Das Zeitalter der Industrie

Anmerkungen und Quellen

Die industrielle Revolution

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0005: Auch hier gab es Fortschritte – 1840 wurde in Großbritannien die Briefmarke eingeführt. Damit verbunden war ein einheitlicher (günstiger) Preis für den Transport von Briefen. Vorher mussten die Empfänger Briefe bezahlen, und da diese sich oft weigerten, wurden die Kosten auf die übrigen Empfänger umgelegt, was Briefe teuer gemacht hatte. Das System wurde von anderen Ländern übernommen, zuerst 1843 in Brasilien und zwei Schweizer Kantonen. Mit den günstigen Briefmarken wurden mehr Briefe geschrieben. 1839 hatten die Menschen in Großbritannien im Durchschnitt drei Briefe im Jahr geschrieben, 1860 waren es schon 19.

0010: Die Geschichte des Fliegens beginnt natürlich eigentlich schon 1783 mit dem ersten bemannten Ballonflug der Gebrüder Montgolfier in Paris, der ein regelrechtes Ballonfieber auslöste. 1785 überquerte ein Ballon erstmals den Ärmelkanal. Aber viel anfangen konnte die Menschheit auf Dauer mit dieser Erfindung nicht.

0012: Zitat aus Ian Mortimer: Zeiten der Erkenntnis. Wie uns die großen historischen Veränderungen bis heute prägen. Piper 2015.


Die beiden großen Weltkriege

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3036: Im Oktober 1918 wurde der "Staat der Slowenen, Kroaten und Serben" unabhängig, der sich Dezember mit dem Königreich Serbien zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zusammenschloss. 1929 wurde der Name in Königreich Jugoslawien geändert.

3040: Die Zahl der Opfer kann nur geschätzt werden: die erste große Untersuchung von 1927 schätzte 21,5 Millionen Todesopfer, die in den Folgejahren immer wieder nach oben korrigiert wurden. 2002 wurde sie auf 50 Millionen geschätzt – es könnten aber auch doppelt so viele gewesen sein (Niall P.A.S. Johnson, Jürgen Müller: Updating the Accounts: Global Mortality of the 1918-1920 „Spanish“ Influenza Pandemic. Bulletin of the History of Medicine 76, 2002, S. 114 f.).

3042: Die Entstehung in den USA wurde schon 1942 durch den australischen Mediziner (und späteren Medizin-Nobelpreisträger) Frank Macfarlane Burnett vermutet, später stellte der US-Historiker Alfred W. Crosby die neueren Belege hierfür zusammen (Alfred W. Crosby: America’s Forgotten Pandemic. The Influenza of 1918. 2. Auflage. Cambridge University Press, Cambridge 2003). Auch die Entstehung in Frankreich und in China wurde vermutet; gilt aber nach neuesten molekulargenetischen Untersuchungen, wonach sieben der acht Gene des Virus Influenzagenen von Vögeln aus Nordamerika ähneln, als unwahrscheinlich (Michael Worobey et al.: Genesis and pathogenesis of the 1918 pandemic H1N1. PNAS. Band 111, Nr. 22, 2014, S. 8107–8112.

3052: Die Ukraine war nach der Niederlage Deutschlands zu einem Hauptschauplatz des Bürgerkriegs geworden, in dem auch das 1918 wiedererrichtete Polen eine Rolle spielten: Die Polen besetzten 1919 weite Teile der Ukraine. Nach dem Frieden von Riga, den Polen und die Sowjetunion 1921 schlossen, wurden die Grenzen der Ukraine neu gezogen: die nördliche Bukowina und Bessarabien zu Rumänien, der Karpaten-Ukraine zur Tschecho­slowakei und die Galiziens zu Polen wurden festgeschrieben; im Rest gingen die Bolschewiki als Sieger im Bürgerkrieg hervor. Er wurde als Ukrainische Sowjetrepublik Teil der Sowjet­union. Vom Aufbau der Schwerindustrie unter Stalin profitierte vor allem das Industriegebiet im Donbass im Südosten, wo 1932/33 70 Prozent der Steinkohle und des Eisenerzes der Sowjetunion gefördert und 63 Prozent des Stahls produziert wurden. Die Zwangskollekivie­rung der Landwirtschaft wurden in den fruchtbaren Schwarzerdegebieten besonders rasch durchgeführt – und traf in der Ukraine auf besonders heftigen Widerstand. Als Stalin nach den Missernte 1931 und 1932 auf der Einhaltung der Ablieferungsquoten bestand und die ukrainischen Bauern mit Gewalt zwang, selbst ihr Saatgetreide abzuliefern, kam es alleine in der Ukraine zu 3 bis 4 Millionen Hungertoten (Stalin erklärte unterdessen, das Gerede von einer Hungers­not sei "ein Märchen"). In der Ukraine gilt diese Hungersnot ("Holodomor") heute offiziell als Völkermord (Genozid), da sie mit anderen "Säuberungsaktionen" in der Ukraine zusammen­fiel. Diese Einschätzung ist aber umstritten, da andere Schwarzerde­gebiete (bezogen auf den Bevölkerungsanteil) ähnlich litten, auch die an der Unteren Wolga, wo vor allem Russen lebten. Aber nur in der Ukraine wurde etwa die Grenze ge­sperrt, um die Menschen an der Flucht zu hindern; der Hunger wurde also offenbar gezielt gegen die Menschen in der Ukraine eingesetzt. (Eine ausführliche Darstellung des Themas findet sich unter anderem in Anne Applebaum: Roter Hunger. Stalins Krieg gegen die Ukraine. Siedler Verlag München 2019.)


Nachkriegsordnung und Kalter Krieg

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230: Nach der Unabhängigkeit gab es zunächst große Hoffnungen auf eine schnelle Industrialisierung. Der Entwicklungstheorie des US-Ökonomen Walt Whitman Rostow folgend (der erste Präsident, Kwame Nkrumah, hatte in den USA studiert und in Großbritannien promoviert), begann etwa Ghana 1960 mit dem Bau eines Staudamms im Fluss Volta; 1966 wurde der Volta-Staudamm eingeweiht. Ein Wasserkraftwerk mit niedrigen Strompreisen würde Investoren anlocken, glaubte man. Als dies nicht schnell genug erfolgte, nahm die Regierung dies selbst in die Hand und gründete Industrieunternehmen. Widerstände gegen das Symbolprojekt wurden immer autoritärer unterdrückt, die Pressefreiheit eingeschränkt. Nachdem Mitte der 1960er Jahre auch noch die Kakaopreise einbrachen, putschte 1966 während einer Auslandsreise Nkrumahs das Militär, konnte das Projekt aber auch nicht zum Erfolg machen; die Industrialisierungspläne scheiterten; viele Ghanaer verließen ihr Land.

250: Der "Preis" für das Abkommen war die Anerkennung der "Ein-China-Politik": für die Volksrepublik umfasste China auch die Insel Taiwan, sie erkannte die Regierung der dortigen Republik China nicht an. Bereits nach dem UN-Beitritt hatte China im UN-Sicherheitsrat den Sitz Taiwans übernommen. Die Amerikaner beteuerten jedoch ihr Interesse an einer friedlichen Lösung des Taiwan-Konflikts (dem die Chinesen zustimmten) und hielten ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan bis 1978 aufrecht; diplomatische Beziehungen mit China wurden erst unter Jimmy Carter und Deng Xiaoping aufgenommen. (Es gab "keine Regierung, die das, was ihr widerfahren sollte, weniger verdient hatte, als die Regierung von Taiwan", schreib Henry Kissinger in seinen Memoiren dazu. [Zitiert nach Matthias Naß: Drachentanz. C.H. Beck 2021, dort nach Jonathan Spence 1995: Chinas Weg in die Moderne, S. 740.]

252: Die durch die Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg belastete Annäherung kann für den Historiker Frank Bösch (Zeitenwende 1979, C.H. Beck 2019) "durchaus mit der bundesdeutschen Ostpolitik ... verglichen werden".

254: CDU/CSU hatten schon zum Maos Zeiten aufgrund seiner antisowjetischen Haltung die Nähe zu Mao gesucht und versuchten später, eine "Fernostpolitik" als Gegenmodell zu Willy Brandts Ostpolitik zu etablieren (Frank Bösch: Zeitenwende 1979, C.H. Beck 2019). Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1972 reisten vor allem CDU/CSU-Ministerpräsidenten nach China, wo sie eine Art "Nebenaußenpolitik" (Bösch, siehe oben) betrieben und sich für Exporte aus ihren Bundesländern einsetzten. Nach dem Tod Maos 1976 bezeichnete etwa der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß Mao (dessen Politik nicht weniger Tote hinterließ als Hitler und Stalin) als "Politiker und Staatsmann, [der] ... zu den großen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts" zähle. (Deutschland pflegt übrigens bis heute keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan.)

256: Dabei blieb die innenpolitische Spaltung erkennbar: Während kein Spitzenpolitiker der sozialliberalen Koalition die Chinesen am Flughafen empfing, um die Sowjetunion nicht zu verärgern, ahmte etwa Bayern die Bundesrituale nach (beim Empfang wurde eine Ehren­kompagnie der Polizei abgeschritten) und lud die Gäste zum Frühstück ein, bei dem Franz-Josef Strauße die Ostpolitik verurteilte (und bayrische Unternehmen anpries).

258: Die Position zum chinesischen Umgang mit den Menschenrechten blieb sowohl unter der sozialliberalen Koalition als auch später unter Helmut Kohl "pragmatisch" (Frank Bösch: Zeitenwende 1979, C.H. Beck 2019), es wurde vor allem darauf geachtet, dass eventuelle Kritik nicht die Wirtschaftsbeziehungen beschädigte. Erst die Grünen brachten das Thema 1986 auf die Tagesordnung, indem sie im Bundestag eine Anfrage (Drucksache 10/6127) zur Situation in Tibet stellten und ein "Tibet-Forum" organisierten. Diese und nachfolgende Aktivitäten trugen nach Ansicht des Historikers Frank Bösch (Zeitenwende 1979, C.H. Beck 2019) mit dazu bei, "dass zumindest der Bundestag 1987 parteiübergrei­fend die Freilassung politischer Gefangener und die Einhaltung der Menschenrechte in China forderte." Erst mit dem Massaker vom Tian'anmen-Platz im Juni 1989 wurde der "mörde­rische Terror" nicht nur verurteilt, sondern vorübergehend auch die Hermes-Bürgschaften, mit denen die Investi­tionen der Wirtschaft abgesichert wurden, ausgesetzt. (Die Sanktionen wurden aber schon 1992 – nachdem China verbesserte Investitions­möglichkeiten und verlängerte Steuer­befreiun­gen ankündigte – wieder aufgehoben.)

260: Außer in der DDR: Im DDR-Fernsehen wurden die Demonstranten vom Tian'anmen-Platz als "konterrevolutionäre Mörder" bezeichnet (Deutsches Rundfunkarchiv); der stell­vertretende Staatsrats­vor­sitzende Egon Krenz nahm demonstrativ an den Feiern zum 40. Jahrestag der Volksrepublik China im September 1989 teil. (Allerdings hat die Isolierung Chinas, die auf das Massaker folgte, möglicherweise dazu beigetragen, dass Krenz im Herbst 1989 nicht auf die Demonstranten in der DDR schießen ließ, vermutet der Historiker Frank Bösch (Zeitenwende 1979, C.H. Beck 2019).)

270: In Deutschland etwa kam es 1967 anlässlich eines Schah-Besuchs zu Studenten­protesten, bei denen ein Polizist (und wie sich 2009 herausstellen sollte: Stasi-Spitzel) den Studenten Benno Ohnesorg erschoss. Der Mord (Ohnesorg wurde aus anderthalb Metern in den Hinterkopf geschossen, während er von drei Polizisten festgehalten und verprügelt wurde) und dass der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt Berlin, Heinrich Albertz, die Studenten für den Mord an Benno Ohnesorg verantwortlich machte – trug maßgeblich zur nachfolgenden Radikalisierung der Studenten­proteste bei.

274: In Großbritannien war zur Ölkrise 1973 noch ein Streik der Bergarbeiter im Winter gekommen, der zu eingeschränkter Beheizung und Stromversorgung und zu einer Drei-Tage-Woche in der Industrie geführt hatte; die Inflation lag Mitte der 1970er Jahre bei 25 Prozent. Auch während der Ölkrise 1979 kam es zu Streiks gegen die Versuche der Labour-Regierung, die immer noch zweistellige Inflation durch Sparmaßnahmen einzudämmen. Wieder trafen sie – in einem besonders kalten Winter – die Energieversorgung. Da die Labour-Partei den Gewerkschaften nahe stand, wurde ihr eine Mitschuld gegeben, und Thatchers neoliberale Wende fand eine Mehrheit. Die neoliberale Wirtschaftspolitik war wesentlich seit den 1960er Jahren in den USA entwickelt worden, einer der führenden Köpfe war der Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman von der Chicago School of Economics. Er hatte 1962 sein an ein breites Publikum gerichtetes Buch Capitalism and Freedom veröffentlicht, in dem er die Meinung vertrat, nur ein freier Markt könne die Freiheit des Menschen sichern; 1976 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Die gegen den Keynesianismus, wonach der Staat in der Krise die Nachfrage ankurbeln müsse, gerichtete Theorie fand insbesondere bei konservativen Parteien Anklang. In den USA setzte aber schon der noch von Jimmy Carter 1979 eingesetzte Notenbankchef Paul Volcker für eine Wende im Sinne der Neoliberalen, indem er der Inflationsbekämpfung Vorrang vor der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gab; Carter selbst kürzte in seinem letzten Amtsjahr bereits die öffentlichen Ausgaben. Thatcher gelang es aber zunächst nicht, heimische Betriebe zu retten, nur der erfolgreiche Krieg gegen die argentinische Militärjunta, die 1982 die britischen Falkland-Inseln besetzt hatte, und dann die mit fallenden Ölpreisen anziehende Wirtschaft retteten ihre Wiederwahl 1983. In ihrer zweiten Amtszeit gelang es ihr dann, die starke Bergarbeitergewerkschaft zu entmachten, was ihr die Wiederwahl 1987 sicherte. Auch Ronald Reagan in den USA profitierte von sinkenden Ölpreisen und der sich erholenden Wirtschaft, verdreifachte aber aufgrund stark steigender Militärausgaben in seiner achtjährigen Amtszeit die US-Staatsschulden. (In Deutschland hatte die Bundesbank bereits ab 1974 die Geldmenge begrenzt, so dass die – durch die Erinnerung an die Folgen der Inflation in der Weimarer Republik besonders gefürchtete – Inflation gering blieb; daher wurde die sozialliberale Regierung auch nicht abgewählt, sondern stürzte, nachdem 1982 die FDP, die nun mit Wirtschaftsminister Lambsdorff im neoliberalen Sinn eine Stärkung des Marktes, den Rückzug des Marktes und den Abbau von Sozialleistungen forderte, mit der CDU eine christlich-liberale Regierung unter Helmut Kohl bildete. Die FDP wurde von vielen linksliberalen Mitgliedern, die die marktliberale Wende ablehnten, verlassen; ihre Rolle als liberale Bürgerrechtspartei wurde in beträchtlichem Umfang von den 1980 gegründeten GRÜNEN, die ihre ersten Erfolge in ehemaligen liberalen Hochburgen wie Universitätsstädten und dem Land Baden-Württemberg erzielten, übernommen.)

280: Der Krieg in Afghanistan spielte bei der Entstehung der Friedensbewegung mehrere Rollen: in der Öffentlichkeit machte er Krieg und Gewalt zu einem Thema, bei den einen förderte er die Angst vor einem (Atom-)Krieg, für die anderen – etwa die damalige CDU/CSU – war er der Beweis, dass die Entspannungspolitik gescheitert war; sie hielten die Friedensbewegung für blauäugig. Die CDU/CSU machte 1980 den Entspan­nungs­gegner Franz-Josef Strauß zum Kanzlerkandidat, trotzt des Afghanistankrieges verlor sie aber Stimmen und die Wahl gegen Helmut Schmidt. Schmidt trat seinerseits weiter für die Nachrüstung ein, verlor aber zunehmend an Zustimmung in seiner Partei (nachdem Schmidt 1982 nach dem Rückzug der FDP aus der Regierung sein Amt verlor, stimmten auf einem SPD-Parteitag 386 der 400 Delegierten gegen die Nachrüstung). Große Teile der Friedens­bewegung verurteilten den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, insbesondere die Grünen nutzten ihn auch zur Abgrenzung von Aktivisten der von der DDR unterstützten "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP), verurteilten aber – im Unterschied zur CDU/CSU – auch die Unterstützung für die Mudschaheddin.

282: Auch in der DDR entstand ab 1980 unter dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen" eine unabhängige Friedensbewegung, die wiederum Kontakte zu den westdeutschen Grünen unterhielt. So entrollten im Mai 1983 fünf Bundestagsabgeordnete der Grünen – darunter deren erste Bundessprecherin Petra Kelly – anlässlich einer Konferenz der Friedensbewe­gung in Westberlin auf dem Ostberliner Alexanderplatz ein Transparent mit der Aufschrift "DIE GRÜNEN – Schwerter zu Pflugscharen" und trafen sich nach ihrer vorübergehenden Festnahme mit DDR-Oppositionellen.

290: Vorausgegangen war der Gründung im Juni 1979 ein neuntägiger Besuch des aus Polen stammenden Papst Johannes Paul II., den geschätzte zehn Millionen Menschen auf den Straßen begeistert gefeiert hatten. Dieser Besuch machte der polnischen Gesellschaft ihre Kraft und Würde bewusst, und gilt polnischen Soziologen als Voraussetzung für die Gründung der Solidarność, die als Folge einer Streikbewegung von Arbeitern u.a. in der Danziger Leninwerft und mit Unterstützung weiter Teile der katholischen Kirche erfolgte. 1983 reiste der Papst erneut nach Polen und traf dort auch Lech Wałęsa, den Vorsitzenden der verbotenen Solidarność (und späteren Staatspräsidenten). 1987, bei seinem dritten Besuch, besuchte er Danzig, das als Symbol für Solidarność galt, womit er den weiter gegen die Regierung protestierenden polnischen Arbeitern Rückendeckung gab. Die Ereignisse in Polen gelten als wegweisend für die Erosion des Sozialismus, die schließlich zu seinem Zusammenbruch führte.


Nach dem Kalten Krieg

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2906: Ein Beispiel war in Deutschland die Übernahme von Mannesmann durch Vodaphone im Jahr 2000.

2910: Der Kampfeinsatz im Kosovo war auch der erste – im Rahmen der neuen NATO-Strategie stattfindende – deutsche Militäreinsatz im Ausland. Grundsätzlich hatte des Bundesverfassungsgericht 1994 Auslandseinsätze der Bundeswehr "in einem System gegenseitiger Sicherheit" genehmigt, aber an die Zustimmung des Deutschen Bundestags gebunden. Vor allem die seit 1998 mitregierenden GRÜNEN mit ihrer pazifistischen Tradition taten sich schwer mit einer Zustimmung. Auf einem Sonderparteitag 1999 warb der grüne Außenminister Fischer mit dem Verweis auf das Massaker von Srebrenica 1995 und dem Slogan "Nie wieder Völkermord", der neben dem "Nie wieder Krieg" stehen müsse, für den Kriegseinsatz. DIE GRÜNEN stimmten dem Kampfeinsatz zu (siehe Bericht des Redaktions­netzwerks Deutschland).

2912: Zwei Jahrzehnte später gab es in Russland über 100 Milliardäre (laut Forbes-Liste, zitiert nach Bundeszentrale für politische Bildung: Wirtschaftseliten und Politik in Russland ]eingesehen 21.12.2021].

2914: Ivan Krastev und Stephen Holmes, die sich 2019 ihn ihrem Buch "Das Licht, das erlosch" mit der Frage beschäftigten, warum die Entwicklung in Russland nicht so gekommen ist, wie viele nach dem Ende der Sowjetunion dachten, sprechen von einer "simulierten Demokratie", die vor allem den Druck westlicher Regierungen und NGOs reduzieren sollte, auf deren Hilfe Russland angewiesen war (Ivan Krastev und Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Ullstein 2019, S. 119 f., S. 138 ff.).

2916: Für Krastev und Holmes (siehe Anm. 2914) ist ein (scheinbares) Paradox, das beim Verständnis Russland hilft: Warum ließ Putin die Wahlen manipulieren, wenn er sie ohnehin gewonnen hätte? Wahlen, bei denen keine echte Alternative zugelassen bzw. von den Oligarchen unterstützt werden durften, zeigten nach Krastev und Holmes zum einen der Bevölkerung, dass es keine Alternative zu Putin gab (weshalb sie den Status quo, z.B. die Korruption im Land, akzeptierte); zum anderen gaben sie den regionalen Kadern die Mög­lich­keit, ihre Loyalität und Fähigkeiten zu demonstrieren: wem es gelang, die gewünschten Wahlergebnisse zu erzeugen, war für den Aufstieg geeignet. Der Welt zeigten sie zudem den Zusammenhalt und die Solidarität im Putin-Land (in Tschetschenien, das bis 1999 faktisch unabhängig gewesen war, aber 1999/2000 von russischen Streitkräften wieder unter russische Kontrolle gebracht wurde, erreichte Putin etwa Wahlergebnisse von über 95 Prozent). Mit der Manipulation von Wahlen bewies sich Putin zudem als Mann mit Durchsetzungsvermögen und gewann "autokratische Autorität" – das war so leichter als mit der Lösung der Probleme des Landes.

2918: Für Krastev und Holmes (siehe Anm. 2914) ist die russische Wirtschaftskrise der große Unterschied zu Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, wo das "Wirtschafts­wunder" die Akzeptanz der liberal-demokratischen Ordnung beförderte, während in Russland nichts den Verlust des Geburts- und Vaterlandes (der Sowjetunion) ausglich – nicht nur war Russland kleiner, sondern 25 Millionen Russen fanden sich auf einmal im Ausland wieder. Anders als in Osteuropa war die Sowjetunion in Russland kein ausländischer Besatzer gewesen, von dem man befreit worden war; zumal sich auch die politische Führung kaum geändert hatte (auch Boris Jelzin war Mitglied im Politbüro der KPdSU gewesen). Viele Russen fühlten sich daher von ihren Eliten, die den Zerfall des Vaterlandes nicht verhindert hatten, verraten. Daher konnte Putin darauf hoffen, mit einer nationalistischen Politik, die die Folgen des Untergangs des Kommunismus (dem nur wenige nachtrauerten) bekämpfte, zu punkten. Er erkannte das Ende der Sowjetunion als "tragische Niederlage" an, womit er sich von Jelzin (der vielen mittlerweile als "Kollaborateur" des Westens galt) abgrenzte und seinen Landsleuten ermöglichte, nicht mehr so tun zu müssen, als sei die "Wende" etwas Gutes für sie gewesen.

2920: Die NATO-Osterweiterung wird heute oft als Ursache für die Konflikt zwischen Russlands Putin und dem Westen diskutiert. Dass hierin ein erhebliches Konfliktpotenzial lag, war der NATO auch bekannt: Schon 1991 wollten die ersten ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts der NATO beitreten, sie wurden aber genau aus diesem Grund von der NATO zunächst hingehalten. Aber der Putschversuch gegen Gorbatschow im Sommer 1991 und die Balkankriege ließen das Verständnis für die Beitrittswünsche steigen – man wollte die Staaten Ostmitteleuropas nicht sich selber überlassen und eine Region der Instabilität riskieren. Der Konflikt mit Russland sollte mit der Einrichtung des NATO-Russ­land-Rates abgemildert werden, und Georgien und die Ukraine blieben – aus Rücksicht auf russische Empfindlichkeiten – außen vor.

2940: Für Krastev und Holmes (siehe Anm. 2914) ist es vielen Angehörigen der russischen Eliten völlig egal, ab sie mit ihrem Vorgehen strategische Gewinne erzielen oder nicht (S. 134), Putin reiche es, zu zerstören, was Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hat (S. 138), auf der Weltbühne den Spielverderber zu geben (S. 169). "Entflammbare Gefühle" helfen Putin zudem, an der Macht zu bleiben (S. 168).

2942: Die Münchener Sicherheitskonferenz ist eine seit 1963 jährlich in München stattfindende Tagung von Verteidigungs-, Sicherheits- und Außenministern  und -experten, die hier informelle Gespräche führen können.

2958: Krastev und Holmens (siehe Anm. 2914) weisen darauf hin, dass die Sowjetunion und China völlig unterschiedliche Deutungen zum Scheitern des Kommunismus hatten: für Gorbatschow und seine Anhänger ging es auf das Versagen der Kommunistischen Partei bei der Umsetzung sozialistischer Ideen zurück; die Chinesen zweifelten hingegen an den ökonomischen Kernvorstellungen des Marxismus, hielten aber die Kommunistische Partei weiterhin für fähig, Macht auszuüben und die Zukunft des Landes zu gestalten. Daher hielt China an der zentralisierten und geeinten Parteiführung fest.

2964: So bezeichnete der Larry Summers, Präsident der Harvard University und bis 2001 Finanzminister im Kabinett von Bill Clinton, im Jahr 2005 den Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds. (Summers schadete das nicht: 2008 wurde er dann Nationaler Wirtschaftsberater der Regierung Obama.)

2972: Krastev und Holmens (siehe Anm. 2914) gehen davon aus, dass China tatsächlich keine Ideologie exportieren will. Sie erklären dies mit der unterschiedliche Wahrnehmung der Welt jenseits der Landesgrenzen: die USA sehen sich als Schmelztiegel, fremde Kulturen werden assimiliert (und daher wollen Amerikaner missionarisch Anhänger gewinnen); die Chinesen bleiben auch in der Emigration zwar ökonomisch integriert, kulturell aber in Chinatowns isoliert (und halten die eigene Kultur für besonders und nicht universell übertragbar). Die chinesische Haltung schließe zwar Machtanspruch nicht aus, strebe aber nicht an, das eigene Wertesystem zu exportieren.

2974: 1997 war Hongkong (nach Ablauf des für 99 Jahre gültigen Pachtvertrags von 1898 für die New Territories, die rund 90 Prozent der Fläche der Kolonie ausmachten) an China zurückgefallen. Im Gegenzug zur Rückgabe auch der Insel Hongkong (die China "für alle Zeiten" abgetreten hatte) hatte China in einer Erklärung von 1984 aber zugesagt, dass Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges System unverändert beibehalten könne. Seit dem Amtsantritt Xi Jinpings versuchte China aber, verstärkt Einfluss in der Stadt zu gewinnen, Freiheitsrechte wurde immer weiter eingeschränkt. Als Regierungschefin Carrie Lam 2019 ein Gesetz ins Parlament einbrachte, wonach künftig Straftäter an China und Taiwan ausge­liefert werden dürften, um dort vor Gericht gestellt zu werden, demonstrierten eine Millionen Menschen (jeder siebente Bewohner Hongkongs) gegen das Gesetz, acht Tage später bereits zwei Millionen Menschen. Aber am 1. Juli (dem Jahrestag der Rückgabe Hongkongs) schlagen die Proteste zum ersten Mal in Gewalt um, die Unruhen sollten ein halbes Jahr anhalten und 7.000 Demonstranten vorübergehend festgenommen worden. 2020 ließ die Corona-Pandemie die Proteste abflauen, im Juni verabschiedete dann der Nationale Volkskongress (Chinas Scheinparlament) ein Sicherheitsgesetz für Hongkong, nach dem chinesische Polizei und Geheimdienste auch in Hongkong ermitteln und Ange­klagte auch in China vor Gericht gestellt werden konnten. Mit dem Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" war es vorbei.

2976: Siehe zum Beispiel ZEIT online 2.1.2019

2978: Volkswagen lieferte dabei ein unglückliches Bild: 2019 behauptete der VW-Vor­stands­vorsitzende Herbert Diess in einem BBC-Interview, ihm sei nicht bewusst, dass es Umerziehungslager für rund eine Million Uiguren gäbe. Im November 2020 sagte der Volks­wagen-China-Chef Stephan Wöllenstein der ARD, dass VW "diese Reports" natürlich kenne und auch ernst nehme, aber bei Prüfungen weder im Werk in Urumqi noch bei Zulieferern Hinweise auf Zwangsarbeiter aus Internierungslagern gefunden habe.

2982: Krastev und Holmes (siehe Anm. 2914) sagen dazu, dass der Kreml möglicherweise denkt, auf diese Weise "höchste pädagogische Standards" zu bedienen, weisen aber darauf hin, dass nicht alle gedachten amerikanischen Missetaten wirklich welche sein müssen (Putin sehe auch die Demonstrationen gegen die Wahlfälschungen 2011/2012 als vom Westen inszeniert, da es ihm schlicht unmöglich sei, sich vorzustellen, dass Massen von alleine in Bewegung kommen) und vor allem, dass die Strategie nicht zukunftsorientiert sei (ihr fehle ein zu erreichendes Ziel, aber Misstrauen, Verschwörungstheorien und den Verlust jeglicher Basis für eine gegen­seitige Verständigung zur Folge hätte. So ging es etwa Russland bei der Unterstützung Trumps im amerikanischen Wahlkampf nicht in erster Linie darum, dass Trump gewinnt – es sollte der Welt vor allem zeigen, dass Russland sich in den Wahlkampf einmischen kann (weshalb die Erkenntnisse des FBI hierüber dann auch nur halbherzig dementiert wurden). Auch die Lügen etwa über russische Spezialkräfte auf der Krim und in der Ostukraine, die gut dokumentiert sind, dienen daher nicht in ersten Linie der Fehlinformation, sondern um den Westen seine Machtlosigkeit aufzuzeigen: wir lügen, und ihr könnt nichts dagegen machen. Eine gut durchdachte Strategie steckt aber nicht dahinter: "Putin spielt sein schwaches Blatt zugegebenermaßen durchaus geschickt, aber es bleibt ... ein schwaches Blatt." Selbst wenn des Russland gelingen sollte, den Westen auseinanderbrechen zu lassen, würde dies Russland kaum Vorteile bringen. Und wenn man dem vermeintlich amoralischen Amerika entgegentreten will, indem man selber alle Hemmungen über Bord wirft und etwa in Syrien gezielt Krankenhäuser bombardiert, wird man nicht unbedingt attraktiver.

2984: Ivan Krastev und Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Ullstein 2019.

2988: Orbán erklärte 2018, dass die Ungarn so sein wollen, wie sie vor 1.100 Jahren im Karpatenbecken wurden. Krastev und Holmes (siehe Anm. 2994) weisen darauf hin, dass es von diesen Vorfahren kaum eine Spur gibt. Wenn über ihr Leben kaum etwas bekannt ist, welche Tradition genau will man damit begründen? Wie etwa will man die genetischen Hinterlassenschaften der Völkerwanderung, die auch in Ungarn zu finden sind, wieder loswerden? Tatsächlich hat Ungarn im Kalten Krieg seine Opposition zu manchen Ideen der Sowjetunion noch mit seiner liberalen europäischen Tradition begründet, heute soll die ungarische Tradition genau den Widerstand dagegen begründen. Das geht alles – wenn man die Nationalgeschichte nur immer so umschreibt, wie man sie gerade braucht.

2990: Ein Ausdruck von Ivan Krastev und Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Ullstein 2019.

2994: Am 6.1.2021 erstürmten Anhänger von Donald Trump das Kapitol in Washington: ihr Ziel war es, die förmliche Bestätigung des Wahlsiegs Joe Bidens, des Präsidentschafts­kandidaten der Demokratischen Partei,  zu verhindern. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben. Trump, der schon in den Wochen zuvor zum "totalen Krieg" gegen das Wahlergebnis aufgerufen hatte, hatte zuvor auf einer Kundgebung wahrheitswidrig behauptet, der Wahlsieg Bidens sei auf Wahlmanipulation durch die Demokraten zurückzuführen und seine Anhänger aufgefordert, zum Kapitol zu ziehen. (Trump hat dabei angekündigt, selber mitzugehen – fuhr aber nach der Rede zurück ins Weiße Haus.) Als die Ausschreitungen bereits in vollem Gang waren, weigerte sich Trump, einen von der Capitol Police und der Washingtoner Bürgermeisterin angeforderten Einsatzbefehl für die Nationalgarde zu geben, um die von Demonstranten eingeschlossenen Polizeikräfte zu unterstützen. Für diesen Befehl sorgte daraufhin (der selbst im Kapitol eingeschlossene) Vizepräsident Mike Pence. (Als das bekannt wurde, skandierten Gruppen von Trump-Anhängern vor dem Kapitol: "Hängt Mike Pence!") Mit Hilfe der Nationalgarde konnten die Trump-Anhänger wieder aus dem Kapitol vertrieben werden, der Wahlsieg Joe Bidens wurde bestätigt.


Vom Bauern zur industriellen Landwirtschaft

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1600: Stickstoff wird auch zur Herstellung von Schießpulver und Sprengstoff benötigt, und die von der BASF errichtete Fabrik produzierte zunächst Ammoniak zur Herstellung von Schießpulver – ohne diese Produktion wäre der erste Weltkrieg vermutlich bald zu Ende gewesen.

1601: Der geringe Anteil der in Landwirtschaft Beschäftigten in den Industriestaaten täuscht allerdings etwas: Heute arbeiten viele Menschen in der Lebensmittelindustrie, wo sie Arbeiten ausführen, die früher direkt auf dem Bauernhof getan wurden.


Die Folgen der industriellen Landwirtschaft

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1650: Ohne Frage ist die Lebensmittelsicherheit in den letzten Jahrhunderten besser geworden, hat also die Wahrscheinlichkeit, durch Lebensmittel zu erkranken oder gar zu sterben, abgenommen. Das liegt vor allem an besserem Wissen, so wissen wir viel mehr über Mikroorganismen als Erreger von Verderb und Fäulnis oder als Krankheitserreger. Mit der Entstehung einer industrialisierten Landwirtschaft und einer industriellen Lebensmittelverarbeitung sind aber auch neue Gefahren entstanden: Vor allem betreffen Fälle etwa von Lebensmittelvergiftungen jetzt viel mehr Menschen, und sie können sich viel schneller ausbreiten. Zudem entstanden neue Gefahren, so sind beispielsweise durch den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung viele Stämme inzwischen gegen Antibiotika resistent, war ihre Bekämpfung erschwert.

Auch entstanden durch geänderte Tierhaltung neue, gefährlicherere Erregerstämme. Ein Beispiel ist der Stamm O157:H7 des Darmbakteriums Escherichia coli. E. coli lebt im Darm von Tieren (und Menschen); da es mit den Verdauungsprodukten ausgeschieden wird, ist es in Wasser ein Anzeiger für Verschmutzung von Fäkalien. Im Darm ist E. coli normalerweise harmlos bis hilfreich, da es die Ausbreitung anderer Keime behindert. Aber E. coli ist ein Bakterium (>> mehr), und als solches kann es genetisches Material mit anderen Bakterien austauschen – auch mit solchen, die giftig sind für Menschen. Irgendwann in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts geschah ein solcher Austausch mit Bakterien der Gattung Shigella, dem Auslöser der Bakterienruhr. Dabei erwarb dieser Stamm die Fähigkeit von Shigella, blutige Durchfälle auszulösen. Diese wäre noch kein Problem gewesen, denn normalerweise wird E. coli beim Menschen von der Magensäure in Schach gehalten. Aber in Folge der industriellen Tierhaltung war die Fütterung vieler Rinder, in denen E. coli hauptsächlich lebt, von Weidegras auf Kraftfutter wie Mais und Soja umgestellt worden, und der Mageninhalt der Rinder dadurch saurer geworden. E. coli gelang es, sich diesem saureren Mageninhalt anzupassen, und irgendwann kamen auch säureresistente und durchfallerregende E. coli zusammen, und der Stamm O157:H7 war entstanden: säureresistent und durchfallerregend ist er der wichigste Vertreter einer neuen Klasse der E. coli-Bakterien, die heute auch als EHEC (für enterohämorragische Escherichia coli) bekannt sind und gefährliche, blutige Durchfallerkrankungen auslösen können – sie gehören inzwischen zu den häufigsten Lebensmittelvergiftungen, alleine in Deutschland gibt es über eintausend Erkrankungen im Jahr.

Die industrielle Schlachtung und Verarbeitung von Tieren vergrößert die Gefahren noch: Bei der mechanischen Zerlegung von Rindern wächst die Gefahr, dass der Darm beschädigt wird, die großindustrielle Verarbeitung erleichtert die Ausbreitung: So besteht etwa das Hackfleisch eines Hamburgers aus dem Fleisch vieler verschiedener Tiere. Die Industrie versucht, das Risiko durch die Anwendung rigoroser Hygienemaßnahmen zu verringern; unter anderem der Anwendung eines HACCP-Konzeptes (von engl. Hazard Analysis and Critical Control Points, Gefahrenanalyse und kritische Lenkungspunkte – gemeint ist die Identifikation von Schritten im Herstellungsprozess, bei denen Gefahren kontrolliert und ggf. gehandelt werden kann). Aber diese Konzepte sind aufwändig und leiden offenbar unter dem Preisdruck in der Industrie – jedenfalls zeigen die zahlreichen Fälle von Lebensmittelvergiftungen, dass sie das industrielle Risiko nicht ganz ausschalten können.

Übrigens sind auch Vegetarier nicht von EHEC geschützt: Im Jahr 2006 konnte eine Häufung von Erkrankungen in den USA auf kalifornischen Spinat zurückgeführt werden. Wie der Spinat verunreinigt wurde, konnte nicht geklärt werden – Fäkalien einer benachbarten Rinderfarm, verunreinigtes Hoch- oder Bewässerungswasser und ziehende Vögel oder andere Wildtiere, die das Spinatfeld überquerten, werden als Ursache vermutet. Gemüse, das wie junger Spinat auch roh als Salat verzehrt werden kann, ist noch gefährlicher als etwa Fleisch, wo ausreichendes Braten die Erreger abtötet.

Quelle: Die Geschichte von O157:H7 stammt aus Paul Roberts: The End of Food. New York 2008.

1651: Grippeviren sind sehr variable Erreger, und die schlimmsten Grippeepidemien in der menschlichen Geschichte gehen auf Tiergrippen zurück, die auf Menschen übergesprungen sind (>> mehr). Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Virus die Artengrenze überspringt, ist um so größter, je mehr Tiere mit vielen Menschen auf engem Raum zusammenleben. Das ist oftmals in Ostasien der Fall: Während in Amerika und Europa die Tierzucht historisch an Landbesitz gebunden war und in letzter Zeit zwar zentralisiert wurde, aber im ländlichen Raum blieb, entstand die Massentierhaltung im bevölkerungsreichen Asien auf Basis von Importfutter, und daher in der Nähe von Häfen und Kunden – also in oder im Umland von großen Städten. So sind die Zentren der Hühner- und Schweinezucht in Asien Shanghai, Bangkok, Hongkong und Jakarta. Für viele Fachleute ist es daher nur eine Frage der Zeit, bis eine neue, für den Menschen gefährliche Grippewelle entsteht; und dann werden neue Ausbreitungsmöglichkeiten mit weltweitem Flugverkehr gegen die modernen pharmazeu­tischen Möglichkeiten stehen.
(Diese Anmerkung stammt aus dem Jahr 2011; im Jahr 2020 ist sie mit dem SARS-CoV-2-Virus leider eingetreten, wenn auch nicht als Grippewelle, sondern als eine Lungenkrank­heit [die seit der SARS-Epidemie in der chinesischen Provinz Guangdong 2002 als ebenso möglich galt].)

1680: Daten für die USA nach Richard Heinberg und Michael Bomford, The Food and Farming Transition: Towards a Post-Carbon Food System. Post Carbon Institute, Sebastopol 2009.

1690: nach David Pimentel, zitiert aus >> Löwenstein 2015.


Die Bevölkerung der Erde

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440: In England wurde auch berichtet, dass eine solche "Inokulation" auch in China üblich sei, und dass auch Bauern aus Polen und Dänemark so vorgingen. Wie wir heute wissen, war die Praxis in China und Arabien schon mindestens viele hundert Jahre bekannt.

442: Dass "Schmutz" auch in scheinbar sauberen Umgebungen vorkommt, hatte Mitte des 19. Jahrhunderts der ungarndeutsche Geburtshelfer Ignas Semmelweis erkannt: In Semmelweis' Klinik, in der hochqualifizierte Ärzte arbeiteten, starben etwa 10 Prozent der Mütter an Kindbettfieber, in einer anderen Klinik, in der nur Hebammen arbeiteten, nur etwa 2,5 Prozent. Als ein Kollege von Semmelweis nach einer Autopsie, bei der er versehentlich mit einem Skalpell verletzt worden war, mit ähnlichen Symptomen wie die Mütter starb, vermutete er die Übertragung von "Leichengiften" als Ursache (was auch hohe Sterberate in seinem Krankenhaus, wo die Ärzte Autopsien durchführten, im Vergleich zu dem mit den Hebammen, die dieses nicht machten, erklären konnte). Er führte das Händewaschen mit Chlorkalklösung zur Desinfektion ein – und fast sofort fiel die Todesrate in seinem Kranken­haus auf das Niveau der anderen Klinik. Während die einen Semmelweis als "Retter der Mütter" feierten, lehnten viele Ärzte sein Vorgehen ab – die "Leichengifte" erinnerten sie an die überholte Theorie des italienischen Arztes Girolamo Fracastoro erinnert, der geglaubt hatte, Krankheiten würden durch winzige "animalcula" und "vermiculi" (Tierchen und Würm­chen) übertragen. Semmelweis' Arbeitsvertrag wurde nicht verlängert, und auch eine 1861 veröffentlichte Arbeit sein Vorgehen wurde heftig kritisiert. Semmelweis wurde schließlich mit einem Nervenzusammenbruch in eine Irrenanstalt eingeliefert, wo er mit 47 Jahren an einer Blutvergiftung starb. (Zwei Jahrzehnte später sollten Louis Pasteur und Robert Koch zeigen, dass er mit seiner Grundidee recht hatte.)

444: Ob die Cholera vor 1817 nur in Asien vorkam, ist aufgrund neuer Untersuchungen zur Naturgeschichte der Cholera nicht mehr ganz sicher. Möglicherweise waren Cholera-ähnliche Epidemien auch vor 1817 schon Cholera (Christian W. Mc Millen: Pandemics: A Very Short Introduction. Oxford University Press 2016).

445: Im Zusammenhang mit der Cholera-Pandemie 1831 kam es in London zu Angriffen auf Ärzte, denen die besonders betroffenen Armen vorwarfen, sie zu vergiften, um so zu Körpern als Anschauungsmaterial für den Anatomieunterricht zu kommen; in Frankreich wurde dagegen den Reichen vorgeworfen, die Cholera diene dazu, sich der Armen zu entledigen. (Christian W. Mc Millen: Pandemics: A Very Short Introduction. Oxford University Press 2016) (Man fühlt sich an manche Behauptungen anläßlich der COVID 19-Pandemie 2019/2020 erinnert ...)

446: Pasteur schlug vor, die Bakterien durch Erhitzen abzutöten – vermutlich die erste Anwendung der Pasteurisation.

448: Bereits Davaine hatte im Grunde gezeigt, dass Bakterien Krankheiten übertragen konnten. Der britische Mediziner Joseph Lister nutzte Davaines Erkenntnisse und tötete vor dem Anlegen von Verbänden Mikroorganismen mit Karbolsäure ab, womit er zum "Vater der antiseptischen Chirurgie" wurde. An Davaines Theorie blieben aber Zweifel, da nicht erklärt werden konnte, wie Bakterien dazu führen könnten, dass Milzbrand so hoch ansteckend war. Das gelang erst Koch mit der Entdeckung der Sporen.

450: Zusammenfassung des Beitrags von Kathrin Maas: "Seuche aus der Elbe", SPIEGEL Edition 2/2020, S. 74 ff., ergänzt um den Einfluss Max von Pettenkofers aus Christian W. Mc Millen: Pandemics: A Very Short Introduction. Oxford University Press 2016.

480: Dahinter stand nicht immer Desinteresse, sondern auch die Frage, ob es nicht andere Krankheiten gäbe, gegen die der Einsatz dringender sei.

490: Michael Worobey et al.: Genesis and pathogenesis of the 1918 pandemic H1N1.  PNAS. Band 111, Nr. 22, 2014, S. 8107–8112.

494: AIDS ist bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert in Zentralafrika – vermutlich durch den Verzehr eines als "bushmeat" erlegten Schimpansen, wo ein sehr ähnlicher Simian Immunodefiiciendy Virus (SIV) vorkommt – auf den Menschen übergesprungen. Um das Jahr 1920 hat der Virus die damals belgische Stadt Léopoldville (das heutige Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo) und das auf der gegenüberliegenden Seite des Kongo liegende französische Brazzaville (in der heutige Republik Kongo) erreicht. Impfungen, die die Kolonialmächte damals durchführen ließen, haben vermutlich die Verbreitung beschleu­nigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten beide Städte eine Boomzeit; 1960 war Léopold­ville mit 400.000 Einwohnern die größte Stadt Afrikas. Nach der Unabhängigkeit des bel­gischen Kongo und der darauffolgenden Kongokrise verließen viele Weiße die Stadt, die eine Wirtschaftskrise. In der Folge entstanden viele Bordelle: Prostituierte wurden zur wichtig­sten Ansteckungsquelle, ihre Kunden brachten die Krankheit in ihre Familien (Schwangere können die Krankheit auf ihre Kinder übertragen). In Afrika war heterosexueller Geschlechts­verkehr seither der bedeutendste Ansteckungsweg für AIDS. Um das Land bei seiner Unabhängigkeit zu unterstützen (die Belgier hatten die Einheimischen nie ausge­bildet), heuerte die UN Verwaltungsfachleute und Lehrer an, alleine 4.500 aus Haiti. Mit diesen gelangte AIDS nach Haiti. Von hier aus hat es sich mit infiziertem Blutplasma und/oder homosexuelle amerikanische Sextouristen in die Welt verbreitet, wo es dann 1981 entdeckt wurde. (Donald G. McNeil Jr.: Chimp to Man to History Books: The Path of AIDS. New York Times 17.10.2011 – eine Besprechung des Buchs “The Origins of AIDS von Dr. Jacques Pépin, Cambridge University Press 2010)

496: Zwei Beispiele: Kate E. Jones: Global trends in emerging infectious diseases, Nature Bd. 451, 2008, S. 990–993; Christine K. Johnson et al.: Global shifts in mammalian population trends reveal key predictors of virus spillover risk. Proceedings of the Royal Society B (Biological Sciences), 2020, https://doi.org/10.1098/rspb.2019.2736.

498: Wong AC, Li X, Lau SK, Woo PC (February 2019). "Global Epidemiology of Bat Coronaviruses". Viruses. 11 (2): 174.

Spezifische Quellen zu "Der Kampf gegen die Infektionskrankheiten":

- SPIEGEL Edition 2/2020: Pest, Cholera, Corona. Die größten Epidemien aller Zeiten,

- National Geographic 08/2020: Richard Conniff: History of Pandemics. S. 40 ff.
  (englischsprachig),

- Christian W. McMillen: Pandemics: A Very Short Introduction. Oxford University Press
  2016 (englischsprachig, mit weiteren Literaturhinweisen im Literaturverzeichnis).


Alexander von Humboldt

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2510: Neuandalusien (Nueva Andalusia) war eine der sieben Provinzen des Generalkapitanats Venezuela, einer Verwaltungseinheit des Vizekönigreichs Neugranada (Nueva Granada), das ungefähr die heutigen Staaten Venezuela, Kolumbien, Panama und Ecuador umfasste und mit den drei weiteren Vizekönigreichen Neuspanien, Peru und Río de la Plata die spanische „neue Welt“ bildete.

2512: An Bord der Pizarro war kurz vor Erreichen der amerikanischen Küste Typhus ausgebrochen, viele Besatzungsmitglieder lagen im Delirium, ein neunzehnjähriger Spanier war gestorben.

2515: Humboldt war nicht nur ein Gegner des Sklavenhandels, sondern wies auf immer wieder auf die schlechte Behandlung der Indios insbesondere durch die Missionare hin (die oftmals indianische Kinder entführten, um sie in den Missionsstationen zu einem "christlichen" Leben zu erziehen). Erst das Leben in den Missionen, wo alles bei drakonischen Strafen fest geregelt war, habe die Indios in gehorsame, aber stupide Geschöpfe verwandelt; außerhalb des Einflusses der Missionare seien sie aber ganz anders. Oft freute er sich dort an "den wunderbaren indianischen Späßen", und erkannte eine reiche (und selbst für wissenschaftliche Zwecke) geeignete Sprache. Im fiel auf, dass die Indios "jede andere Indianersprache" spielend leicht erlernen konnten und diese einen gemeinsamen "inneren Mechanismus" haben. Auch gegen Schillers (scheinbar wohlmeinende) Ansicht, dass Indios "wie die Kinder" behandelt werden sollten, wehrte er sich aus diesem Grund.

2520: Von den elektrischen Aalen hatte ihnen Carlos del Pozo erzählt, den sie in dem Ort Calabazo kennengelernt hatten. Del Pozo hatte eine ganze Reihe modernster Messgeräte und Maschinen selbst gebaut, nachdem er in Zeitungen von den Forschungen de la Fonds und Benjamin Franklins erfahren hatte. Humboldt hielt ihn für ein Genie und schrieb an den Generalkapitän in Caracas mit der Bitte, sich seiner fördernd anzunehmen.

2530: Loren A. McIntyre hat Humboldts Vermessungen überprüft und festgestellt, dass seine Breitenmessungen sehr genau waren, seine Längenmessungen aber falsch lagen – am Orinoco um 71 Kilometer. Grund hierfür war wohl, dass sein Chronometer falsch ging (die Längenmessung ist von einer genauen Zeitmessung abhängig) – ein Zeitfehler von einer Minute bedeutet hier eine Abweichung von 28 Kilometer.

2535: Als John Sydney Trasher, ein überzeugter Anhänger der Sklaverei, der das Buch ins Englische übersetzte, Humboldt im Dezember 1855 eine Ausgabe schickte, bemerkte der 86-jährige Humboldt sofort, dass er das Kapitel über die Sklaverei einfach gestrichen hatte. Er lud daraufhin die wichtigsten amerikanischen Korrespondenten ein, um sich hiergegen zu wehren: Auf das Kapitel über die Sklaverei lege er "eine weit größere Wichtigkeit" als auf alle astronomischen, magnetischen, botanischen und statistischen Angaben. Zugleich wies er darauf hin, dass die spanische Gesetzgebung zur Zeit seiner Reise weniger grausam war als die im "festländischen Amerika" – dass die USA so lange an der Sklaverei festhielten, war für den menschenrechtsbewegten Humboldt die größte Enttäuschung, die er den unabhängigen USA immer wieder vorwarf. (In der deutschen Übersetzung des Reisewerks von 1858/1860 fehlt das Kuba-Buch ganz – dageben konnte Humboldt sich nicht mehr wehren, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war er bereits gestorben.)

2538: José Celestino Mutis leitete seit 1783 die "Königlich-botanische Expedition von Neugrandada", der der die Flora dieser Region erforscht werden sollte und hatte rund 20.000 Pflanzen gesammelt (die heute im botanischen Garten in Madrid liegen). Von 6.480 Pflanzen wurden Illustrationen in Farbe angefertigt. Allerdings wurden die Ergebnisse dieser Expedition nie wissenschaftlich ausgewertet, und erst in den Jahren 1954 bis 2010 wurden die Illustrationen unter dem Titel "Flora de la Real Expedicion del Nuevo Reino de Granada" in 49 Bänden veröffentlicht (als PDF einsehbar unter http://bibliotecadigital.aecid.es/ bibliodig/es/consulta/registro.cmd?id=3148).

2539: Der Guatavita-See ist ein wassergefüllter Meteoritenkrater. Der Sage nach war das Volk der Chibcha Zeuge des Meteoriteneinschlages, und fortan opferte jeder neu gekorene Herrscher dort dem Sonnengott goldene Gaben. Dazu wurde der Herrscher mit Gummisaft eingerieben und mit Goldstaub überpudert, so dass er in der Sonne glänzte, als wäre er aus Gold (El Dorado = "Der Goldene"). Von dieser Sage hörten die Spanier und versuchten, an das im See liegende Gold zu gelangen. Noch heute kann man den Stichgraben sehen, mit dem Antonio de Sepùlveda 1581 den See trockenlegen wollte. Der Graben stürzte ein und begrub viele Arbeiter, und auch spätere Versuche scheiterten weitgehend – am spektakulärsten vielleich der von 1899: eine eigens gegründete Aktiengesellschaft ließ eine Stollen in die Flanke des Sees stechen; das Wasser lief auch ab, aber der Schlamm am Seegrund wurde in der Sonnenhitze betonhart und verstopfte den Stollen, so dass der See wieder volllief. Seit 1965 steht der See als Teil des nationalen Erbes unter Schutz.

2540: Die andere Denkrichtung waren die "Neptunisten", die glaubten, die Gesteine seinen durch Ablagerungen in den Weltmeeren entstanden. Heute wissen wir, dass beide Vorgänge eine Rolle gespielt haben (>> Planet Erde).

2550: Humboldt hat nach seiner Barometermessung eine Höhe von 5.920 Metern erreicht. Spätere Bergsteiger, darunter der Erstbesteiger Edward Whymper (der 1880 den Gipfel erreichte) und Reinhold Messner, bezweifeln dies; nach Messner ist Humboldt höchstens 5.600 Meter hoch gekommen. Dabei muss man bedenken, dass Humboldt kein Bergsteiger gewesen ist, und seine Besteigung in preußischem Rock und Straßenstiefeln durchgeführt hat – dann sind auch 5.600 Meter eine grandiose Leistung.

2553: Das heißt nicht, dass sich in den tropischen Gebirgen die Klima- und Vegetationszonen wiederholen, die es zu den Polen hin gibt: Es gibt etwa oberhalb des tropischen Regenwaldes anstelle der wechselfeuchten Savanne ein ständig feuchte, kalte Zone. Humboldt nannte sie Páramos, und so heißt sie heute noch. Eine typische Wuchsform sind Schopfrosettenpflanzen wie Espeletia-Arten.

2555: Chinarinde kann das "Wechselfieber" zwar nicht heilen, aber die Fieberanfälle lindern. Sie blieb bis 1925, als die ersten synthetischen Malariamittel entwickelt werden, das einzige wirksame Medikament gegen Malaria. Die Nutzung in Südamerika war übrigens zumeist illegal, denn die Rinde durfte nur für die "königliche Apotheke" geerntet und nach Cádiz verschifft werden. Für Humboldt war dies ein weiterer Beleg dafür, dass der Kolonialismus nur dem Mutterland dient.

2558: Auch die Geschichte des Guano, der aus der Reaktion von Exkrementen von Seevögeln (die aufgrund der reichen Fischbestände im Humboldt-Strom an der peruanischen Küste sehr zahlreich vorkamen) mit Kalkstein entsteht, ist eine der Naturzerstörung. Zwar gab es ab etwa 1870 mit Salpeter aus der Atacama-Wüste und ab Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Erfindung des >> Haber-Bosch-Verfahrens Alternativen, aber als sich die Guano-Bestände nach dem Geschmack der Exporteure zu langsam erneuerten, kamen sie auf die Idee, den Fisch ohne den Umweg über Vögel direkt zu Dünger zu verarbeiten: So begann in den 1960er Jahren die Sardellenfischerei vor der Küste Perus, und die kurzer Zeit wurden die reichen Sardellenbestände vernichtet. Damit wurde nicht nur den guanoerzeugenden Seevögeln, sondern auch der peruanischen Fischerei die Grundlage entzogen.

2560: Die kalte Meeresströmung kam aus der Tiefe und brachte daher auch reichlich Nährstoffe mit nach oben, die Grundlage der reichen Vogelwelt vor der Küste Perus (siehe oben). Die Meeresströmung wurde gegen seinen ausdrücklichen Willen "Humboldt-Strom" genannt. Humboldt fand diese Ehre ungerechtfertigt: "Jeder Fischerjunge in Peru und Chile kennt sich 300 Jahren diesen Strom."

2565: Bonpland dagegen besuchte zunächst seinen Bruder in La Rochelle. So verpasste er den Empfang, der Humboldt in Paris gemacht wurde – und wohl auch einen Teil des Ruhms, der ihm zugestanden hätte.

2568: Das 34-bändige "amerikanische Reisewerk" ("Voyage aux régions équinoctiales du Nouveau Continent, fait en 1799, 1800, 1801, 1802, 1803 et 1804 par Al. de Humboldt et A. Bonpland") erschien in sechs Gruppen: Botanik, Pflanzengeograhie, Zoologie, Astronomie, Länderkunde und allgemeine Reisebeschreibungen ("Relation historique du Voyage aux régions équinoctiales du Nouveau Continent"). Die meisten Werke erschienen rasch auch in spanischer und englischer Sprache, einige auch auf Deutsch.

2569: Mit Bolívar trat Humboldt 1822, als "El Libertador" (sein Ehrentitel in Südamerika) über Ländereien herrschte, die größer waren als die, die Napoleon einst beherrscht hatte, wieder in Kontakt. Er bat ihn um Unterstützung für Wissenschaftler, die er ermutigt hatte, nach Südamerika zu gehen.

2570: Humboldts Bücher (neben dem "amerikanischen Reisewerk" auch die beiden Bücher über die "russische Reise" sowie die fünf Bände des "Kosmos") waren ungeheuer aufwändig und teuer. Die Kosten der weit über eintausend Kupferstiche, die für die teils später von Hand kolorierten Illustration angefertigt wurden, sowie für die am Werk beteiligten Wissenschaftler zahlte er aus eigener Tasche, bis von seinem einst großen Vermögen nichts mehr übrig war. Im Buchhandel kostete das gesamte Werk später rund 10.000 Franc, mehr als dreimal soviel, wie Bonpland an jährlicher Pension bezog. Die Kosten spielte es trotzdem nicht ein; am Ende seines Lebens war Humboldt pleite: 1857 musste der 88-jährige Kammerherr Humboldt seinen König bitten, seine Verbindlichkeiten (6.726 Taler) beim Bankhaus Mendelssohn zu begleichen (was dieser mit den freundlichen Worten "Ich hätte nicht ruhig schlafen können in der Besorgnis, es möchte mir jemand zuvorkommen" tat).

2572: Als Napoleon im Herbst 1804 Wochen vor seiner Kaiserkrönung auf einem Empfang ein Treffen mit Humboldt nicht vermeiden konnte, fragte er ihn: "Ah, Monsieur Humboldt, ich hörte, Sie beschäftigen sich mit Pflanzen?" Humboldt nickte, von der Frage wohl etwas irritiert. Worauf Napoleon zu seinen Begleitern sagte: "Genau wie meine Frau", sich umdrehte und weiterging. Humboldts Biographin >> Andrea Wulf vermutet, dass Napoleon eifersüchtig gewesen sein könnte, dass Humboldts Werk von Napoleons „Description de l’Egypte“ ablenkte, dem wissenschaftlichen Ergebnis der 200 Wissenschaftler, die Napoleon bei der Invasion Ägyptens 1798 begleitet hatten. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass Humboldt selbst fast so berühmt war wie Napoleon. Der liberale Humanist Humboldt seinerseits konnte den zum Tyrannen gewordenen Napoleon (der von sich gesagt haben soll, "Ein Mann wie ich pfeift auf das Leben von einer Million Menschen") auch nicht mögen, sah aber auch, dass dieser als Mäzen dafür gesorgt hatte, dass Paris zum Zentrum der Wissenschaften geworden war.

2580: In Deutschland litt Haeckels Ansehen vor allem unter dem Vorwurf, mit der Übertragung der Lehre von der Evolution über natürliche Auslese auf die menschliche Gesellschaft ein Wegbereiter des Nationalsozialismus gewesen zu sein. Tatsächlich bezeichnete Haeckel die Ausschaltung der natürlichen Selektion durch die Medizin als nicht zweckmäßig und bezeichnete etwa die Tötung verkrüppelter Kinder durch die Spartaner als Anwendung des Selektionsprinzips in menschlichen Gesellschaften. Historiker, die Haeckel verteidigen, weisen aber darauf hin, dass er damit nicht die Umsetzung forderte, sondern sogar die unmittelbare Übertragung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse auf menschliche Gesellschaften als gefährlich bezeichnete (so etwa Robert J. Richards 2008). Das hinderte später nationalsozialistische Ideologen nicht, ihre Lehre mit Aussagen Haeckels zu begründen; aber andere Teile von Haeckels Weltbild als unvereinbar mit der nationalsozialistischen Lehre für unvereinbar zu erklären. Haeckel war mehr als 13 Jahre vor Hitlers Machtergreifung gestorben, selber äußern konnte er sich hierzu nicht mehr.


Energie

Energie

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700: Die Daten zum Weltenergieverbrauch im Jahr 2013 wurden wie folgt berechnet: Primärenergieverbrauch der einzelnen Energieträger aus BP Statistical Review of World Energy June 2014. Da hier aber nur gehandelte Energieträger einfließen, also etwa selbst gesammeltes Brennholz oder Wärmeerzeugung mit Sonnenkollektoren zur Erwärmung des Wassers im eigenen Haus nicht erfasst werden, wurden diese auf die in der BP-Review genannten Summe (12.730 Mtoe) aufaddiert: Für traditionelle Biomasse 31,3 EJ = 747 Mtoe (entsprechend der Angabe im REN 21 Renewables 2014: Global Status Report, pdf, 10,5 MB) und für die solare Wärme-/Kälteerzeugung 228 TWh = 20 Mtoe (nach Franz Mauthner und Werner Weiss, Solar Heat Worldwide (2014 ed.): >> Markets and Contribution to the Energy Supply 2012, pdf, 1,8 MB – in der Grafik taucht dieser Anteil nicht auf, da er – obgleich er 20 Millionen Tonnen Ölverbrauch entspricht! – zu klein ist, um erkennbar zu sein). Der Primärenergieverbrauch beträgt als weltweit insgesamt mindestens 13.497 Mtoe, dieser Wert wurde auch den Prozentangaben zu Grunde gelegt.

701: Die Daten zum deutschen Primärenergieverbrauch im Jahr 2013 wurden wie folgt berechnet: Primärenergieverbrauch der einzelnen Energieträger in Deutschland aus  BP Statistical Review of World Energy June 2014, Daten zur Wärmeerzeugung aus Biomasse (116 Mrd. kWh = 10 Mtoe) und durch Sonnenkollektoren (6,8 Mrd. kWh = 0,6 Mtoe) aus Bundesminister für Wirtschaft und Umwelt: >> Erneuerbare Energien im Jahr 2013 (pdf, 540 kB). Der zu Grunde gelegte Primärenergieverbrauch betrug demnach 335,6 Mtoe.

702: Zahlengaben aus Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: >> Energiedaten. Stand April 2014 (abgerufen 21.07.2014).

703: Daten aus Arbeitsgemeinschaft für Energiebilanzen e.V.: Stromerzeugung nach Energieträgern 1990 - 2013 (pdf, 72 kB), Stand 11.6.2014. In der Statistik wird die Stromerzeugung aus biogenen Anteil (ca. 50 %) des Hausmülls zur erneuerbaren Energie gezählt, der Anteil beträgt daher 25,6 Prozent. In meiner Grafik ist der Hausmüll komplett unter "Sonstiges" erfasst.

704: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V.: Auswertungstabellen zur Energiebilanz für die Bundesrepublik Deutschland 1990 bis 2012 - Stand: Juli 2013 (abgerufen 21.07.2014)

705: Zahlengaben aus Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: >> Energiedaten. Gesamtausgabe. Stand April 2014 (abgerufen 21.07.2014).

706: Umweltbundesamt: >> Daten zum Verkehr Ausgabe 2012 (pdf, 5,1 MB, abgerufen 22.07.2014). Die prozentualen Anteile aus dieser Quelle wurden auf den realen Verbrauch im Jahr 2013 hochgerechnet.


Eine kleine Geschichte der Erforschung der Energie

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1504: Sie beträgt Zf=mv²/r, dabei steht Zf für Zentrifugalkraft, mv für das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit und r für Radius.

1506: Kraft wurde definiert als zeitliche Änderung des Impulses, und dieser durch Masse (gemessen in kg) mal Geschwindigkeit (gemessen in m/s), also kg·m/s. Die zeitliche Änderung des Impulses ist seine Änderung pro Sekunde (s), Kraft wird also in kg·m/s² gemessen. Diese Größe wird nach Isaac Newton als Newton (N) abgekürzt.

1508: Newton war auch der erste, der Masse definierte (als Produkt aus Dichte und Volumen eines Körpers) und feststellte, dass das Gewicht eines Körpers proportional seiner Masse war; das Gewicht kam für Newton zustande, weil die Schwerkraft auf die Masse wirkt. Die Unterscheidung ist für die klassische Physik grundlegend: Masse ist ein Maß dafür, aus wie viel Materie ein Körper besteht (und wird in Gramm gemessen). Sie ist zugleich ein Maß dafür, wie leicht der Bewegungszustand eines Körpers verändert werden kann und wie stark ein Körper andere Körper über die Schwerkraft anzieht (bzw. die Raumzeit krümmt). Gewicht ist dagegen die Stärke der auf den Körper wirkenden Gravitation (und wird als Kraft in Newton gemessen). Die jenseits der Physik oft vorgenommene Gleichsetzung ("etwas wiegt ein Kilo") funktioniert nur, weil Gewicht und Masse proportional sind, und der Proportionalitätsfaktor überall auf der Erde gleich ist.

1510: Arbeit als Weg x Kraft wird dementsprechend in m x kg·m/s², also kg·m²/s² gemessen (abgekürzt als Newtonmeter, Nm), Leistung als Arbeit pro Zeit als kg·m²/s³ (abkürzt Nm/s).

1520: Energie wird daher in der gleichen Größe wie Arbeit gemessen, die Einheit Nm hier aber zu Ehren von James Prescott Joule als Joule (J) bezeichnet.

1530: Emmy Noether war eine in Erlangen geborene bedeutende Mathematikerin, die 1903 – dem Jahr, in dem Frauen an bayerischen Universitäten das Studium erlaubt wurde – ein Mathematikstudium begann und 1907 als zweite Frau in Deutschland in Mathematik promovierte. 1909 wurde sie von Felix Klein und David Hilbert nach Göttingen, damals das führende mathematische Zentrum der Welt gerufen. Als Frau wurde ihr 1915 aber die Habilitation in Göttingen vom zuständigen Ministerium zunächst verwehrt und ihre Vorlesungen unter dem Namen Hilberts angekündigt. 1922 durfte sie endlich habilitieren und erhielt 1923 eine Stelle als "außerordentlicher Professor". 1933 entzogen die Nazis ihr, da aus einer jüdischen Familie stammend, die Lehrerlaubnis wieder. Noether emigrierte in die USA, wo sie ein Jahr später nach einer Operation verstarb.

1550: Newton und Leibniz waren ohnehin in einen berühmten Streit darüber verwickelt, wer von beiden die Infinitesimalrechnung erfunden hatte (beide hatten sie wohl unabhängig voneinander erfunden).

1552: Leibniz stellte sich vor, dass ein Körper, der die Höhe h hinunterfällt, die Kraft erlangt, diese Höhe auch wieder hinaufzusteigen. Bei einer Verdoppelung der Höhe wird diese Kraft auch verdoppelt. Nach der gleichen Logik gilt: Bringt man vier gleiche Körper in die Höhe h, muss in ihnen die vierfache Kraft stecken. Bringt man einen Körper in die vierfache Höhe, steckt in diesem ebenfalls die vierfache Kraft. In beiden Fällen hat man also die vierfache Kraft gegenüber der Ausgangssituation. Lässt man die Körper jetzt fallen, muss nach den Fallgesetzen von Galileo Galilei der Körper aus der größeren Höhe aber die höhere (nämlich die doppelte) Geschwindigkeit haben, obgleich die vier Körper in der einfachen Höhe die gleiche Kraft besitzen. Darum kann nicht m·v das Kraftmaß sein (dann hätten die vier Körper nur die halbe Kraft), sondern m·v².
Quelle: Tiemann, Eberhard: Lebendige Kraft wird Energie. Unimagazin Uni Hannover 3/4 2006, S. 42-46

1590: Wer sich für die mathematische Herleitung interessiert, sei auf die Fachliteratur verwiesen. Eine Einführung mit weiteren Literaturhinweisen findet sich etwa in Dieter Zeh, Entropie, Fischer Kompakt 2005.

1592: Der erste Hauptsatz der Thermodynamik lautet: ΔU = ΔQ + ΔW. Wenn eine Arbeit geleistet wird, wird das Vorzeichen für Arbeit negativ: ΔU = ΔQ - ΔW. Wenn bei einer chemischen Reaktion Volumenarbeit geleistet wird (das ist typisch, da sich die Zahl der Moleküle verändert), gilt: geleistete Arbeit = Druck (bleibt gleich) x Volumenänderung, also ΔW = p · ΔV, und damit ΔU = ΔQ - p · ΔV. Umgestellt heißt dies ΔQ = ΔU + p · ΔV, ΔU + p · ΔV ist aber die Definition von ΔH, also ΔQ = ΔH.


Energie und ihre Einheiten

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70: Bis ins 19. Jahrhundert wurde zwischen Kraft und Energie nicht systematisch unterschieden; Worte wie “Kraftwerk” erinnern an diese Zeit. Heute lautet der Zusammenhang: Energie ist Kraft mal Weg. Wenn man beispielsweise einen Koffer anhebt, braucht man dafür eine Energie, die der Gravitationskraft (die den Koffer auf dem Fußboden halten will) mal der Höhe, bis zu der man den Koffer hebt – für die doppelte Höhe wäre also die doppelte Energie notwendig; für das doppelte “Gewicht” (das ja im wesentlichen eine Auswirkung der Gravitationskraft ist) ebenso; für das doppelte Gewicht und die doppelte Höhe die vierfache Energie.

71: Es gibt auch gute Gründe, warum der Begriff Energieverbrauch sich eingebürgert hat: Im Zeitalter fossiler Energien werden Energieträger (wie Kohle, Öl, Gas) verbraucht; und  Naturwissenschaftler, die der falsche Begriff ärgert, sollten sich damit trösten, dass bei jeder Energieumwandlungen ja >> Energiequalität verbraucht wird.


Kleine Geschichte des menschl. Energieverbrauchs

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200: Die Bezeichnungen der Energieregimes stammen von Rolf Peter Sieferle, zitiert nach Marcel Hänggi: Ausgepowert, Zürich, Rotpunktverlag 2010).

201: Angaben (auch für alle anderen "Leistungsgrößen" aus Marcel Hänggi, siehe oben.

Quellen: Die Zahlenangaben auf dieser Seite stammen zumeist aus >> Vaclav Smil: Energy; ergänzt um Angaben aus >> Ponting: A New Green History of the World. Die Angaben zum durchschnittlichen Pro-Kopf-Energieverbrauch verschiedenener Gesellschaftsformen als Basis der Grafiken stammen aus J.R. McNeill und William H. McNeill: The Human Web, W.W. Norton & Company 2003, und die aktuellen Verbrauchszahlen aus den Key World Energy Statistics 2010 der Internationalen Energie Agentur.


Das Ende des billigen Öls

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300: Alle Daten zum Ölverbrauch aus der BP Weltenergiestatistik (Statistical Review of World Energy) vom Juni 2015. Dass die Produktion niedriger liegt als der Verbrauch, geht auf den Abbau von Lagerbeständen, den Zusatz von Additiven und darauf zurück, dass in der BP-Weltenergiestatistik beim Verbrauch auch Treibstoffe aus Bioethanol und sowie Biodiesel berücksichtigt werden.

301: Neben den nachgewiesenen und den wahrscheinlichen Reserven gibt es zudem noch die “möglichen Reserven”, die unter vorteilhaften Bedingungen erschlossen werden können (Wahrscheinlichkeit 10 Prozent). Nicht alle Förderländer halten sich allerdings an diese Definitionen, und die Förderwahrscheinlichkeiten sind auch nicht immer objektiv bestimmbar. Beim Vergleich verschiedener Statistiken muss zudem noch darauf geachtet werden, welche wie definierten Ölsorten berücksichtigt werden. Eine detailliertere Diskussion dieses Themas findet sich in Energy Watch Group: Zukunft der weltweiten Ölversorgung, siehe >> hier.

302: “Änderungen sind zurückdatiert” bedeutet: Wenn ein Ölfund sich nachträglich als größer oder kleiner herausstellte als ursprünglich angenommen, wurde diese Änderung in der Abbildung bei dem Fundjahr vorgenommen – damit zeigt die Abbildung die tatsächliche Größe der Funde, nicht Änderungen des Wissensstandes.

303: Campbell stand mit diesen Annahmen nicht allein. 2001 untersuchte der Geophysiker Ken Deffreyes (ehem. Shell, damals Princeton University) die Weltölförderung mit einer verbesserten Version von Hubberts Modell und vermutete den Höhepunkt der Weltölproduktion Ende 2005 oder Anfang 2006 (Kenneth S. Deffeyes: Hubbert’s Peak: The Impending World Oil Shortage. Princeton University Press 2001). Chris Skrebowski, Herausgeber der Fachzeitschrift Petroleum Review, schätzte, dass die bekannten Ölreserven um vier bis sechs Prozent pro Jahr zurückgehen. 18 wichtige Förderländer würden ihren Höhepunkt in den nächsten Jahren erreichen, neue Vorkommen in Äquatorialguinea, São Tomé und Príncipe, im Tschad und in Angola könnten diese Lücke nicht schließen. Skrebowski untersuchte zudem die geplanten Investitionsprojekte der Ölkonzerne und glaubt, dass diese nicht ausreichen, um existierende Quellen zu ersetzen, auch er erwartete den Höhepunkt der Welt-Ölproduktion zwischen 2007 und 2010 (Chris Skrebowski: Oil Field Megaprojects. Studie 2004 im Auftrag des ODAC; Peak Oil – The emerging reality. ASPO-Konferenz, Pisa, 18. July 2006). Ein ehemaliger Berater der amerikanischen Regierung, Matthew Simmons, hat in einem Buch über Saudi Arabien (Matthew Simmons: Twilight in the Dessert. Wiley 2005 [Deutsche Fassung: Wenn der Wüste das Öl ausgeht. FinanzBuch Verlag 2006]) dargelegt, dass dort die wichtigsten Ölvorkommen, ein Fünftel der bekannten Vorkommen weltweit, bald erschöpft seien. Die deutsche Energy Watch Group, ein von der Ludwig-Bölkow-Stiftung gefördertes Netzwerk unabhängiger Experten und Parlamentarier, kam in einer Studie (Energy Watch Group: Zukunft der weltweiten Erdölversorgung, Mai 2008 – >> www.energywatchgroup.org [pdf, 2,8 MB]) gar zu dem Ergebnis, dass der Höhepunkt der Ölproduktion bereits im Jahr 2006 erreicht wurde; für das Jahr 2030 rechnet sie nur noch mit einer Fördermenge von 39 Millionen Barrel pro Tag.

304: Louis Sahagun: U.S. officials cut estimate of recoverable Monterey Shale oil by 96 %. Los Angeles Times, 20. Mai 2014.


Eine kleine Geschichte der Atomkraft

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2440: Ein Unfall erfolgte im September 1957 nahe der russischen Stadt Kyschtym, als flüssige Rückstände aus der Aufbereitung abgebrannter Uranbrennstäbe zur Gewinnung von waffenfähigem Plutonium nach einem Ausfall der Kühlung trockneten und Nitrate auskristal­lisierten, die durch einen Funken explodierten. Diese (chemische) Explosion setzte mindes­tens soviel Radioaktivität frei wie der Atomunfall von Tschernobyl 1986. Die genaue Opfer­zahl ist unbekannt, da die Folgen nie unabhängig untersucht wurden. Offiziell bekannt gegeben wurde der Unfall erst im Juni 1989 bei einer Sitzung des obersten Sowjets, in November wurde auch die westliche Öffentlichkeit (anlässlich einer Tagung der Internatio­nalen Atomenergieorganisation) informiert. Der andere Unfall geschah im Oktober 1957 im britischen Atomkomplex Sellafield, wo es in einem Reaktor, der der Herstellung von waffen­fähigem Plutonium diente, zu einem Brand im Reaktorkern kam, bei dem eine radioaktive Wolke auf die irische See hinausgeweht wurde. Bei den Löscharbeiten kam es durch radio­aktiven Dampf zu einer weiteren Freisetzung von Radioaktivität. Zwei Millionen Liter radio­aktiv verseuchte Milch wurden aufgekauft und in der irischen See entsorgt. Der Reaktor ist seither stillgelegt und wird seit 1993 abgebaut; der Abbau soll 2040 abgeschlossen sein.

2442: Bekannt wurde dies, als der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) nach dem Unfall von Harrisburg die vertraulichen Störfallberichte der Bundesregierung veröffentlichte. Die Bundesregierung erklärte daraufhin, dass der Bericht von 1977 nur "einen repräsentativen Überblick über besondere Vorfälle" geben sollte (Bösch, Zeitenwende 1979, S. 350).

2446: Herbert Gruhl hatte 1972 den Vorsitz der als Reaktion auf die aufkommende Umweltbewegung und das Buch "Grenzen des Wachstums" gegründete CDU-Arbeitsgruppe "Umweltvorsorge" übernommen und über seine Erkenntnisse 1975 das Buch "Ein Planet wird geplündert" geschrieben, in dem Gruhl eine „planetarischen Wende“ forderte, der Mensch müsse „von den Grenzen der Erde ausgehend denken und handeln“. Das Buch wurde zum Bestseller und gilt als Klassiker der Umweltbewegung. In der CDU-Parteispitze wurde es aber nicht diskutiert, und Gruhl trat 1978 medienwirksam aus der CDU aus, behielt aber als fraktionsloser Abgeordneter sein Bundestagsmandat. Als sich 1980 die GRÜNEN gründeten, war Gruhl Gründungsmitglied. (1981 trat er wieder aus, da er den wert­konservativen Flügel nicht ausreichend repräsentiert sah und gründete 1982 die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) mit, deren Vorsitzender er bis 1989 blieb. Sie konnte aber nie ähnliche Erfolge wie die GRÜNEN erzielen.)

Später im Jahr sprachen sich auch die Jusos und erste SPD-Landesverbände (Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Baden-Württemberg) gegen die Atomkraft aus, einzelne SPD-Bundestagsabgeordnete sprachen sich gegen neue Atomkraftwerke aus.


Energiewende

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(100) Zur Geschichte des Stromeinspeisungsgesetzes siehe: >> Das unterschätzte Gesetz. DIE ZEIT 39/2006; zeit online.

(101) Der Preis für den Strom aus Wasserkraft wurde in einer "Verbändevereinbarung" geregelt, die die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) mit dem Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geschlossen hatte. In der Vereinbarung ging es eigentlich um den Verkauf von Überschüssen aus industrieller Stromproduktion, sie wurde aber auch auf Besitzer privater Wasserkraftwerke angewandt.

(105) Die Zahlen zur EEG-Vergütung in den Jahren 2004 bis 2014 stammen vom BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft: Energie-Info – Erneuerbare Energien und das EEG: Zahlen, Fakten, Grafiken (2014).

(106) Energy Brainpool: Zusammenhang zwischen Strombörsenpreisen und Endkundenpreisen (im Auftrag von Agora Energiewende), Version 1.1 (28.3.2013), eingesehen 4.7.2014. >> download (pdf, 1,1 MB).

(107) Energy Brainpool: Kompensieren sinkende Beschaffungskosten den Anstieg der EEG-Umlage für Haushaltskunden? (im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion), 30.8.2013, eingesehen 4.7.2014. >> download (pdf, 1,5 MB).

(108) >> http://www.hydro.com/de/Deutschland/Uber-uns/Standorte/Neuss-Hydro-Aluminium-Rolled-Products-GmbH/

(109) Öko-Institut: Analyse der EEG-Umlage 2014 (im Auftrag von Agora Energiewende), 15.10.2013, eingesehen 4.7.2014. >> download (pdf, 714 MB).

(110) Umweltbundesamt: Schätzung der Umweltkosten in den Bereichen Energie und Verkehr, August 2012, eingesehen 4.7.2014. >> download (pdf, 271 kB).

(111) Global Post 17.10.2013: >> Britain, EDF strike deal on nuclear project. Eingesehen 4.7.2014.

(112) Malte Kreuzfeldt: Das Strompreis-Komplott. Knaur Taschenbuch 2014. (Zur Lobbyarbeit siehe insbesondere S. 111 - 121.)

(114) >> Agora EnergiewendeImpulse: Ein radikal vereinfachtes EEG 2.0 und ein umfassender Marktdesign-Prozess (Berlin, Oktober 2013; >> download).

(116) Energiewende direkt 1. Juli 2014, >> Editorial (eingesehen 4.7.2014)


Die Zerstörung der Böden

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1330: Diese, und auch die weiteren konkreten Zahlenangaben aus dem Ruhrgebiet sowie Zitate stammen aus Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher: Blauer Himmel über der Ruhr. Essen: Klartext-Verlag 1992.

1340: Phenol (damals noch Carbolsäure genannt) wurde ab 1865 zur Wunddesinfektion eingesetzt, dabei entdeckte man seine hautirritierende Wirkung und es wurde durch andere Stoffe ersetzt. Es schädigt Blut, Nieren, Zentralnerven- und Herz-Kreislauf-System und steht im Verdacht, erbgutverändernd zu sein.

1345: Im Unterschied zur Luftverschmutzung (siehe >> Anm. 1230) blieb die Abwasserentsorgung weitgehend Sache der Gemeinde. Das preußische Gesetz über die Benutzung der Privatflüsse (das waren alle nicht schiffbaren Flüsse) von 1843 untersagte zwar Verunreinigungen, wenn "dadurch der Bedarf der Umgegend an reinem Wasser beeinträchtigt oder eine erhebliche Belästigung des Publikums verursacht wird", aber in der Praxis wurde das öffentliche Interesse zumeist im Erhalt der Arbeitsplätze gesehen. So argumentierte die Regierung Münster 1885 gegen ein Verbot der Einleitung von Abwässer, dass diese die Zeche unverhältnismäßig benachteiligen würde: es käme einer Schließung des Betriebes gleich, und es "würden hunderte von Arbeitern brodlos gemacht" (zitiert nach Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelsapacher: Blauer Himmel über der Ruhr. Essen: Klartext-Verlag 1992).


Wassernutzung

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1405: Hierzu trug auch die ab 1860 (in Hamburg schon 1854) beginnende Einführung des Wasserklosetts (WC) bei, das sowohl den Wasserverbrauch als auch die Wasserverschmutzung erheblich steigerte. Die Einführung war damals umstritten, der Deutsche Landwirtschaftsrat etwa wollte die Fäkalien lieber als Dünger nutzen und bezeichnete die Einführung als volkswirtschaftliche Verschwendung.

1410: Die Zitate und konkreten Mengenangaben über die Wassernutzung im Ruhrgebiet stammen aus verschiedenen Quellen, allesamt zitiert nach Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher: Blauer Himmel über der Ruhr. Essen: Klartext-Verlag 1992.

1415: Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher: Blauer Himmel über der Ruhr. Essen: Klartext-Verlag 1992.


Wasserverschmutzung

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50: Die Zitate und konkreten Mengenangaben über die Wasserverschmutzung im Ruhrgebiet stammen aus verschiedenen Quellen, allesamt zitiert nach Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher: Blauer Himmel über der Ruhr. Essen: Klartext-Verlag 1992. Die Typhusepidemie von Gelsenkirchen, der eine Cholera-Epidemie in Hamburg mit 8.000 Toten im Jahr 1892 vorausgegangen war, trug immerhin dazu bei, dass sich Anfang des 20. Jahrhunderts Robert Kochs "Trinkwassertheorie" gegenüber der von der Miasmenlehre (siehe Luftverschmutzung, Anm. >> 1233) abgeleiteten "Bodentheorie" des bayrischen Hygienikers Max Pettenkofer (nach der Epidemien durch von aus dem Boden entweichende Dünste verursacht wurden) durchsetzte. Die Trinkwassertheorie war bei den Kommunen unbeliebt, da sie bedeutete, dass zur Verhinderung von Epidemien teure Kläranlagen und aufwändige Aufbereitung von  Trinkwasser nötig waren. Immerhin entdeckte Pettenkofer auch die Selbstreinigungskraft von Gewässern, die einerseits vielen Verschmutzern als Rechtfertigung diente, Abwasser in diese einzuleiten, andererseits aber auch die Grundlage für die Entwicklung biologischer Abwasserreinigungsverfahren war.

52: Auch hierbei spielte der damalige Glaube, dass vor allem die organischen Abfälle gefährlich seien (siehe Luftverschmutzung, Anm. >> 1233), eine Rolle. Insofern mussten nur städtische Abwässer durch eine Kläranlage gereinigt werden. Es reichte aber nach damaliger Auffassung der billige sog. "Emscherbrunnen", in dem sich Schlämme absetzen konnten. Diese Politik war damals schon umstritten, die Regierung in Berlin legte 1908 einen Erlass vor, der eine weitergehende Abwasserbehandlung vorschrieb, gegen den sich die Emschergenossenschaft aber erfolgreich wehrte, die Forderung nach einer biologischen Klärung entfiel. 1910 erklärte die Emschergenossenschaft, dass eine Verbesserung der Wasserqualität "zum erreichten Nutzen in gar keinem wirtschaftlichen Verhältnis" stehe (zitiert nach Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher: Blauer Himmel über der Ruhr. Essen: Klartext-Verlag 1992).

Nach dem Vorbild der Emschergenossenschaft wurden per Sondergesetz zahlreiche weitere Genossenschaften wie 1913 der Ruhrverband und der Ruhr-Talsperrenverein gegründet. Der größte Nachteil war der große Einfluss der Abwasserproduzenten: sie konnten angesichts fehlender Vorgaben das Niveau des Gewässerschutzes weitgehend selbst bestimmen, und vor allem in Zeiten schlechter Konjunktur spielten Kostenfragen die wichtigste Rolle. Daran änderte auch das preußische Wassergesetz von 1913 nichts, das nur für Andere nicht nachteilige Einleitungen in Gewässer erlaubte und für erhebliche Einleitungen eine Beleihung erforderte – es wurde gerne weiter so argumentiert, dass eine zusätzliche Einleitung in die bereits erheblich verunreinigten Gewässer ja nichts verschlimmere, also nicht nachteilig sei.

54: Diaz, J.R. & Rosenberg, R. 2008: Spreading dead zones and consequences for marine ecosystems. Science 321, S. 926–929. DOI: 10.1126/science.1156401

56: Rabalais, Nancy N. et al. 2007: Sediments tell the history of eutrophication and hypoxia in the northern Gulf of Mexico. Ecological Applications 17, Supplement, S. S129–S143 (>> download, pdf, 460 kB)

58: Wells, R.S. et al. 2005: Integrating life-history and reproductive success data to examine potential relationships with organochlorine compounds for bottlenose dolphins (Tursiops truncatus) in Sarasota Bay, Florida. Science of the Total Environment 349, S. 106 - 119. DOI: 10.1016/j.scitotenv.2005.01.010


Luftverschmutzung

Eine kleine Geschichte der Luftverschmutzung

1203: Aus dem Bericht eines Gerbermeisters, der in Folge der Französichen Revolution im Ruhrgebiet Zuflucht gesucht hat, zitiert nach Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher: Blauer Himmel über der Ruhr. Essen: Klartext-Verlag 1992, S. 19.

1205: John R. McNeill und Peter Engelke: Mensch und Umwelt im Zeitalter des Anthropozän. In: Akira Iriye und Jürgen Osterhammel (Hg.): Geschichte der Welt. 1945 bis heute. C.H. Beck 2013.

1206: Danny Kringiel: >> Fünf Tage im Todesnebel. EINESTAGES (Spiegel online) 5.12.2012 (eingesehen 25.10.2016). In einem (erst posthum veröffentlichten) Memorandum an Winston Churchill hat  Macmillan zudem geschrieben: "So lächerlich das erscheinen mag, schlage ich vor, ein Komitee zu bilden. Wir können nicht viel tun, doch sollte es so aussehen, als beschäftigten wir uns eifrig mit der Sache." (siehe Quelle 1205)

1215: John R. McNeill: Blue Planet, Kapitel 4. Campus 2003.

1219: Zur Geschichte der Industrialisierung siehe: ruhr-guide.de: >> Das Ruhrgebiet – Von der Entstehung bis zur Industrialisierung (eingesehen 27.10.2016).

1220: Die Zitate und konkreten Mengenangaben über die Luftverschmutzung im Ruhrgebiet stammen aus verschiedenen Quellen, allesamt zitiert nach Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher: Blauer Himmel über der Ruhr. Essen: Klartext-Verlag 1992.

1230: Das französische Décret impérial relatif au Manufactures et Ateliers qui répondent une Odeur insalubre ou incommode vom 15. Oktober 1810 (Dekret betreffend die Manufakturen und Werkstätten, die einen ungesunden oder eklen Geruch verbreiten; offizielle Übersetzung) galt auch in den von Frankreich annektierten westlichen Gebieten Preußens; an diesem Dekret orientierte sich auch die Preußische Gewerbeordnung vom 17.1.1845, die eine polizeiliche Genehmigung für gewerbliche Anlagen, "welche erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen können", erforderlich machte. Sie wurde im Grundsatz 1869 in die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes und 1871 in die des Deutschen Reichs übernommen. Die Reichsgewerbeordnung listete die von der Genehmigungspflicht betroffen Anlagen auf (Bergwerke und die auf ihrem Gelände betriebenen Kokereien unterstanden ähnlichen Regelungen im Berggesetz), regelt das Verfahren zu Erlangung einer Konzession und führte eine Genehmigungspflicht für Änderungen genehmigungsbedürftiger Anlagen ein. Sie übernahm aber im Hinblick auf die Einspruchsmöglichkeit für Nachbarn und anderen Geschädigten die industriefreundliche Gesetzgebung aus Sachsen: war eine Anlage einmal genehmigt, konnte eine Verringerung der Luftverschmutzung nur in seltenen Ausnahmefällen durchgesetzt werden. Hier spiegelte sich die zunehmende Akzeptanz der fortschreitenden Industrialisierung wieder. Dies kann etwa in den Ausführungsvorschriften nachvollzogen werden, die für die Umsetzung der gewerberechtlichen Vorgaben durch die Länder erstellt wurden: in der preußischen Technischen Anleitung (TA) von 1895 hieß es, dass Nachteile, Gefahren und Belästigungen nur dann erheblich sind, wenn sie das Maß überschreiten, "dessen Duldung sowohl dem Nachbarn als auch dem Publikum  im Interesse der für die allgemeine Wohlfahrt unentbehrlichen Industrie angesonnen werden kann". Mit geringfügigen Änderungen galt die TA zur Reinhaltung der Luft bis 1964 (Quelle: Michael Klöpfer: Umweltrecht. 3. Aufl. 2004, C.H. Beck). Wo Behörden tatsächlich Vorschriften gegen übermäßige Rauchentwicklung in die Konzessionsurkunden aufnahmen, wurden diese oftmals ignoriert: 1912 berichteten die Behörden an die Düsseldorfer Regierung, dass Unternehmen so weit im Voraus über Untersuchungen informiert werden müssen, dass "schließlich ein Ergebnis erzielt wird, das mit der Wirklichkeit nicht im Einklang steht". Leider hätten die Beamten "infolge starker Belastung mit anderen Dienstgeschäften" keine Zeit, "eine regelmäßige, längere Zeit währende Beobachtung der Schornsteine" vorzunehmen." Auch wurden Grenzwerte dadurch eingehalten, dass den Abgasen Luft zugeführt wurde, die – in der Konzession begrenzte – Schadstoffkonzentration wurde dadurch gesenkt, die Menge an Schadstoffen aber nicht. (Quelle: siehe 1220).

1232: Auch Filter waren bereits bekannt und wurden auch unter dem Gesichtspunkt, die im Kamin entweichenden Stoffe nutzen zu können, entwickelt. In der Regel kamen sie daher nur zum Einsatz, wenn die Rückgewinnung unmittelbaren Gewinn abwarf, ansonsten waren sie den Fabrikanten meist zu teuer, so dass die typische Maßnahme zur Verminderung der Luftverschmutzung der Bau höherer Schornsteine blieb.

1233: Hierzu hat auch die auf Hippokrates zurückgehende, damals noch einflussreiche "Miasmenlehre" beigetragen: Schon die alten Griechen hatten den Zusammenhang zwischen schlechter Luft und Krankheiten erkannt, und Hippokrates hat dafür schädliche Ausdünstungen (Miasmen) der Erde und verfaulende menschliche und tierische Rückstände, die sich in der Luft ausbreiten, verantwortlich gemacht. Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Mikroorganismen als Krankheitserreger erkannt wurden, änderte dies nichts an der Sichtweise, dass vor allem verfaulende organische Materie als Krankheitsverursacher galt. Die Industrierauche (und industrielle Abwässer) galten als unangenehm und lästig, aber lange nicht als gefährlich. Eine systematische Untersuchung ihrer Gesundheitsfolgen begann erst, als 1923 die preußische Landesanstalt für Wasserhygiene auch mit der Erforschung der Lufthygiene beauftragt wurde.

1235: Michael Klöpfer: Umweltrecht. 3. Aufl. 2004, C.H. Beck. Immerhin wurde aber – nach den Erfahrungen während der >> Ruhrbesetzung 1923 – im Oktober 1924 vom >> Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) eine Kommission eingerichtet, die untersuchen sollte, mit welchen Mitteln eine Verbesserung der Luftqualität im Ruhrgebiet erreicht werden könne. Diese "Rauchschadenskommission" berichtete 1927, dass es nicht der sichtbare Rauch, sondern die unsichtbare schweflige Säure sei, die den größten Schade anrichte, etwa den Obstbau im Ruhrgebiet fast unmöglich mache. Es gäbe allerdings kein Mittel, diese aus den Rauchgasen von Feuerungsanlagen zu entfernen, dem Kampf gegen die von der Großindustrie verursachten Rauchschäden scheine wenig Aussicht auf Erfolg zu haben.

1240: Der Bund hatte für den Wasserhaushalt und den Naturschutz nur eine Rahmengesetzgebungskompetenz, in anderen Bereichen überhaupt keine ausdrücklichen Kompetenzen. Hier sehen Fachleute einen wesentlichen Grund für das "verzögerte Ingangkommen der Umweltpolitik im Sinne eines umfassenden Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen" (Michael Klöpfer: Umweltrecht. 3. Aufl. 2004, C.H. Beck).

1241: Die Pflicht, "ortsübliche" Belastungen ersatzlos zu dulden, hatte aus heutiger Sicht kuriose Folgen: So hat 1915 das Reichsgericht in letzter Instanz die Klage eines Obstbauern gegen eine Bergwerksgesellschaft abgewiesen, deren Koksöfen nach Ansicht des Bauers dafür verantwortlich waren, dass seine Bäume keine Früchte mehr trugen und abstarben. In diesem Punkt stimmte das Gericht dem Bauern zu, wies seine Klage aber dennoch ab: Die Gegend trage den typischen Charakter einer Industriegegend, die beklagte Kokerei habe "nichts getan, was nicht in der dortigen Gegend üblich wäre." Dass in der näheren und ferneren Umgebung des Klägers kein Obstbau mehr möglich sei, damit habe sich die Bevölkerung in ihrer Allgemeinheit abgefunden. Die bestehende erhebliche Luftverschmutzung wurde also zum Argument, die Klage hiergegen abzuweisen. Noch 1951 wies das Gewerbeamt Duisburg die Beschwerde eines Bürgers über den säurehaltigen Rauch einer Chemiefabrik mit dem Argument ab, "derartige Belästigungen, mit welchen hier immer zu rechnen ist", müssten in einem Industriegebiet in Kauf genommen werden. (Quelle: siehe 1220)

1245: So der 1971 von der Bundesregierung als wissenschaftliches Beratungsgremium einberufene Sachverständigenrat für Umweltfragen in einem Umweltgutachten von 1974 (>> Bundestagsdrucksache 7/2802, pdf, 9,2 MB). Das Verhalten der Verwaltungsbehörden grenze "in manchen Fällen bezüglich der Umweltschutzvorschriften fast an Vollzugsverweigerung" (S. 177).

1250: Der Clean Air Act von 1970 hatte Vorläufer: den Air Pollution Control Act von 1955 und den Clean Air Act von 1963. Dieses regelten jedoch nur die Aufgaben der Regierung bei der Erforschung und Überwachung der Luftverschmutzung; eine Ermächtigung zur Begrenzung von Emissionen in die Luft wurde erst mit dem Clean Air Act von 1970 geschaffen.

1255: Der Begriff "Immission" steht für Einwirkungen (von lat. immittire). Der Name Immissionsschutzgesetz sagt also, dass das Gesetz Mensch und Umwelt vor den Einwirkungen der Luftverschmutzung (= Schäden durch die Luftverschmutzung) schützen soll. Ein Mittel hierzu ist die Verringerung der Abgabe von Schadstoffen in die Luft, z.B. durch Emissionsgrenzwerte (Emission, von lat. emittere: herausschicken), also Grenzwerte für die Abgabe von Schadstoffen.

1258: Ebenso dauerte es, bis das Denken sich änderte: Noch 1977 befürwortete die Landesregierung NRW eine Politik hoher Schornsteine, und bestritt, dass diese lediglich eine Problemverlagerung in andere Regionen darstellen: sie brächten eine erhebliche Verdünnung der Abgase auf unbedeutende Konzentrationen mit sich. Im Ruhrgebiet sollten Schornsteine von bis zu 300 Meter Höhe entstehen. (Quelle: siehe 1220)

1260: 13. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz (13. BImSchV, "Großfeuerungsanlagenverordnung").

1264: Eigene Abbildung, basierend auf Daten aus: Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen: Umweltbericht 2006. Angegeben sind Jahresdurchschnittswerte.

1270: Im Falle der LKW-Manipulationen mussten die betroffenen Hersteller in den USA hohe Geldstrafen zahlen, in Europa blieben die Manipulationen straffrei, aber die gesetzlichen Regelungen wurden geändert. So stoßen heute LKW weniger Stickoxide aus als PKW (>> Frontal21: Dreckschleuder Diesel). Der VW-Abgasskandal führte im Oktober 2016 zu einem Vergleich, der VW bis zu 16,5 Milliarden Dollar (15,2 Milliarden Euro) kosten dürfte – eine wirksame Abgasreinigung wäre billiger gewesen. Andere Hersteller reduzieren mit der Einstellung ihrer Abgasreinigung ebenfalls deren Wirksamkeit, nutzen dabei aber Gesetzeslücken aus, Verstöße wie bei VW wurden ihnen (noch) nicht nachgewiesen.

Die wichtigsten Luftschadstoffe

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60: WHO Air quality guidelines for particulate matter, ozone, nitrogen dioxide and sulfur dioxide. Global update 2005. World Health Organization 2006 (>> download).

61: 39. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz. Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen.


Klimawandel

Der 5. UN-Klimareport

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Die Seite zum ersten Teil wurde zuerst auf Grundlage der "Summary for Policymakers" des am 30.09.2013 veröffentlichten Entwurfs, ergänzt um einzelne Details aus dem Hauptbericht, erstellt und im Februar 2014 anhand der am 30.01.2014 veröffentlichten Endfassung überarbeitet. Die Seite zum >> zweiten Teil wurde im April 2014 weitgehend auf Grundlage der "Summary for Policymakers" erstellt, die zum dritten Teil im Juli 2014 ebenso.

IPCC, 2013: Climate Change 2013: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Stocker, T.F., D. Qin, G.-K. Plattner, M. Tignor, S.K. Allen, J. Boschung, A. Nauels, Y. Xia, V. Bex and P.M. Midgley (eds.)]. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA, 1535 S. (englischsprachig).

Offizielle Übersetzungen der Berichte gibt es in die sechs UN-Sprachen (neben Englisch also Arabisch, Chinesisch, Französisch, Russisch und Spanisch). Eine inoffizielle >> deutsche Übersetzung (pdf, 9,5 MB) der Zusammenfassung für Entscheidungsträger wurde von der schweizerischen ProClim, der deutschen IPCC-Koordinierungsstelle und dem österreichischen Umweltbundesamt angefertigt.

IPCC, 2014: Climate Change 2014: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Sowohl die "Summary for Policymakers" als auch der Entwurf des Gesamtberichts sind auf der Webseite der Arbeitsgruppe II des IPCC kostenfrei herunterzuladen: http://www.ipcc-wg2.gov/AR5/ (englischsprachig).

IPCC, 2104: Climate Change 2014: Mitigation of Climate Change. Sowohl die "Summary for Policymakers" als auch der Entwurf des Gesamtberichts sind auf der Webseite der Arbeitsgruppe III des IPCC kostenfrei herunterzuladen: http://mitigation2014.org/ report (englischsprachig).


Das große Aussterben

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1010: Hallmann, Caspar A. und andere: More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLOS one 18.10.2017. doi: 10.1371/journal.pone.0185809

1012: Seibold, Sebastian und andere: Arthropod decline in grasslands and forests is associated with landscape-level drivers. Nature 574, S. 671–674 (2019). doi: 10.1038/s41586-019-1684-3

1014: Kolbert, Elizabeth: Where have all the Insects Gone? National Geographic 05/2020, S. 40-65 (2020)

1016: Sánchez-Bayo, Francisco und Wyckhuys, Kris A.G.: Worldwide decline of the entomofauna: A review of its drivers. Biological Conservation 232, S. 8-27 (2019). doi: 10.1016/j.biocon.2019.01.020

1060: Erle C. Ellis und Navin Ramankutty: Putting people in the map: Anthropogenic biomes of the world. Frontiers of Ecology and the Environment 6, S. 439–447 (2008)

1080: J.R. Malcolm und andere: Global warming and extinctions of endemic species from biodiversity hotspots. Conservation Biology 20: 538–548 (2006)


Die Plünderung der Weltmeere

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801: Unter „Fischerei“ wird hier wie allgemein üblich die „Gewinnung nutzbarer Organismen aus Gewässern“ verstanden; also neben Fischen auch von Wirbellosen (wie Tintenfischen, Muscheln, Garnelen und Krabben). Historisch gehörten auch Säugetieren wie die Wale hierzu.

810: Walter Garstang 1900: The Impoverishment of the Sea. Series) Journal of the Marine Biological Association of the United Kingdom (New Series), Vol. 6, S. 1–69.

814: eine Formulierung des niederländischen Juristen Cornelis van Bynkershoek aus dem Jahr 1702.

820: Vom gesamten Fischfang (zu den 79,7 Millionen Tonnen in den Meeren kommen noch 11,6 Millionen Tonnen, die im Süßwasser gefangen werden) gehen 21,7 Millionen Tonnen nicht direkt in die menschliche Ernährung, sondern werden zu rund drei Vierteln (16,3 Millionen Tonnen) zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet, die zu rund 70 Prozent (Fischmehl) bzw. 90 Prozent (Fischöl) als Fischfutter verwendet werden. (Der Rest wird als Tierfutter verwendet – Fisch findet sich also auch “getarnt” im Fleisch von Schweinen und Hühnern, die mit Fischmehl gefüttert wurden.) Die restlichen 5,4 Millionen Tonnen werden direkt in Fischfarmen, an Nutz- oder Pelztiere verfüttert oder etwa in der Pharmaindustrie verwendet.

Film "Die unbequeme Wahrheit über unsere Ozeane", basierend auf einem Buch von Charles Clover: eine gute Einführung in das Thema. Als DVD/Blu-ray erhältlich.

Mark Kurlansky: Kabeljau. Der Fisch, der die Welt veränderte. List Taschenbuch Verlag 2000.

Paul Greenberg: Vier Fische. Wie das Meer auf unsere Teller kommt. Berlin Verlag 2011 (Taschenbuchausgabe 2012).

Taras Grescoe: Der letzte Fisch im Netz. Karl Blessing Verlag 2010.

Richard Ellis: Der lebendige Ozean. marebuchverlag 2006.

siehe auch: >> Roberts (2013)

Vertiefende Literatur:
Boris Worm et al.: Impacts of Biodiversity Loss on Ocean Ecosystem Services. Science Vol. 314 (2006), no. 5800, S. 787–790: Die Studie zeigt, dass die Bestände von 30 Prozent der befischten Arten praktisch zusammengebrochen sind – die Bestände sind auf unter ein Zehntel der ursprünglichen Bestände abgesunken. Wenn die Fischerei so weitergeht wie bisher, wäre nach Ansicht der Autoren um die Jahrhundertwende mit dem Zusammenbruch aller befischten Arten zu rechnen.

Plenty More Fish in the Sea? The Economist 3.1.2009 (Special Report on the Sea).


Globale Umweltveränderungen

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940: Raudsepp-Hearne, Ciara et al.: Untangling the Environmentalist's Paradox: Why Is Human Well-being Increasing as Ecosystem Services Degrade? BioScience Vol. 60 No. 8, Seite 576–589.

© Jürgen Paeger 2006 – 2021