

Zusätzlich zur Erzeugung von Nahrungsmitteln wurden auch zunehmend Rohmaterialien für die Industrien angebaut: In den USA breitete sich zum Beispiel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Baumwollanbau aus; Sisalagave (Fasern für Seile etc.), Kautschukbäume (zur Gummiherstellung) und Ölpalmen (Palmöl als Schmiermittel und zur Margarineherstellung) wurden weitere wichtige Kulturen. Der Anbau sowohl von Nahrungsmitteln als auch von Rohstoffpflanzen führte zu einer erneuten Zunahme der Sklaverei, etwa für den Baumwollanbau in den USA, als auch zur Abhängigkeit ganzer Staaten von Lebensmittelkonzernen – die Abhängigkeit mittelamerikanischer Staaten von der amerikanischen United Fruit Company führte zur Wortschöpfung “Bananenrepubliken”. Aber auch anderswo orientierten die Kolonialstaaten den Anbau an ihren Bedürfnissen: Zucker in der Karibik, Tee in Indien und Sri Lanka (“Ceylon”), Kautschuk in Malaysia, Reis in Burma und Vietnam, Kaffee in Indonesien und später Brasilien, Kakao in Brasilien und Ghana, Palmöl in Westafrika und Südostasien. Die einheimische Landwirtschaft, die zur Eigenversorgung mit Lebensmitteln diente, wurde dabei oftmals zerstört; Bauern – wo sie nicht gleich versklavt wurden – oft mit Kopfsteuern dazu gezwungen, als Lohnarbeiter auf den Plantagen zu arbeiten.

Auf Kosten natürlicher Ökosysteme

Die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Laufe der menschlichen Geschichte ging zu Lasten natürlicher Ökosysteme. Acker- und Weideland entstand auf Flächen, auf denen zuvor artenreiches Wald-, Busch- oder Savannenland zu finden war. Genaue historische Daten hierzu sind kaum zu finden; nicht einmal heute kann die Waldvernichtung genau gemessen werden (>> hier). Aber das Ergebnis ist bekannt: Mehr als 48 Millionen Quadratkilometer, mehr als ein Drittel der überhaupt bewachsenen Erdoberfläche, werden heute landwirtschaftlich genutzt: 15 Millionen Quadratkilometer als Ackerland, der Rest als Weideland. Diese 15 Millionen Quadratkilometer Ackerland waren zuvor meist Wälder (>> mehr), auf diesen Flächen stehen heute nur noch wenige domestizierte Arten. Der Mensch nutzt inzwischen über 40 Prozent der biologischen Produktion der Erde für sich (siehe >> unten). Diese Flächennutzung und diese Aneignung der biologischen Produktion sind wesentliche Ursachen des >> Rückgangs der Artenvielfalt. Außerdem gehen mit den natürlichen Landschaften die Dienstleistungen der Ökosysteme verloren, etwa die Funktion der Wälder für den Wasserhaushalt.

Auf der anderen Seite leidet die landwirtschaftliche Nutzfläche heute selber unter einem neuen, mächtigen Konkurrenten bei der Landnutzung – der Industriegesellschaft: Neue Bau- und Industriegebiete sowie Verkehrswege werden oft auf landwirtschaftlichen Flächen angelegt – 25 Millionen Autos in China bedeuten 500.000 Hektar Straßen und Parkplätze (siehe auch >> unten auf dieser Seite).

Die Industrialisierung der Landwirtschaft

Ende des 19. Jahrhunderts löste ein Ende der Ertragssteigerungen in den USA eine Panik aus: Ohne reichliche, preiswerte Nahrungsmittel fürchtete die Regierung ein Ende der Industrialisierung. Es wurde ein Landwirtschaftsministerium geschaffen, dass die Versorgung sicherstellen sollte; und dieses begann unter anderem mit dem Bau von Staudämmen und Bewässerungskanälen (>> hier), baute das Eisenbahnnetz weiter auf, um die “Salatschüssel” Kalifornien, die Getreideanbaugebiete und die Rinderweiden des Westens mit den Verbrauchern zu verbinden. An Forschungsinstituten und Universitäten begann die wissenschaftliche Pflanzenzüchtung, im Jahr 1918 wurden die ersten Maishybride entwickelt. Aber noch im Jahr 1920 unterschied sich die Landwirtschaft nicht grundsätzlich von der seit Tausenden von Jahren praktizierten Landwirtschaft. Nährstoffe wurden durch Einbringen von Dung aus der Viehhaltung, Humus und Streu aus den Wäldern (nur unzureichend) ersetzt, Unkräuter von Hand oder mechanisch durch Jäten, Hacken oder Eggen entfernt. Erst danach erfasste die Industrielle Revolution die Landwirtschaft auch direkt: Kunstdünger und chemische Schädlingsbekämpfungsmittel, Maschinen und wissenschaftliche Züchtungsmethoden führten zu einer Agrarrevolution. Henry Wallace, der als erster mit Hybridmais kommerziellen Erfolg hatte und unter Roosevelt Landwirtschaftsminister wurde, sah sich selber als “Vater der industrialisierten Landwirtschaft”.

"Brot aus der Luft" – Industrielle Kunstdünger

Herausragende Bedeutung hierfür hatten die Arbeiten der englischen Agrochemikers John Bennet Lawes und des deutschen Chemikers Justus Liebig. Lawes erforschte die Wachstumsbedingungen der Pflanzen auf seinem eigenen Gut in Rothamsted und stellte 1842 aus einem Gemisch aus Knochenmehl und Schwefelsäure “Superphosphat” her, den ersten künstlichen Mineraldünger, und gründete die erste Düngemittelfabrik der Welt. Er erkannte auch als erster die Bedeutung des Nährelements Stickstoff. Allerdings musste Stickstoff, etwa in Form eines Reaktionsproduktes flüssiger Seevogelexkremente mit Kalkstein, dem Guano, aus Lateinamerika eingeschifft werden. 1840 hatte Justus Liebig, Professor an der Universität Gießen, sein Werk “Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie” veröffentlicht, mit dem er die wissenschaftlichen Grundlagen der Pflanzenernährung aufzeigte: Pflanzen nehmen die Grundstoffe zu ihrem Aufbau in mineralischer (anorganischer) Form aus dem Boden auf – zuvor glaubte man, sie nähmen Nahrung in organischer Form aus dem Boden auf. Liebigs Erkenntnisse eröffneten die Möglichkeiten des Einsatzes von Mineraldüngern. Mit Lawes Düngemittelfabrik gab es bereits Superphosphat. Kritischer war aber die Versorgung der Böden mit Stickstoff. 1909 entdeckte der deutsche Chemiker Fritz Haber, wie man Stickstoffdünger in Form von Ammoniaksalzen herstellen konnte. Das vom BASF-Chemiker Karl Bosch weiterentwickelte Haber-Bosch-Verfahren erlaubte ab 1913 die Massenproduktion von Ammoniak (100) aus Luftstickstoff und Wasserstoff – von “Brot aus Luft”, wie es in der Laudatio zum Chemie-Nobelpreis hieß, den Haber 1918 erhielt.

Das Haber-Bosch-Verfahren brauchte etwa einen Liter Erdöl oder eine entsprechende Menge Erdgas, um ein Kilogramm Stickstoff zu fixieren. Aber dies war die Zeit, in der Erdöl immer billiger wurde (>> hier); und so konnte die Produktion ständig ausgebaut werden: Der Kunstdüngereinsatz stieg von 4 Millionen Tonnen im Jahr 1940 über 40 Millionen Tonnen im Jahr 1965 auf fast 150 Millionen Tonnen im Jahr 1990. Damit konnten die Böden wieder mit Nährstoffen aufgefüllt werden – allerdings gelangte mehr als die Hälfe des Kunstdüngers gar nicht auf die Felder, sondern in Gewässer und führte dort zur Überdüngung (>> hier). Der Einsatz von Kunstdünger war an seine Grenzen gekommen, seit 1990 fällt er sogar leicht (2000: 137 Millionen Tonnen). Der Einsatz von Düngern ist heute etwa beim Maisanbau in den USA der Haupt-Energieverbraucher, und hat noch mehr als die Mechanisierung dazu beigetragen, dass die Landwirtschaft mehr Energie verbraucht als sie in Form von Lebensmitteln erzeugt.

Die Mechanisierung der Landwirtschaft

Die Mechanisierung der Landwirtschaft begann zuerst in den USA, wo große Farmen mit wenigen Arbeitskräften bewirtschaftet werden mussten. Sie begann mit Dresch- und Erntemaschinen, die von Pferden angetrieben wurden – Dampfmaschinen waren für die Felder zu groß und schwer. Endgültig setzten sich diese Maschinen durch, als während des amerikanischen Bürgerkriegs die Arbeitskräfte noch knapper wurden: Zwischen 1837 und 1890 vervierfachte sich dadurch die Produktivität des Landes in den USA; und die USA wurden zum bedeutendsten Nahrungsmittelexporteur. Der erste Traktor mit Benzinmotor wurde 1892 entwickelt; ab 1920 setzten sich die Traktoren in den USA, ab 1930 in der Sowjetunion und ab 1950 in Europa durch. In den USA wurden in den 1930er Jahren auch selbstfahrende Mähdrescher entwickelt, die die nächste Stufe der Mechanisierung darstellten. Seit den 1960er Jahren begann die Mechanisierung auch in den Entwicklungsländern, wo sie sich allerdings wegen des geringen Lohns für Arbeitskräfte nicht immer rechnet.

Die Mechanisierung veränderte die Landwirtschaft: Große Felder eignen sich besser für Maschinen, also wurden kleine Felder zusammengelegt. Große Betriebe konnten sich die Maschinen eher leisten, kleine Betriebe verschwanden: In den USA verdreifachte sich die Durchschnittsgröße der Farmen von 1935 bis 1985. (Dazu kam, dass steigende Erträge zu sinkenden Preisen führten – wer nicht mitmachte, war zu teuer und wurde vom Markt gedrängt.) Für die maschinelle Ernte waren Mischkulturen nicht geeignet, daher setzten sich Monokulturen durch. Diese brauchten Nährstoffe schneller auf und waren gegenüber Schädlingen anfälliger. Gegen den Nährstoffmangel halfen die neuen Kunstdünger, die aber wiederum die Anfälligkeit der Pflanzen gegenüber Schädlingen erhöhten: zum einen wuchsen auf gut gedüngten Feldern auch die Unkräuter besser; zum anderen konnten in den dichteren Beständen Pilze sich besser ausbreiten, die zudem aufgrund der durch Düngereinsatz weicheren Zellwände größeren Schaden anrichten konnten. Erst als es der Agrarchemie gelang, ebenfalls auf petrochemischer Basis gegen Unkräuter und Schädlinge  chemische Unkrautbekämpfungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel (Herbizide und Pestizide) zu entwickeln, führte die Düngung zu einer deutlichen Ertragssteigung, der Düngemittel (und der Herbizid- und Pestizidverbrauch) stiegen kontinuierlich an. Die Erträge stiegen aber auch, da durch die Nutzung von Motoren nun kein Weideland mehr für Arbeitstiere gebraucht wurde. Die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft dagegen sank: In den USA von der Hälfte der Bevölkerung im Jahr 1920 auf heute gut ein Prozent. Deutschland holte diese Entwicklung mit der “Flurbereinigung” nach dem Zweiten Weltkrieg nach, heute arbeiten 2,3 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft (101) (siehe >> hier).

Fortschritte in der Pflanzenzucht

Eng im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Mineraldüngern und der Mechanisierung standen die Fortschritte in der Pflanzenzucht. Gezüchtet wurden Pflanzen, die besser auf Kunstdünger und Bewässerung ansprachen und für die Mechanisierung geeignet waren. Hintergrund war die Wiederentdeckung der Vererbungslehre des österreichischen Mönches Gregor Mendel im Jahr 1900. Auf dieser Basis begannen die Züchtungen, die zum ersten Hybridmais (siehe oben) und dann den hochertragsreichen Sorten führten: besseren Hybridmais in den USA, Kurzstrohweizen in Mexiko und hochertragreicher Reis auf den Philippinen – diese Entwicklung wurde als Grüne Revolution bekannt. Die Hochertragssorten setzten sich durch: 1930 stand Hybridmais auf einem Prozent der Maisanbaufläche der USA, 1970 machte er über 99 Prozent aus. In den Entwicklungsländern stiegen die Hektarerträge zwischen 1960 und 1990 auf mehr als das Doppelte. Der amerikanische Agrarwissenschaftler Norman Borlaug, der erst im Auftrag der Rockefeller-Stiftung neue Mais- und Weizensorten in Mexiko entwickelte und 1963 dann von der Stiftung nach Indien und Pakistan entsandt wurde, erhielt für seinen Beitrag im Jahr 1970 den Friedensnobelpreis, weil er “mehr als jede andere Person dieser Zeit geholfen hat, eine hungrige Welt mit Brot zu versorgen” (aus der Rede zur Preisverleihung).

Industrielle Tierhaltung

Mit Überschüssen aus dem Ackerbau stand auch Futter für die Massentierhaltung zur Verfügung: Konnte früher ein Bauer nur so viele Tiere halten, wie er von seinem Land ernähren konnte, wurden Rinder, Schweine und Hühner jetzt in riesigen Mastanlagen mit Kraftfutter schneller und billiger gemästet. Der Übergang begann in der Weltwirtschaftskrise (>> mehr), als viele Menschen sich kein Fleisch mehr leisten konnte, und der amerikanische Agrarprofessor Jay Laurence Lush schlug vor, die Züchtung von Tieren nicht mehr anhand äußerer Merkmale zu betreiben, sondern anhand ihrer Produktivität. Heute werden weltweit zwei Drittel des Geflügel- und die Hälfe des Schweinfleisches (und in Deutschland weit über 90 Prozent) in Massentierhaltung erzeugt; diese setzt 140 Milliarden Dollar im Jahr um – Tendenz steigend. Seit den 1960er Jahren begann auch die Züchtung von Fischen in Aquakulturen (>> mehr). Die Tierhaltung in voll- oder teilautomatisierten Großhallen hat ihren Preis: Hühner, denen Platz und Protein in der Getreidenahrung fehlte, wurden zu Kannibalen – um dies zu beenden, wurden ihnen proteinreiche Sojabohnen, Schlachthausabfälle und Tiermehl verfüttern. Letztere sind heute verboten, Fischmehl immer noch erlaubt. Die Bedingungen der industriellen Massentierhaltung könnten einem auch sonst eigentlich den Appetit verderben: Schweine etwa stehen oft ohne Einstreu und Spielmöglichkeiten auf Spaltenböden, einem 90-Kilo-Tier stehen ein drei Viertel Quadratmeter Fläche zu. Hähnchen werden derart schnell gemästet, dass Gelenkerkrankungen, Knochenbrüche und Herzerkrankungen fast schon normal sind. Besonders eindrucksvoll ist der “Erfolg” der Rinder, die weltweit mehr Land als die Menschen nutzen (wenn man einmal davon absieht, dass diese Rinder natürlich auch ein “Produkt” des Menschen sind) – alleine die 1,5 Milliarden Rinder auf dieser Welt wiegen doppelt so viel wie die Menschheit!

War früher ein Weiderind nach zwei Jahren schlachtreif, wird ein sechs Monate altes Kalb heute in vier Monaten schlachtreif gemästet; eine Kuh, die früher 1.700 Liter Milch im Jahr gab, muss heute 10 bis 15.000 Liter/Jahr liefern. Ein Drittel der Ackerfläche dient heute dem Anbau von Weizen, Mais und Soja als Kraftfutter; ein Viertel des Landes ist Weideland. Die Rinderhaltung ist durch die Abholzung von Regenwäldern – im Amazonasgebiet wurden seit 1970 neun von zehn Hektar Regenwald für Weideland abgeholzt – und die Methanrülpser der Tiere einer der wesentlichen Beiträge der Landwirtschaft zum >> Klimawandel; er beträgt, auf die Landwirtschaft entfallende Entwaldung und Verkehr eingerechnet, rund 20 Prozent. Die Massentierhaltung schafft zudem ideale Vermehrungsbedingungen für Krankheitserreger: Oft werden die Tiere daher schon vorbeugend mit Antibiotika behandelt, die zugleich das Wachstum fördern. Aber die industrielle Tierhaltung hat dazu geführt, dass wir immer mehr Fleisch essen können, obwohl wir immer weniger für unsere Nahrung bezahlen (mehr >> unten).

Die Industrialisierung der Wälder

11 Millionen Quadratkilometer ehemaliges Waldland wurden in Acker-, weitere 3 Millionen in Weideland umgewandelt (>> mehr). Die übrigen Wälder sind aber keineswegs immer unberührte Naturlandschaft: Nur etwa ein Drittel ist mehr oder weniger unberührter “Urwald”, die übrigen zwei Drittel werden mehr oder weniger intensiv forstlich genutzt. Diese Umwandlung betraf zuerst die sommergrünen Wälder Europas und der östlichen USA; später dann – und bis heute anhaltend – die Nadelwälder im Nordwesten der USA und die borealen Nadelwälder. Die Folge: In Europa gibt es nur kleine Reste unberührter Urwälder; in den USA kämpfen heute Naturschützer gegen die Abholzung der letzten “old growth forests”. Auch die 6 Millionen Quadratkilometer der sibirischen Urwälder sind ins Visier der Holzindustrie geraten (angeblich werden “nur” 40.000 Quadratkilometer im Jahr gefällt, aber zuverlässige Zahlen über das Ausmaß der Abholzung sind auch heute noch kaum zu bekommen).

Die ursprünglich abgeholzte Fläche war noch größer, aber ein Teil des Landes wurde wieder aufgegeben und konnte vom Wald zurückerobert werden, anderswo wurde wieder aufgeforstet. So wurden in den USA mit dem Beackern der Prärien die weniger fruchtbaren Länder im Osten wieder aufgeforstet, auch in Europa nahm der Waldanteil wieder zu. Diese Forsten können je nach Art der Bewirtschaftung reine Holzplantagen sein (manche Eukalyptusplantagen werden alle 7 Jahre wie ein Getreidefeld geernet), oder mehr oder weniger natürlichen Wäldern ähneln (naturnahe Forstwirtschaft).

Die Erfolge der industriellen Landwirtschaft

In Teilen der Welt verknüpften sich Düngemittel, Mechanisierung und Grüne Revolution Düngemittel zu der hochertragsreichen Landwirtschaft, die wir heute kennen, und die es ermöglicht, dass heute auf der Erde rund 7 Milliarden Menschen leben (>> Die Bevölkerung der Erde). Dabei ist die Erzeugung an Nahrungsmitteln pro Kopf in den letzten Jahrzehnten so weit gestiegen, dass niemand Hunger leiden müsste: Im Jahr 2007

Ein Traum der Menschheit wurde wahr: Lebensmittel sind im Überfluss vorhanden und billig wie nie. Aber die Industrielle Landwirtschaft hatte einen Preis

wurden weltweit schätzungsweise 700 Millionen Tonnen Mais, je 600 Millionen Tonnen Reis und Weizen, 300 Millionen Tonnen Kartoffeln und 214 Millionen Tonnen Soja erzeugt; ein Teil dieser Ernte geht in die Produktion von 220 Millionen Tonnen Fleisch (etwa die Hälfte Schweinefleisch und je ein Viertel Rind und Geflügel). Dazu kommen 142 Millionen Tonnen Fisch aus Wildfängen und Aquakultur (mehr dazu >> hier). Alleine an Getreide werden im Jahr über 300 Kilogramm pro Kopf der Weltbevölkerung erzeugt. Ein Traum der Menschheit ist – zumindest in den reichen Industrieländern – wahr geworden: Hier sind Nahrungsmittel im Überfluss vorhanden und so billig wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. In Deutschland gibt ein Haushalt im Durchschnitt nur noch 14,5 Prozent seines Einkommens für Nahrungsmittel (einschließlich Genussmittel) aus – 1970 waren es noch fast 30 Prozent. Besonders drastisch sind die Auswirkungen beim Fleisch: War dies früher für viele ein Luxusprodukt (der klassische “Sonntagsbraten”), ist Fleisch so billig geworden, dass es alltäglich wurde – und wir heute so viel davon essen, dass es schon wieder ungesund ist: Ein Bundesbürger isst heute im Durchschnitt 60 Kilogramm Fleisch im Jahr, die Empfehlungen der Ernährungsforscher liegen bei 20 Kilogramm, einem Drittel.

Das industrialisierte Essen – Fertiggerichte

Mit dem Aufstieg der industriellen Landwirtschaft stieg auch die Ernährungsindustrie auf, die heute in Deutschland zu den wichtigsten Industriebranchen gehört. Die Menschen, die in der Industrie arbeiteten, fanden nicht mehr die Zeit, ihr Essen selber zuzubereiten, und damit entstand ein Markt für Fertiggerichte, die industriell in großen Mengen hergestellt wurden. Zu den Pionieren dieser Entwicklung gehörte der im schweizerischen Vevey lebende deutschstämmige Apotheker und Düngemittelfabrikant Henry Nestlé, der 1867 eine auf einem Rezept Justus Liebigs basierende Säuglingsnahrung auf den Markt brachte: Henry Nestlé’s Kindermehl. Die Nestlé S.A. ist heute das größte Nahrungsmittelunternehmen der Welt. Andere große Unternehmen entstanden in den USA, etwa Heinz, General Foods, Kraft und Kellogg. Sie alle brachten Tausende von Produkten auf den Markt – und konnten so einen Teil des in der industrialisierten Landwirtschaft eingesparten Geldes in die eigenen Taschen leiten. Der Erfolg lockte weitere Mitspieler an, die ihren Anteil an dem Markt haben wollten: Fastfood-Restaurants wie McDonald’s, Burger King oder Wendy’s für die Kunden, die gar nicht mehr selber kochen wollten, und immer größere Handelskonzerne. Konnten die Fastfood-Restaurants wenigstens noch von den Herstellern beliefert werden, fand im Handel eine schnelle Konzentration statt, die globale Handelskonzerne bald so mächtig machte, dass sie den Herstellern oftmals die Preise diktieren konnten. Die größten dieser Konzerne sind heute Wal-Mart (USA), Carrefour (Frankreich), Ahold (Niederlande), Kroger (USA), Metro (Deutschland) und Tesco (Großbritannien), in Deutschland neben Metro auch Edeka und Rewe.

Fertiggerichte müssen nicht schlechter sein als frische Gerichte – tiefgekühltes Gemüse etwa ist oft vitaminreicher als im Laden “frisch” gekauftes; die hygienischen Bedingungen bei der Lebensmittelherstellung sind besser als in so mancher Küche. Oft sind sie es aber doch, vor allem die weiter verarbeiteten Fertiggerichte: Die von Handel und Verbraucher gewünschte lange Haltbarkeit und der Preisdruck führen dazu, dass die “eigentlichen” Zutaten oft durch billiges Fett und Zucker ersetzt werden, die mit Aroma- oder andere Zusatzstoffe verkaufsfähig und haltbar gemacht werden. Die Anpassung an den Massengeschmack mit viel Zucker oder Vanillin führt dazu, dass die Esser sich an den künstlichen Geschmack gewöhnen – Restaurantbesitzer berichten von Kindern, die nichts mehr ohne Ketchup essen. In manchen Fertiggerichten werden auch minderwertige Zutaten wie Garnelenimitate aus Fleischeiweiß, Schinkenimitat aus Stärkegel und Fleischresten und Analogkäse aus Fett und Milcheiweiß verwendet (nach Aussage der Verbraucherzentralen sind hier besonders solche Hersteller verdächtig, die ihre Zutaten nicht angeben müssen, etwa Backshops). Ebenso kritisieren die Gegner der Fertiggericht-Kultur, dass Fertiggerichte zu einer Entfremdung von den Grundlagen unserer Ernährung führen: Man vergisst, dass am Anfang der Salami auf der Tiefkühlpizza ein Tier steht; man hat kein Gefühl mehr für die Zutaten und ihre Menge (und wundert sich dann, dass man dick wird...); man bringt sich um den Spaß, beim Gemüseschneiden schon einmal zu naschen.

In den industrialisierten reichen Ländern führte das reichliche Angebot an jederzeit verfügbaren, kalorienreichen und billigen Nahrungsmitteln bei gleichzeitigem Rückgang der körperlichen Arbeit zu einer neuen Epidemie: Übergewicht. In Deutschland sind fast 60 Prozent der Erwachsenen übergewichtig, und davon ein Drittel stark übergewichtig (fettleibig); bei den Kindern und Jugendlichen sind es 15 Prozent. In den USA ist der Anteil noch höher, bei Kindern und Jugendlichen doppelt so hoch. Die höchsten Zuwachsraten gibt es heute jedoch in wirtschaftlich schnell wachsenden Schwellenländern. Starkes Übergewicht ist Wegbereiter einer Reihe von Krankheiten (Gelenkschäden, frühzeitiger Verschleiß der Wirbelsäule, Diabetes, Bluthochdruck, Herzleiden, psycho-soziale Folgeerkrankungen durch Ausgrenzung) und gilt daher als Kostentreiber im Gesundheitswesen. Da die Biochemie unseres Körpers darauf ausgerichtet ist, mit Hungersignalen Gewichtsverluste zu verhindern, ist es für Betroffene nicht leicht, ihr Gewicht dauerhaft zu verringern – in den Industriestaaten richten sich daher Programme für gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung insbesondere an Kinder und Jugendliche, etwa in der Schule. Und aus diesem Grund wird auch den Nahrungsmittelkonzernen immer wieder ihre Werbung für hochverarbeitete, kalorienreiche Snacks für Kinder und Jugendliche vorgeworfen.

Die sinkenden Kosten für Nahrungsmittel waren auch die Voraussetzung für den Erfolg der anderen Industrien: Geld, das nicht für Essen gebraucht wurde, konnte für Autos, Elektrogeräte, Reisen und andere Wohlstandsartikel ausgegeben werden – für all das, was die industrielle Überflussgesellschaft erst ausmacht.

Immer noch nicht besiegt: Der Hunger

Wenn es in Europa nach dem Aufkommen der Industriellen Landwirtschaft noch Hunger gab, dann – wie im ersten und zweiten Weltkrieg – vor dem Hintergrund von Kriegen. Auch in anderen Ländern gab es Hunger in der Folge von politischen Fehlentscheidungen: In der Sowjetunion wurde in den frühen 1930er Jahren die Ernte enteignet, um die Städte zu ernähren und über Exporte Geld für die Industrialisierung einzunehmen – Millionen Tote waren die Folge; die wohl größte Hungersnot der Weltgeschichte fand 1959 bis 1961 in China statt, als in der Folge von Maos “Großen Sprung nach Vorne” 30 bis 45 Millionen Menschen verhungerten. In Kriegen wird Hunger auch immer noch ganz gezielt als Waffe eingesetzt – als Waffe, die insbesondere und gezielt die Wehrlosesten – Frauen, Kinder und alte Menschen – angreift. Aber die meisten Menschen verhungern, weil ihnen der Zugang zu Land verwehrt wird und sie sich Lebensmittel auf dem Markt einfach nicht leisten können: die ärmsten Menschen auf der Erde müssen über 70 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, und Preissteigerungen bedeuten für sie meist Hunger oder Verhungern. Dort, wo billigere Nahrungsmittel am nötigsten wären, sind die Segnungen moderner Landwirtschaft nicht angekommen – und dies liegt unter anderem an ungerechten Handelsbedingungen (>> mehr).

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© Jürgen Paeger 2006 – 2015

Phosphat spielt eine zentrale Rolle im Energiestoffwechsel aller Lebewesen, Stickstoff ist eine zentraler Baustein der Aminosäuren, die wiederum die Bausteine der Proteine sind. Der dritte "Grundnährstoff", der als Kunstdünger zugeführt wird, ist Kalium, das vielfältig an den physiologischen Prozessen in der Zelle beteiligt ist.

Die Grüne Revolution verdankt ihren Namen nicht wie heute üblich einer besonderen Umweltfreundlichkeit, sondern der Name wurde 1968 als Kampfbegriff gegen die “Rote Revolution” russischer Machart erdacht. Da sie Kunst- dünger und Pestizide sowie Monokulturen förderte, hat sie mit umweltfreundlicher Landwirtschaft wenig zu tun, >> mehr.