Der Mensch
Unser afrikanischer Ursprung
Vor etwa acht bis sechs Millionen Jahren spaltete sich in Afrika eine Entwicklungslinie der Menschenaffen auf, aus der einerseits die Schimpansen und andererseits die Menschen hervorgingen. Dieser afrikanische Ursprung der Menschheit, den viele Naturforscher längst vermutet hatten, ist heute durch genetische Untersuchungen nachgewiesen. In Afrika lebten viele Arten von Vormenschen und Menschen; wie wir genau mit ihnen verwandt sind, ist noch ungeklärt.
Rekonstruktion eines Neandertalers aus dem Neandertaler-Museum. Abb.: wikipedia commons, gemeinfrei
Die umstrittene Abstammung des Menschen
Als Charles Darwin im Jahr 1859 sein Buch „Die Entstehung der Arten“ veröffentlichte, hielt er sich mit expliziten Aussagen über die Abstammung des Menschen noch zurück. Aber seine Anhänger wie der englische Biologe Thomas Henry Huxley und der deutsche Zoologe Ernst Haeckel scheuten sich nicht, es auszusprechen: Auch der Mensch unterliegt der Evolution; Menschen und Menschenaffen stammen von gemeinsamen Vorfahren ab. 1871 bekannte sich auch Charles Darwin mit seinem Buch „Die Abstammung des Menschen“ zu dieser Position. Er vermutete die Wiege der Menschheit in Afrika, weil dort unsere nächsten Verwandten leben. Die anatomischen Ähnlichkeiten – der Körperbau der Menschenaffen, insbesondere der Schimpansen, und der des Menschen stimmen bis in Einzelheiten überein; bis auf einige Merkmale, die den Menschen ausmachen – hatten schon 1758 Carl von Linné dazu bewegt, in der 10. Auflage seines "Natursystems" den Menschen in die zoologische Ordnung der Primaten einzuordnen. Linnés Einstufung ging wiederum auf die Untersuchung eines 1698 nach England gebrachten Schimpansen zurück, den der englische Anatom und Arzt Edward Tyson beschrieben hatte; Tyson hatte die Merkmale aufgelistet, die mehr dem Menschen oder mehr den anderen Affen ähnelten.
Damit setzten diese Naturforscher sich über die Darstellung in der Bibel hinweg, nach der Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen habe und er daher von den Tieren getrennt war. Sich gegen diese vorherrschende Meinung zu stellen, war mutig: Noch 1619 war in Toulouse der Philosoph Lucilio Vanini verbrannt worden, weil er gesagt hatte, dass die Menschen möglicherweise vom Affen abstammten. Wo die Kirche solche Erkenntnisse nicht unterdrückte, war Linnés Einschätzung aber keine Neuigkeit: Ein portugiesischer Missionar berichtete Anfang des 17. Jahrhunderts aus Westafrika, dass die dortigen “Heiden” glaubten, vom Schimpansen abzustammen.
In den Jahren nach Darwins Veröffentlichung belegten dann zahlreiche Fossilfunde die Evolution des Menschen (Die Erforschung der Entwicklungsgeschichte des Menschen). Mit diesen Funden wurde im Laufe der Zeit das Bild der Abstammung des heutigen Menschen etwas klarer; man darf aber nicht vergessen, dass es letztendlich auf einer begrenzten Anzahl von zerbrochenen Knochen und behauenen Steinen beruht – darauf beruhen dann plausible Annahmen, die aber nicht selten umstritten sind. Neue Funde können das Bild immer noch verändern. Die afrikanische Abstammung des Menschen wurde aber in jüngster Zeit durch genetische Untersuchungen eindrücklich belegt: Das Erbmaterial von Schimpansen und Menschen stimmt zu über 98 Prozent mit dem des heutigen Menschen überein, und die größte Vielfalt innerhalb der Menschheit findet sich heute in Afrika (siehe Homo sapiens). Mit Hilfe molekularer Uhren (siehe auch hier) und der Untersuchung der Verbreitung von Genveränderungen können heute die Fossilfunde auch um zeitliche und räumliche Informationen ergänzt werden, so dass sich mittlerweile ein detailliertes Bild der Ausbreitung des Menschen über die Erde zeichnen lässt.
Der Weg zum Menschen
Vom Affen zum Vormenschen
Menschenaffen lebten in Afrika seit dem Miozän; sie entstanden vor etwa 18 bis 15 Millionen Jahren. Sie lebten in den Regenwäldern, die große Teile Afrikas bedeckten. Mit ihren langen Armen sind Menschenaffen bestens an diesen Lebensraum angepasst, in dem sie sich von Baum zu Baum schwingen und hangeln konnten – wie heute die Schimpansen. Damit verbunden waren einige wichtige Anlagen, die später auf dem Weg zum Menschen weiterentwickelt werden konnten: Wer von Ast zu Ast springt, braucht gutes räumliches Sehen und geschickte Hände – und beides, vor allem aber das räumliche Sehen, benötigt eine relativ große Gehirnkapazität. Dass Menschenaffen, und Primaten im allgemeinen, über ein für ihre Körpergröße großes Gehirn verfügen, wird aber vor allem damit erklärt, dass sie in komplexeren sozialen Gruppen leben als andere Säugetiere (“Hypothese des sozialen Gehirns”). Eines der Argumente für diese Hypothese ist, dass die Größe der Großhirnrinde bei Primaten mit der Größe der sozialen Gruppe wächst, in der sie leben; ein Zusammenhang, den man bei anderen Tiergruppen nicht findet. Das Leben in Gruppen wiederum senkte das Risiko der Primaten, als Beute von Raubtieren zu enden.
Im Verlauf des Miozäns kühlte die Erde sich ab (>> Klimageschichte); zugleich bewegte sich Afrika nach Norden, dadurch entfernte sich der Nordteil des Kontinents vom Äquator und kühlte zusätzlich ab. Dadurch wurden dort die Regenwälder zurückgedrängt, offenere Savannenlandschaften dehnten sich aus. Vor 30 Mio. Jahren begann zudem südlich des Roten Meeres, die Afrikanische Platte auseinander zu brechen: Es begann die Entstehung des zweiarmigen ostafrikanischen Grabenbruchs, die das uralte Tansania-Kraton umgeben. Das zentrale Tal senkte sich unter den Meeresspiegel ab, die Ränder an den Gräben wurden angehoben: Dabei entstanden im Laufe der Zeit mächtige Steilwände, die bis zu 2.700 m hoch wurden ("Mau Escarpment" in Kenia). Diese Berge unterbrachen die Westwinde, die zuvor feuchte Atlantikluft über ganz Afrika verteilt hatten; nun regneten sie an den Bergen ab. Das Gebiet östlich der Berge lag im Regenschatten, und dies verstärkte noch die Umwandlung der früheren Regenwälder in eine Baumsavanne. Vor acht Millionen Jahren wurde Afrika noch einmal trockener, wie zunehmende Sandmengen in den Sedimenten vor der Küste Westafrikas zeigen – um diese Zeit begann die Entstehung der Sahara. Die Sedimente zeigen auch, dass sich in den Tropen die im Rhythmus von 23.000 Jahren taumelnde Erdachse in einem Wechsel von trockeneren und feuchteren Zeiten auswirkt – und solche Klimaänderungen befördern die Evolution, da manche Arten dadurch aussterben und Lücken hinterlassen, die neuen Arten Lebensräume bieten; außerdem könnte eine sich schnell verändernde Umwelt einen Evolutionsvorteil für intelligente Wesen darstellen: diese ermöglicht eine schnellere Anpassung des Verhaltens als es die natürliche Selektion könnte. Nach den Ergebnissen der Auswertung der molekularen Uhren war es zur Zeit der erneuten Trockenheit, vor acht bis sechs Millionen Jahren, dass unsere Vorfahren in die Baumsavannen und Flusslandschaften vorgedrungen sind, die sich an den Rändern der schrumpfenden Regenwälder ausbreiteten. Im dem wechselhaften Klima, das dann folgte, ist der Zweig im Baum – oder besser Busch – des Lebens entstanden, der zum modernen Menschen führte (108) (der andere Zweig sollte sich später noch einmal verzweigen – der eine Tochterzweig führte zu den Schimpansen, der andere zu den Bonobos).
Wie diese Vorfahren ausgesehen haben, darüber kann nur spekuliert werden. Die meisten Wissenschaftler vermuten, dass sie den Schimpansen ähnelten: Die Schimpansen sind dem Lebensraum Regenwald treu geblieben und hätten sich daher vermutlich weniger verändert. Einige Wissenschaftler glauben aber auch, dass diese Vorfahren bereits aufrecht gingen, und die Schimpansen erst später zum Regenwald-Dasein zurückgekehrt seien. Fossile Belege für diese Vermutungen gibt es nicht, da Fossilien in den feuchten Tropenwäldern kaum entstehen können. Aber durch die Funde des sechs bis sieben Millionen Jahre alten Sahelanthropus tchadensis (siehe Die Funde der ältesten Vormenschen), der möglicherweise bereits aufrecht ging, erhalten sie neue Aktualität – andernfalls müsste die Entwicklung des aufrechten Ganges sehr schnell gewesen sein (was aber durchaus möglich ist). Die Funde von Orrorin tugenensis (auch er könnte Untersuchungen des Hüftknochens zufolge aufrecht gegangen sein) und der Ardipithecus-Arten zeigen, dass Sahelanthropus keineswegs alleine stand. Vermutlich entstand in dem neuen Lebensraum der aufrechte Gang mehrmals unabhängig voneinander – die Entwicklung hin zum Menschen fand nicht an einem Ort statt, sondern war ein über ganz Afrika verbreitetes Phänomen (wie zuerst von dem südafrikanischen Paläontologen Phillip Tobias vermutet).
Die Vorläufer des Menschen blieben zunächst vermutlich Baumbewohner, die in Nestern in den Bäumen schliefen; der 4,4 Millionen Jahre Ardipithecus ramidus etwa hatte Hände mit affenähnlichen langen Fingergliedern, wie sie Baumbewohner auszeichnen. Becken und Füße zeigen aber, dass die Art sich (einem gegenständigen großen Zeh zum Trotz, mit dem die Füße auch bestens zum Greifen geeignet waren) zumindest zeitweise am Boden aufgehalten hat. Was Ardipithecus auf den Boden getrieben haben könnte, ist umstritten: Die einen glauben, dass der aufrechte Gang in offeneren Landschaften von Vorteil war – auf zwei Beinen konnte man im hohen Savannengras weiter sehen, wenn es galt, Abstände zwischen den Bäumen zu überbrücken (auch Schimpansen richten sich auf, um besser sehen zu können; außerdem zur Verteidigung und zum Angriff); andere glauben an andere Anfangsvorteile, etwa als Mittel zum Sex (aufrecht gehende Männchen konnten möglichen Partnerinnen reife Früchte als “Bezahlung” für Sex anbieten; die Männchen zeigten außerdem aufrecht ihre Genitalien) oder den besseren Schutz vor Sonnenstrahlung (mehr). Wie auch immer: Die Baumsavanne als Lebensraum sollte auch der Gehirnentwicklung förderlich sein – pflanzliche Nahrung ist in einer Baumsavanne schwieriger zu finden als im Regenwald; vor allem war sie ungleicher verteilt, so dass man sich Fundorte merken musste. Dafür gab es hier eine andere, proteinreiche Nahrungsquelle: Fleisch – die Baumsavanne ernährte damals schon wie heute große Herden von Pflanzenfressern. Um sich die Nahrungsquellen der Baumsavanne erschließen zu können, muss man aber wandern können: Dann kann man dorthin gehen, wo Nahrungspflanzen reif sind und kann dabei auf Fleisch von verstorbenen Pflanzenfressern hoffen (die Vormenschen konnten wohl in der Gruppe, wie heute Hyänen, auch anderen Raubtieren die Beute streitig machen). Beim Wandern aber waren Jungtiere hinderlich – es sei denn, man konnte sie in den Armen tragen. Auf diese Weise erschloss der aufrechte Gang also wohl dem Menschen die besten Nahrungsquellen der Baumsavanne, zu denen auch schon Muscheln und Krebse aus Gewässern gehörten. So wurde die Savanne zum angenehmen Lebensraum: Nahrung war reichlich vorhanden und gefährliche Feinde selten (und zur Not konnte man auf Bäume flüchten).
Unsere Vorfahren? – Die Australopithecinen
Vor über 4 Millionen Jahren waren die ersten Vormenschen in den Baumsavannen von den Australopithecinen („Südaffen“) abgelöst worden. Die Funde von Raymond Dart, Richard Broom, den Leakeys, Don Johanson und anderen zeigen, dass diese im Westen, Nordosten und Süden Afrikas lebten; auch hier gab es mehrere Arten: Australopithecus anamensis, A. afarensis, A. africanus, A. sediba, Paranthropus boisei, und möglicherweise noch einige weitere. Die Australopithecinen konnten, wie die Fußspuren von Laetoli zeigen, mit Sicherheit aufrecht gehen. Für Charles Darwin war der aufrechte Gang das Kennzeichen des Menschen, er habe die Hände für Werkzeug- und Waffengebrauch “befreit”. Aber Steinwerkzeuge tauchen erst viele Hunderttausend Jahre später in der Geschichte auf (siehe unten), und dürften daher nicht alleine der entscheidende Vorteil des aufrechten Gangs gewesen sein – dies war, so glaubt man heute, wohl eher die Möglichkeit, Kinder zu tragen und dorthin wandern zu können, wo Nahrungspflanzen reif oder Tierherden hinzogen (siehe oben). Australopithecus konnte aber auch noch – die langen Arme und gebogene Finger und Zehen belegen dies – gut klettern. Das Gebiss der Australopithecinen ähnelt eher dem Menschen als den Schimpansen – kleine Eckzähne lassen vermuten, dass es kaum noch als Waffe gebraucht wurde. Ihr Gehirn war 380 bis 450 Kubikzentimeter groß; kaum größer als das der heutigen Schimpansen. Den Zähnen und dem trichterförmigen Brustkorb (der einen für überwiegende Pflanzenfresser notwendigen großen Bauchraum ermöglichte) nach zu urteilen, ernährten sich die Australopithecinen noch hauptsächlich von Pflanzen; Fleisch scheint (wie bei den meisten Primaten) nur eine gelegentliche Ergänzung gewesen zu sein. Die robusten Australopithecinen mit großen Mahlzähnen (Brooms Gattung Paranthropus robustus) gelten heute als ein letztlich ausgestorbener Sonderweg, der sich offenbar auf Früchte als Nahrung spezialisiert hatte (ähnlich wie Orang-Utans, die auch ähnliche Zähne haben). Aus welcher der bekannten – oder möglicherweise auch aus noch unbekannten – “grazilen” Arten sich der Mensch entwickelte, ist noch unbekannt; als einer der Kandidaten gilt der Vorfahre des 2008 in Südafrika entdeckten A. sediba.
Auch die ältesten bisher gefundenen Steinwerkzeuge, 3,3 Millionen Jahre alt (120), werfen Fragen auf: Offenbar wurden auch sie bereits von Arten mit kleinem Hirn hergestellt – in der Nähe der Fundstätte wurden Fossilien der 2001 erstmals gefundenen Art Kenyanthropus platyops (einem Australopithecus-Verwandten) gefunden. Da es als wahrscheinlich gilt, dass die Werkzeugherstellung nur gelingt, wenn die Individuen voneinander lernen können, könnten die Steinwerkzeuge ein erstes Zeichen der späteren Menschwerdung sein – ein Hinweis auf den sich entwickelnden Verstand.
Die ersten Menschen
Beginnend vor rund drei Millionen Jahren führte die zunehmende Abkühlung am Ende des Pliozäns zu den Eiszeiten des Pleistozäns. Im tropischen Afrika hieß dies: Es wurde noch trockener, die Bäume litten und gingen zu Grunde, und es bildete sich eine Busch- und Grassavanne. Aber das Klima der Eiszeiten war auch sehr wechselhaft, und dieses wirke sich im Ostafrikanischen Graben besonders aus: viele der Seen hier reagierten sehr empfindlich auf die Klimaänderungen: in wärmeren, aufgrund der gesteigerten Verdunstung feuchteren Zeiten fiel in den Bergen entlang des Grabens mehr Regen, der die Seen im Grabenbruch auffüllte und eine üppigere Vegetation rund um die Seen ermöglichte; in kälteren, trockeneren Zeiten verdunstete im Tal viel mehr Wasser als aus den Bergen nachgeliefert wurde, die Seen schrumpften oder trockneten aus. Da die Entstehung des Grabenbruchs zudem von vielen Vulkanausbrüchen begleitet war, entstanden zahlreiche Felskämme aus erstarrter Lava, die für ein vielfältiges Landschafts- und Vegetationsmosaik sorgten (122). Eine reine Grassavanne wäre als Lebensraum weniger angenehm als die frühere Baumsavanne gewesen: zwar gab es auch hier große Herden von Pflanzenfressern, diese lockten aber auch Löwen, Leoparden, Hyänen und wilde Hunde an, die auch den Australopithecinen gefährlich werden konnten; und in der Grassavanne gab es keine Bäume mehr, auf die man flüchten konnte. Unsere Vorfahren dürften aber von der Vielfalt und dank zunehmenden Intelligenz auch von der Veränderlichkeit der Lebensräume profitiert haben, mit der sie sich für die Jagd organisieren und auch wirksame Verteidigungsmechanismen erfinden konnten. Was letztendlich der entscheidende Faktor waren, wissen wir nicht – aber sie überlebten; und diese Nachkommen der Australopithecinen entwickelten sich zur Gattung Homo, dem Menschen. Er tauchte erstmals vor gut 2,5 Millionen Jahren in Afrika auf. Jetzt gab es auch eine neue Qualität von Steinwerkzeugen, Abschläge mit scharfen Kanten (die Oldowan-Werkzeuge). Lange galt die Herstellung von Werkzeugen als entscheidender Unterschied zwischen Menschen und Menschenaffen – nur Menschen, dachte man, stellen Werkzeuge her, was eine neue Stufe von Planung und Voraussicht darstelle. Seitdem Jane Goodall bei ihren Beobachtungen an wild lebenden Schimpansen (wieder-) entdeckte*, dass auch diese Werkzeuge herstellen, und entdeckt wurde, dass vermutlich bereits die Australopithecinen begannen, Werkzeug herzustellen, ist Werkzeuggebrauch alleine kein Maßstab mehr, es werden auch Gehirngröße und anatomische Merkmale betrachtet (* "wiederentdeckte", da bereits Charles Darwin in “Die Abstammung des Menschen” davon berichtete).
Die Steinwerkzeuge des Menschen dienten offenbar vor allem der Nahrungsaufnahme. Frische Abschläge sind scharf wie eine Stahlklinge, mit ihnen konnten Knochen, Nüsse, Muscheln und Krebse aufgebrochen sowie Fleisch und Knollen zerteilt werden. Die neue Gattung Homo umfasste vor 2,5 Millionen Jahren bereits mindestens zwei Arten, Homo rudolfensis und Homo habilis. Beide stehen gewissermaßen zwischen Australopithecinen und modernem Menschen (weshalb es auch Forscher gibt, die lieber von Australopithecus rudolfensis und A. habilis sprechen; auch die Abgrenzung zwischen A./H. rudolfensis und A./H. habilis ist umstritten). Ursächlich für die Einstufung als Mensch war seinerzeit ihre Herstellung von Steinwerkzeugen, und das mit 600 bis 800 Kubikzentimetern im Vergleich zu Australopithecus große Gehirn. Auch wenn das Sozialleben als wichtigster Auslöser des Gehirnwachstums gilt (mehr), haben sich möglicherweise auch Werkzeuggebrauch und Hirnentwicklung gegenseitig gestärkt: Lernfähige Tiere, die Werkzeuge geschickt gebraucht haben, hatten womöglich in wechselhaftem Klima Vorteile beim Überleben und der Fortpflanzung, und so hat sich die Lernfähigkeit in den menschlichen Erbanlagen verankert. (Also nicht direkt, wie von Lamarck angenommen, sondern über die Änderung des Selektionsdrucks; eine Theorie des amerikanischen Psychologen James Mark Baldwin [“Baldwin-Effekt”]. Im übrigen muss man die Gehirngröße auf die Körpergröße beziehen – dann fällt die Entwicklung etwas weniger beeindruckend aus als bei den reinen Volumenwerten, ist aber immer noch deutlich.)
Homo rudolfensis und H. habilis aßen, ihren Zähnen nach zu schließen, mehr Fleisch als die älteren Austrolopithecinen: Im tropischen Klima hatte es zu jeder Zeit junge Pflanzen und reife Früchte, also ein gutes Nahrungsangebot, gegeben; in der Savanne war dies in der Trockenheit nicht mehr der Fall – die Pflanzen wachsen und bilden ihre Früchte nur noch zur Regenzeit. Trockene Pflanzen enthalten viel Zellulose, die nicht von Tieren, sondern nur von bestimmten Einzellern abgebaut werden kann; diese Einzeller kommen aber im Verdauungssystem von vielen pflanzenfressenden Tierarten wie Rindern, Schafen, Ziegen, Pferden, Eseln und Kamelen vor, die daher auf Grasland eine ideale Weide finden. Der Mensch musste sich in seinem neuen Lebensraum in der Trockenzeit verstärkt von der Jagd (und wohl auch der Fischerei) ernähren. Das war ein Glück: Fleisch und Fisch lieferten die Energie und Nährstoffe, die er brauchte, um sein größeres Gehirn zu versorgen. Und das größere Hirn half wiederum, bei der Jagd an mehr Fleisch zu kommen. Ohne den steigenden Beitrag von Fleisch zur Ernährung wäre das Gehirnwachstum des Menschen kaum denkbar gewesen. Und dieses ist tatsächlich kennzeichnend für den Menschen – bei ihm wuchs das Gehirn im Laufe der Zeit, bei Menschenaffen nicht. (Die fleischreichere Ernährung hatte eine weitere Folge: Fleisch ist reich an Proteinen – es versorgte Mütter und Kleinkinder derartig mit Proteinen, dass eine hohe Kinderzahl möglich wurde; Menschenfrauen können zehn und mehr Kinder bekommen. Damit war eine Basis gelegt für den Fortpflanzungserfolg des Menschen, und Fortpflanzungserfolg ist das Maß für Fitness in der Evolution [mehr]).
Diese neuen Arten mit großem Gehirn lebten offenbar eine Zeitlang gemeinsam mit den kleinhirnigeren Australopithecinen. Vor 1,9 Millionen Jahren tauchte eine neue Art auf: Homo erectus (“aufrechter Mensch”), dessen berühmtester Fund in Afrika der “Junge von Turkana” ist. Homo erectus entwickelte sich möglicherweise nicht aus A. afarensis oder A. africanus, sondern aus anderen, noch unbekannten Arten, die im Süden und Norden Afrikas lebten. Von dort muss er nach Ostafrika eingewandert sein, was sein in der Fossiliengeschichte plötzliches, übergangsloses Auftauchen erklärt. Inzwischen ist H. erectus auch in Marokko, Algerien, Äthiopien, Tansania, Kenia und Südafrika gefunden worden (Frühformen werden manchmal auch als eigene Art Homo ergaster angesehen). Das Skelett des “Jungen von Turkana” gehörte einem 11 bis 14 Jahre alten Jungen, der bereits 1,45 Meter groß war. Ausgewachsen konnte H. erectus bis 1,80 Meter groß werden, die Proportionen seiner Glieder entsprechen etwa denen des modernen Menschen; und er war wie dieser ein ausgezeichneter Langstreckenläufer. Sein Gehirn wurde 850 bis 1.000 Kubikzentimeter groß. Eine Konsequenz des größeren Gehirns scheinen auch die komplexeren Werkzeuge von Homo erectus zu sein: Zusätzlich zu einfachen Abschläge wurden nun auch beidseitig bearbeitete Faustkeile benutzt, die die “Acheuléen-Kultur” begründen (130). Faustkeile, birnenförmige Steine, deren obere Rundung möglicherweise mit der Hand gehalten wurde und deren geschärfte schmalen Seiten nach Ansicht vieler Archäologen eine Art "Schweizer Taschenmesser der Steinzeit" vielseitig als Schabe-, Schneide- und Hackwerkzeug und für andere Aufgaben eingesetzt wurde (nach Meinung anderen Archäologen aber möglicherweise auch mit einem Holzstiel z.B. zu einer Art Axt verbunden war, den man heute nicht mehr findet, da das Holz die Zeit nicht überdauert hat) sollten über eine Millionen Jahre lang das kennzeichnende Werkzeug des Menschen bleiben. Die Herstellung von Faustkeilen verlangte Planung und Vorstellungskraft; man musste Dinge sehen können, die vorher nicht existierten. Viele Wissenschaftler vermuten, dass bei H. erectus die Grenze überschritten wurde, die das Gehirn zum wichtigsten Überlebensorgan des Menschen machte; und bei H. erectus führte der Werkzeuggebrauch erstmals in der Geschichte der Evolution zu einer Art, die ihre eigene ökologische Nische schuf und damit ihre geografische Verbreitung enorm ausdehnen konnte (siehe unten). Möglicherweise hat der Werkzeuggebrauch seinerseits auch auf die Evolution zurückgewirkt, indem die Individuen, die bessere Anlagen für die Herstellung und den Gebrauch von Werkzeugen hatten, begünstigte (134).