Der Mensch

Unser afrikanischer Ursprung

Vor etwa acht bis sechs Millionen Jahren spaltete sich in Afrika eine Entwicklungs­linie der Menschenaffen auf, aus der einerseits die Schimpansen und andererseits die Menschen hervorgingen. Dieser afrikanische Ursprung der Menschheit, den viele Naturforscher längst vermutet hatten, ist heute durch genetische Unter­such­un­gen nachgewiesen. In Afrika lebten viele Arten von Vormenschen und Menschen; wie wir genau mit ihnen verwandt sind, ist noch ungeklärt.

Rekonstruktion eines Neandertalers aus dem Neandertal-Museum

Rekonstruktion eines Neandertalers aus dem Neandertaler-Museum. Abb.: wikipedia commons, gemeinfrei

Die umstrittene Abstammung des Menschen

Als Charles Darwin im Jahr 1859 sein Buch „Die Entstehung der Arten“ veröffentlichte, hielt er sich mit expliziten Aussagen über die Abstammung des Menschen noch zurück. Aber seine Anhänger wie der englische Biologe Thomas Henry Huxley und der deutsche Zoologe Ernst Haeckel scheuten sich nicht, es auszusprechen: Auch der Mensch unterliegt der Evolution; Menschen und Menschenaffen stammen von gemeinsamen Vorfahren ab. 1871 bekannte sich auch Charles Darwin mit seinem Buch „Die Abstammung des Menschen“ zu dieser Position. Er vermutete die Wiege der Menschheit in Afrika, weil dort unsere nächsten Verwandten leben. Die anatomischen Ähnlichkeiten – der Körperbau der Menschenaffen, insbesondere der Schimpansen, und der des Menschen stimmen bis in Einzelheiten überein; bis auf einige Merkmale, die den Menschen ausmachen – hatten schon 1758 Carl von Linné dazu bewegt, in der 10. Auflage seines "Natursystems" den Menschen in die zoologische Ordnung der Primaten einzuordnen. Linnés Einstufung ging wiederum auf die Untersuchung eines 1698 nach England gebrachten Schimpansen zurück, den der englische Anatom und Arzt Edward Tyson beschrieben hatte; Tyson hatte die Merkmale aufgelistet, die mehr dem Menschen oder mehr den anderen Affen ähnelten.

Damit setzten diese Naturforscher sich über die Darstellung in der Bibel hinweg, nach der Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen habe und er daher von den Tieren getrennt war. Sich gegen diese vorherrschende Meinung zu stellen, war mutig: Noch 1619 war in Toulouse der Philosoph Lucilio Vanini verbrannt worden, weil er gesagt hatte, dass die Menschen möglicherweise vom Affen abstammten. Wo die Kirche solche Erkenntnisse nicht unterdrückte, war Linnés Einschätzung aber keine Neuigkeit: Ein portugiesischer Missionar berichtete Anfang des 17. Jahrhunderts aus Westafrika, dass die dortigen “Hei­den” glaubten, vom Schimpansen abzustammen.

In den Jahren nach Darwins Veröffentlichung belegten dann zahlreiche Fossilfunde die Evolution des Menschen (Die Erforschung der Entwicklungsgeschichte des Menschen). Mit diesen Funden wurde im Laufe der Zeit das Bild der Abstammung des heutigen Men­schen etwas klarer; man darf aber nicht vergessen, dass es letztendlich auf einer begrenz­ten Anzahl von zerbrochenen Knochen und behauenen Steinen beruht – darauf beruhen dann plausible Annahmen, die aber nicht selten umstritten sind. Neue Funde können das Bild immer noch verändern. Die afrikanische Abstammung des Menschen wurde aber in jüng­ster Zeit durch genetische Untersuchungen eindrücklich belegt: Das Erbmaterial von Schim­pansen und Menschen stimmt zu über 98 Prozent mit dem des heutigen Menschen überein, und die größte Vielfalt innerhalb der Menschheit findet sich heute in Afrika (siehe Homo sapiens). Mit Hilfe molekularer Uhren (siehe auch hier) und der Untersuchung der Ver­brei­tung von Genveränderungen können heute die Fossilfunde auch um zeitliche und räum­liche Informationen ergänzt werden, so dass sich mittlerweile ein detailliertes Bild der Aus­breitung des Menschen über die Erde zeichnen lässt.

Der Weg zum Menschen

Vom Affen zum Vormenschen

Menschenaffen lebten in Afrika seit dem Miozän; sie entstanden vor etwa 18 bis 15 Millio­nen Jahren. Sie lebten in den Regenwäldern, die große Teile Afrikas bedeckten. Mit ihren langen Armen sind Menschenaffen bestens an diesen Lebensraum angepasst, in dem sie sich von Baum zu Baum schwingen und hangeln konnten – wie heute die Schimpansen. Damit verbunden waren einige wichtige Anlagen, die später auf dem Weg zum Menschen weiterentwickelt werden konnten: Wer von Ast zu Ast springt, braucht gutes räumliches Sehen und geschickte Hände – und beides, vor allem aber das räumliche Sehen, benötigt eine relativ große Gehirnkapazität. Dass Menschenaffen, und Primaten im allgemeinen, über ein für ihre Körpergröße großes Gehirn verfügen, wird aber vor allem damit erklärt, dass sie in komplexeren sozialen Gruppen leben als andere Säugetiere (“Hypothese des sozialen Gehirns”). Eines der Argumente für diese Hypothese ist, dass die Größe der Großhirnrinde bei Primaten mit der Größe der sozialen Gruppe wächst, in der sie leben; ein Zusammen­hang, den man bei anderen Tiergruppen nicht findet. Das Leben in Gruppen wiederum senkte das Risiko der Primaten, als Beute von Raubtieren zu enden.

Im Verlauf des Miozäns kühlte die Erde sich ab (>> Klimageschichte); zugleich bewegte sich Afrika nach Norden, dadurch entfernte sich der Nordteil des Kontinents vom Äquator und kühlte zusätzlich ab. Dadurch wurden dort die Regenwälder zurückgedrängt, offenere Savannenlandschaften dehnten sich aus. Vor 30 Mio. Jahren begann zudem südlich des Roten Meeres, die Afrikanische Platte auseinander zu brechen: Es begann die Entstehung des zweiarmigen ostafrikanischen Grabenbruchs, die das uralte Tansania-Kraton umge­ben. Das zentrale Tal senkte sich unter den Meeresspiegel ab, die Ränder an den Gräben wurden angehoben: Dabei entstanden im Laufe der Zeit mächtige Steilwände, die bis zu 2.700 m hoch wurden ("Mau Escarpment" in Kenia). Diese Berge unterbrachen die West­winde, die zuvor feuchte Atlantikluft über ganz Afrika verteilt hatten; nun regneten sie an den Bergen ab. Das Gebiet östlich der Berge lag im Regenschatten, und dies verstärkte noch die Umwandlung der früheren Regenwälder in eine Baumsavanne. Vor acht Millionen Jahren wurde Afrika noch einmal trockener, wie zunehmende Sandmengen in den Sedimen­ten vor der Küste Westafrikas zeigen – um diese Zeit begann die Entstehung der Sahara. Die Sedimente zeigen auch, dass sich in den Tropen die im Rhythmus von 23.000 Jahren taumelnde Erdachse in einem Wechsel von trockeneren und feuchteren Zeiten auswirkt – und solche Klimaänderungen befördern die Evolution, da manche Arten dadurch aussterben und Lücken hinterlassen, die neuen Arten Lebensräume bieten; außerdem könnte eine sich schnell verändernde Umwelt einen Evolutionsvorteil für intelligente Wesen darstellen: diese ermöglicht eine schnellere Anpassung des Verhaltens als es die natürliche Selektion könnte. Nach den Ergebnissen der Auswertung der molekularen Uhren war es zur Zeit der erneuten Trockenheit, vor acht bis sechs Millionen Jahren, dass unsere Vorfahren in die Baumsavan­nen und Flusslandschaften vorgedrungen sind, die sich an den Rändern der schrumpfenden Regenwälder ausbreiteten. Im dem wechselhaften Klima, das dann folgte, ist der Zweig im Baum – oder besser Busch – des Lebens entstanden, der zum modernen Menschen führte (108) (der andere Zweig sollte sich später noch einmal verzweigen – der eine Tochterzweig führte zu den Schimpansen, der andere zu den Bonobos).

Wie diese Vorfahren ausgesehen haben, darüber kann nur spekuliert werden. Die meisten Wissenschaftler vermuten, dass sie den Schimpansen ähnelten: Die Schimpansen sind dem Lebensraum Regenwald treu geblieben und hätten sich daher vermutlich weniger verändert. Einige Wissenschaftler glauben aber auch, dass diese Vorfahren bereits aufrecht gingen, und die Schimpansen erst später zum Regenwald-Dasein zurückgekehrt seien. Fossile Bele­ge für diese Vermutungen gibt es nicht, da Fossilien in den feuchten Tropenwäldern kaum entstehen können. Aber durch die Funde des sechs bis sieben Millionen Jahre alten Sahel­anthropus tchadensis (siehe Die Funde der ältesten Vormenschen), der möglicher­weise bereits aufrecht ging, erhalten sie neue Aktualität – andernfalls müsste die Entwick­lung des aufrechten Ganges sehr schnell gewesen sein (was aber durchaus möglich ist). Die Funde von Orrorin tugenensis (auch er könnte Untersuchungen des Hüftknochens zufolge aufrecht gegangen sein) und der Ardipithecus-Arten zeigen, dass Sahelanthropus keines­wegs alleine stand. Vermutlich entstand in dem neuen Lebensraum der aufrechte Gang mehrmals unabhängig voneinander – die Entwicklung hin zum Menschen fand nicht an einem Ort statt, sondern war ein über ganz Afrika verbreitetes Phänomen (wie zuerst von dem südafrikanischen Paläontologen Phillip Tobias vermutet).

Die Vorläufer des Menschen blieben zunächst vermutlich Baumbewohner, die in Nestern in den Bäumen schliefen; der 4,4 Millionen Jahre Ardipithecus ramidus etwa hatte Hände mit affenähnlichen langen Fingergliedern, wie sie Baumbewohner auszeichnen. Becken und Füße zeigen aber, dass die Art sich (einem gegenständigen großen Zeh zum Trotz, mit dem die Füße auch bestens zum Greifen geeignet waren) zumindest zeitweise am Boden aufgehalten hat. Was Ardipithecus auf den Boden getrieben haben könnte, ist umstritten: Die einen glauben, dass der aufrechte Gang in offeneren Landschaften von Vorteil war – auf zwei Beinen konnte man im hohen Savannengras weiter sehen, wenn es galt, Abstände zwischen den Bäumen zu überbrücken (auch Schimpansen richten sich auf, um besser sehen zu kön­nen; außerdem zur Verteidigung und zum Angriff); andere glauben an andere Anfangsvor­tei­le, etwa als Mittel zum Sex (aufrecht gehende Männchen konnten möglichen Partnerin­nen reife Früchte als “Bezahlung” für Sex anbieten; die Männchen zeigten außerdem auf­recht ihre Genitalien) oder den besseren Schutz vor Sonnenstrahlung (mehr). Wie auch immer: Die Baumsavanne als Lebensraum sollte auch der Gehirnentwicklung förderlich sein – pflanzliche Nahrung ist in einer Baumsavanne schwieriger zu finden als im Regenwald; vor allem war sie ungleicher verteilt, so dass man sich Fundorte merken musste. Dafür gab es hier eine andere, proteinreiche Nahrungsquelle: Fleisch – die Baumsavanne ernährte damals schon wie heute große Herden von Pflanzenfressern. Um sich die Nahrungsquellen der Baum­savanne erschließen zu können, muss man aber wandern können: Dann kann man dorthin gehen, wo Nahrungspflanzen reif sind und kann dabei auf Fleisch von verstorbenen Pflanzenfressern hoffen (die Vormenschen konnten wohl in der Gruppe, wie heute Hyänen, auch anderen Raubtieren die Beute streitig machen). Beim Wandern aber waren Jungtiere hinderlich – es sei denn, man konnte sie in den Armen tragen. Auf diese Weise erschloss der aufrechte Gang also wohl dem Menschen die besten Nahrungsquellen der Baumsavanne, zu denen auch schon Muscheln und Krebse aus Gewässern gehörten. So wurde die Savan­ne zum angenehmen Lebensraum: Nahrung war reichlich vorhanden und gefährliche Feinde selten (und zur Not konnte man auf Bäume flüchten).

Unsere Vorfahren? – Die Australopithecinen

Vor über 4 Millionen Jahren waren die ersten Vormenschen in den Baumsavannen von den Australopithecinen („Südaffen“) abgelöst worden. Die Funde von Raymond Dart, Richard Broom, den Leakeys, Don Johanson und anderen zeigen, dass diese im Westen, Nordosten und Süden Afrikas lebten; auch hier gab es mehrere Arten: Australopithecus anamensis, A. afarensis, A. africanus, A. sediba, Paranthropus boisei, und möglicherweise noch einige weitere. Die Australopithecinen konnten, wie die Fußspuren von Laetoli zeigen, mit Sicher­heit aufrecht gehen. Für Charles Darwin war der aufrechte Gang das Kennzeichen des Menschen, er habe die Hände für Werkzeug- und Waffengebrauch “befreit”. Aber Stein­werk­zeuge tauchen erst viele Hunderttausend Jahre später in der Geschichte auf (siehe unten), und dürften daher nicht alleine der entscheidende Vorteil des aufrechten Gangs gewesen sein – dies war, so glaubt man heute, wohl eher die Möglichkeit, Kinder zu tragen und dorthin wandern zu können, wo Nahrungspflanzen reif oder Tierherden hinzogen (siehe oben). Australopithecus konnte aber auch noch – die langen Arme und gebogene Finger und Zehen belegen dies – gut klettern. Das Gebiss der Australopithecinen ähnelt eher dem Menschen als den Schimpansen – kleine Eckzähne lassen vermuten, dass es kaum noch als Waffe gebraucht wurde. Ihr Gehirn war 380 bis 450 Kubikzentimeter groß; kaum größer als das der heutigen Schimpansen. Den Zähnen und dem trichterförmigen Brustkorb (der einen für überwiegende Pflanzenfresser notwendigen großen Bauchraum ermöglichte) nach zu urteilen, ernährten sich die Australopithecinen noch hauptsächlich von Pflanzen; Fleisch scheint (wie bei den meisten Primaten) nur eine gelegentliche Ergänzung gewesen zu sein. Die robusten Australopithecinen mit großen Mahlzähnen (Brooms Gattung Paranthropus robustus) gelten heute als ein letztlich ausgestorbener Sonderweg, der sich offenbar auf Früchte als Nahrung spezialisiert hatte (ähnlich wie Orang-Utans, die auch ähnliche Zähne haben). Aus welcher der bekannten – oder möglicherweise auch aus noch unbekannten – “grazilen” Arten sich der Mensch entwickelte, ist noch unbekannt; als einer der Kandidaten gilt der Vorfahre des 2008 in Südafrika entdeckten A. sediba.

Auch die ältesten bisher gefundenen Steinwerkzeuge, 3,3 Millionen Jahre alt (120), werfen Fragen auf: Offenbar wurden auch sie bereits von Arten mit kleinem Hirn hergestellt – in der Nähe der Fundstätte wurden Fossilien der 2001 erstmals gefundenen Art Kenyanthropus platyops (einem Australopithecus-Verwandten) gefunden. Da es als wahrscheinlich gilt, dass die Werkzeugherstellung nur gelingt, wenn die Individuen voneinander lernen können, könnten die Steinwerkzeuge ein erstes Zeichen der späteren Menschwerdung sein – ein Hinweis auf den sich entwickelnden Verstand.

Die ersten Menschen

Beginnend vor rund drei Millionen Jahren führte die zunehmende Abkühlung am Ende des Pliozäns zu den Eiszeiten des Pleistozäns. Im tropischen Afrika hieß dies: Es wurde noch trockener, die Bäume litten und gingen zu Grunde, und es bildete sich eine Busch- und Grassavanne. Aber das Klima der Eiszeiten war auch sehr wechselhaft, und dieses wirke sich im Ostafrikanischen Graben besonders aus: viele der Seen hier reagierten sehr emp­findlich auf die Klimaänderungen: in wärmeren, aufgrund der gesteigerten Verdunstung feuchteren Zeiten fiel in den Bergen entlang des Grabens mehr Regen, der die Seen im Grabenbruch auffüllte und eine üppigere Vegetation rund um die Seen ermöglichte; in kälteren, trockeneren Zeiten verdunstete im Tal viel mehr Wasser als aus den Bergen nachgeliefert wurde, die Seen schrumpften oder trockneten aus. Da die Entstehung des Grabenbruchs zudem von vielen Vulkanausbrüchen begleitet war, entstanden zahlreiche Felskämme aus erstarrter Lava, die für ein vielfältiges Landschafts- und Vegetationsmosaik sorgten (122). Eine reine Grassavanne wäre als Lebensraum weniger angenehm als die frühere Baumsavanne gewesen: zwar gab es auch hier große Herden von Pflanzenfressern, diese lockten aber auch Löwen, Leoparden, Hyänen und wilde Hunde an, die auch den Australopithecinen gefährlich werden konnten; und in der Grassavanne gab es keine Bäume mehr, auf die man flüchten konnte. Unsere Vorfahren dürften aber von der Vielfalt und dank zunehmenden Intelligenz auch von der Veränderlichkeit der Lebensräume profitiert haben, mit der sie sich für die Jagd organisieren und auch wirksame Verteidigungsmechanismen erfinden konnten. Was letztendlich der entscheidende Faktor waren, wissen wir nicht – aber sie überlebten; und diese Nachkommen der Australopithecinen entwickelten sich zur Gattung Homo, dem Menschen. Er tauchte erstmals vor gut 2,5 Millionen Jahren in Afrika auf. Jetzt gab es auch eine neue Qualität von Steinwerkzeugen, Abschläge mit scharfen Kanten (die Oldowan-Werkzeuge). Lange galt die Herstellung von Werkzeugen als ent­scheidender Unterschied zwischen Menschen und Menschenaffen  – nur Menschen, dachte man, stellen Werkzeuge her, was eine neue Stufe von Planung und Voraussicht darstelle. Seitdem Jane Goodall bei ihren Beobachtungen an wild lebenden Schimpansen (wieder-) entdeckte*, dass auch diese Werkzeuge herstellen, und entdeckt wurde, dass vermutlich bereits die Australopithecinen begannen, Werkzeug herzustellen, ist Werkzeuggebrauch alleine kein Maßstab mehr, es werden auch Gehirngröße und anatomische Merkmale be­trachtet (* "wiederentdeckte", da bereits Charles Darwin in “Die Abstammung des Men­schen” davon berichtete).

Die Steinwerkzeuge des Menschen dienten offenbar vor allem der Nahrungsaufnahme. Frische Abschläge sind scharf wie eine Stahlklinge, mit ihnen konnten Knochen, Nüsse, Muscheln und Krebse aufgebrochen sowie Fleisch und Knollen zerteilt werden. Die neue Gattung Homo umfasste vor 2,5 Millionen Jahren bereits mindestens zwei Arten, Homo rudolfensis und Homo habilis. Beide stehen gewissermaßen zwischen Australopithecinen und modernem Menschen (weshalb es auch Forscher gibt, die lieber von Australopithecus rudolfensis und A. habilis sprechen; auch die Abgrenzung zwischen A./H. rudolfensis und A./H. habilis ist umstritten). Ursächlich für die Einstufung als Mensch war seinerzeit ihre Herstellung von Steinwerkzeugen, und das mit 600 bis 800 Kubikzentimetern im Vergleich zu Australopithecus große Gehirn. Auch wenn das Sozialleben als wichtigster Auslöser des Gehirnwachstums gilt (mehr), haben sich möglicherweise auch Werkzeuggebrauch und Hirnentwicklung gegenseitig gestärkt: Lernfähige Tiere, die Werkzeuge geschickt gebraucht haben, hatten womöglich in wechselhaftem Klima Vorteile beim Überleben und der Fort­pflan­zung, und so hat sich die Lernfähigkeit in den menschlichen Erbanlagen verankert. (Also nicht direkt, wie von Lamarck angenommen, sondern über die Änderung des Selek­tionsdrucks; eine Theorie des amerikanischen Psychologen James Mark Baldwin [“Baldwin-Effekt”]. Im übrigen muss man die Gehirngröße auf die Körpergröße beziehen – dann fällt die Entwicklung etwas weniger beeindruckend aus als bei den reinen Volumenwerten, ist aber immer noch deutlich.)

Homo rudolfensis und H. habilis aßen, ihren Zähnen nach zu schließen, mehr Fleisch als die älteren Austrolopithecinen: Im tropischen Klima hatte es zu jeder Zeit junge Pflanzen und reife Früchte, also ein gutes Nahrungsangebot, gegeben; in der Savanne war dies in der Trockenheit nicht mehr der Fall – die Pflanzen wachsen und bilden ihre Früchte nur noch zur Regenzeit. Trockene Pflanzen enthalten viel Zellulose, die nicht von Tieren, sondern nur von bestimmten Einzellern abgebaut werden kann; diese Einzeller kommen aber im Verdau­ungssystem von vielen pflanzenfressenden Tierarten wie Rindern, Schafen, Ziegen, Pferden, Eseln und Kamelen vor, die daher auf Grasland eine ideale Weide finden. Der Mensch musste sich in seinem neuen Lebensraum in der Trockenzeit verstärkt von der Jagd (und wohl auch der Fischerei) ernähren. Das war ein Glück: Fleisch und Fisch lieferten die Energie und Nährstoffe, die er brauchte, um sein größeres Gehirn zu versorgen. Und das größere Hirn half wiederum, bei der Jagd an mehr Fleisch zu kommen. Ohne den steigenden Beitrag von Fleisch zur Ernährung wäre das Gehirnwachstum des Menschen kaum denkbar gewesen. Und dieses ist tatsächlich kennzeichnend für den Menschen – bei ihm wuchs das Gehirn im Laufe der Zeit, bei Menschenaffen nicht. (Die fleischreichere Ernährung hatte eine weitere Folge: Fleisch ist reich an Proteinen – es versorgte Mütter und Kleinkinder derartig mit Proteinen, dass eine hohe Kinderzahl möglich wurde; Menschenfrauen können zehn und mehr Kinder bekommen. Damit war eine Basis gelegt für den Fortpflanzungserfolg des Men­schen, und Fortpflanzungserfolg ist das Maß für Fitness in der Evolution [mehr]).

Diese neuen Arten mit großem Gehirn lebten offenbar eine Zeitlang gemeinsam mit den klein­hirnigeren Australopithecinen. Vor 1,9 Millionen Jahren tauchte eine neue Art auf: Homo erectus (“aufrechter Mensch”), dessen berühmtester Fund in Afrika der “Junge von Turkana” ist. Homo erectus entwickelte sich möglicherweise nicht aus A. afarensis oder A. africanus, sondern aus anderen, noch unbekannten Arten, die im Süden und Norden Afrikas lebten. Von dort muss er nach Ostafrika eingewandert sein, was sein in der Fossilien­geschichte plötzliches, übergangsloses Auftauchen erklärt. Inzwischen ist H. erectus auch in Marokko, Algerien, Äthiopien, Tansania, Kenia und Südafrika gefunden worden (Früh­formen werden manchmal auch als eigene Art Homo ergaster angesehen). Das Skelett des “Jungen von Turkana” gehörte einem 11 bis 14 Jahre alten Jungen, der bereits 1,45 Meter groß war. Ausgewachsen konnte H. erectus bis 1,80 Meter groß werden, die Proportionen seiner Glieder entsprechen etwa denen des modernen Menschen; und er war wie dieser ein ausgezeichneter Langstreckenläufer. Sein Gehirn wurde 850 bis 1.000 Kubikzentimeter groß. Eine Konsequenz des größeren Gehirns scheinen auch die komplexeren Werkzeuge von Homo erectus zu sein: Zusätzlich zu einfachen Abschläge wurden nun auch beidseitig bearbeitete Faustkeile benutzt, die die “Acheuléen-Kultur” begründen (130). Faustkeile, birnen­förmige Steine, deren obere Rundung möglicherweise mit der Hand gehalten wurde und deren geschärfte schma­len Seiten nach Ansicht vieler Archäologen eine Art "Schweizer Taschenmesser der Steinzeit" vielseitig als Schabe-, Schneide- und Hackwerkzeug und für andere Aufgaben eingesetzt wurde (nach Meinung anderen Archäologen aber möglicher­weise auch mit einem Holzstiel z.B. zu einer Art Axt verbunden war, den man heute nicht mehr findet, da das Holz die Zeit nicht überdauert hat) sollten über eine Millionen Jahre lang das kennzeichnende Werk­zeug des Menschen bleiben. Die Herstellung von Faustkeilen verlangte Planung und Vor­stellungskraft; man musste Dinge sehen können, die vorher nicht existierten. Viele Wissen­schaftler vermuten, dass bei H. erectus die Grenze überschritten wurde, die das Gehirn zum wichtigsten Überlebensorgan des Menschen machte; und bei H. erectus führte der Werkzeuggebrauch erstmals in der Geschichte der Evolution zu einer Art, die ihre eigene ökologische Nische schuf und damit ihre geografische Verbreitung enorm ausdehnen konnte (siehe unten). Möglicherweise hat der Werkzeuggebrauch seinerseits auch auf die Evolution zurückgewirkt, indem die Individuen, die bessere Anlagen für die Herstellung und den Gebrauch von Werkzeugen hatten, begünstigte (134).

Keep cool!

Mit dem Übergang in die Busch- und Grassavanne hatte der Vormensch sich einen neuen Lebensraum erschlossen, wo er reichlich Nahrung fand, sich aber auch ein neues Problem eingehandelt: Die Hitze der offenen afrikanischen Landschaft. Das Gehirn ist gegen hohe Temperaturen sehr empfindlich, bereits 40,5 Grad Celsius können tödlich sein. Savannen­tiere verfügen über ein Kühlsystem, das aus einem “Wärmetauscher” am Gehirn und einem “Kühler” in der Schnauze besteht, die im Wald lebenden Schimpansen und wohl auch unsere gemeinsamen Vorfahren nicht. Es gibt sogar die Theorie, dass hier der wichtigste Vorteil des aufrechten Ganges liegt: Aufrecht stehende Tiere setzen einen kleineren Teil des Körpers der heißen Mittagssonne aus; damit konnten sie es sich leisten, im Laufe der Zeit ihr Fell zu verlieren (140) – nur auf dem Kopf blieben die Haare, sie schützen das Gehirn vor der vollen Sonnenstrahlung. Stattdessen setzte sich die “Wasserkühlung” über Schweißdrüsen durch, die bei nackter Haut besonders effektiv ist; und noch mehr bei aufrechtem Gang, der den Körper in den Wind stellt. Ein Quadratmeter Haut kann 700 Watt Wärme abgeben, damit ist der Mensch selbst in afrikanischer Hitze zu körperlicher Aktivität fähig. Es gibt kein anderes Tier, das in warmem Klima so ausdauernd laufen kann wie der Mensch, gute Läufer können selbst Pferde schon nach wenigen Kilometern ein­holen, da es in deren Körper zu einem Hitzestau kommt. Den Schutz der Haut vor ultra­violetter Sonnenstrahlung übernahm das Hautpigment Melanin. Die effektive Kühlung des Körpers machte auch das Gehirnwachstum des Menschen erst möglich, das Kühlsystem der Savannentiere wäre nämlich einem größeren Gehirn nicht gewachsen.

Die “Wasserkühlung” hat aber ihren Preis: Bei körperlicher Aktivität braucht der Mensch jeden Tag mehrere Liter Wasser, die er ausschwitzen kann. Wasser ist für Menschen enorm wichtig, unter normalen Umständen schwankt der Wassergehalt des Körpers höch­stens um ein Prozent, ein Verlust von 5 Prozent kann bereits dauerhaft Schäden hervor­rufen. Ein kleiner Menschenvorfahr wie “Lucy”, so wurde errechnet, kann sich daher höchstens 11,5 Kilometer von einer bekannten Wasserstelle wegbewegen. Große, moderne Menschen haben ein günstigeres Oberflächen-/Volumen-Verhältnis, ihr Radius beträgt 25 Kilometer, das damit abgedeckte Sammelgebiet ist fast 5 Mal so groß – vielleicht einer der Faktoren, die unser Wachstum gefördert haben.

Homo erectus erobert die Welt

Homo erectus war ein “Erfolgsmodell”: Er lebte über 1,5 Millionen Jahre lang auf der Erde, und er verbreitete sich über die halbe Welt – der von Dubois entdeckte „Java-Mensch“ und der “Peking-Mensch” gehörten zu Homo erectus, er gelangte auch nach Europa. Die ältesten Funde aus Dmanisi in Georgien sind 1,8 Millionen Jahre alt; H. erectus muss also bald nach seiner Entstehung (und noch vor Erfindung des Faustkeils) zum ersten Mal ausgewandert sein und gelangte schließlich bis ins heutige China und nach Südostasien (das Alter des "Java-Menschen" ist unklar und liegt zwischen 1,5 Millionen und 900.000 Jahren). Was Homo erectus angetrieben hat, darüber kann man nur spekulieren: Vermehrte er sich so gut, dass die Gruppen zu groß wurden und sich Teilgruppen neue Lebensräume suchen mussten? Folgten Sie den großen Tierherden auf ihren Wanderungen? Oder gab es schon so etwas wie “Wanderlust”? Auf jeden Fall hielten sich diese Frühmenschen offenbar zunächst an Savannen; jedenfalls liegen die ältesten Funde alle in diesem Biotop. Die “robusten”, pflanzenfressenden Australopithecinen starben dagegen vor etwa einer Million Jahren aus.

Die ältesten Funde von Homo erectus aus Südeuropa – aus der spanischen Sierra de Ata­puerca, mitunter auch als eigene Art Homo antecessor gedeutet – sind etwa 900.000 Jahre alt; der älteste deutsche Fund von Heidelberg (den manche Forscher auch als eigene, weiter­entwickelte Art Homo heidelbergensis sehen, mehr) ist 600.000 Jahre alt. Diese Gruppe ist womöglich auf eine neue Einwanderungswelle aus Afrika zurückzuführen, denn sie nutzte die in Afrika erfundenen Faustkeile. Spätestens jetzt konnte Homo erectus/ heidelbergensis jedenfalls auch außerhalb der tropischen und subtropischen Klimazonen überleben.

Die Rolle des Feuers

Das wäre ohne die Nutzung des Feuers nicht möglich gewesen. Seit wann der Mensch das Feuer beherrscht, ist umstritten: Spuren von Feuer können auch auf natürliche Brände zurückgehen. Auch wie Homo erectus den Umgang mit dem Feuer lernte, können wir nur vermuten: Buschfeuer waren in der Savanne häufig, und neugierig, wie Affen und Menschen sind, dürften sie mit der Glut experimentiert haben (kokeln und zündeln fasziniert uns ja bis heute). Der Nutzen des Feuers dürfte ihnen ebenfalls nicht entgangen sein: Feuer ver­än­der­ten die Landschaft, sie beseitigten die alte Vegetation und begünstigten schnell wachsende Gräser, die wiederum Weidetiere anlockten. Und das gebratene Fleisch von Tieren, die im Feuer umgekommen waren, war besser als rohes Fleisch – das wissen auch Hyänen, die sich noch heute bevorzugt auf verkohlte Kadaver stürzen. Irgendwie hat Homo erectus dann gelernt, das Feuer planvoll zu unterhalten – sehr wahrscheinlich schon vor über 1,5 Millionen Jahren, spätestens aber vor 600.000 Jahren war es soweit.

Mit dem Feuer konnte der Mensch nicht nur Fleisch braten (und damit die Energie, die er zum Zerteilen und Verdauen von Fleisch verbrauchte, deutlich reduzieren) und räuchern (also haltbar machen), sondern auch Pflanzen essen, die roh giftig oder die durch dicke Schalen geschützt waren. Feuer erhöhte die Menge an verfügbarer Nahrung, machte diese leichter verdaulich, und nährstoffreicher (es zerstört die zellulosereichen Zellwände in pflanzlicher Nahrung und das Bindegewebe in Fleisch und macht damit die Nährstoffe im Zellinneren zugänglich; ein Gewinn, der die Zerstörung mancher Nährstoffe wie Vitamin C durch Hitze mehr als ausgleicht) und sicherer (es tötet gefährliche Mikroorganismen ab). Wenn die Zunahme tierischer Nahrung die erste Revolution der menschlichen Ernährung gewesen war, so erhöhte das Feuer die Verfügbar von Nahrung noch einmal deutlich und bedeutete die nächste große Revolu­tion in der menschlichen Ernährung. Feuer hielt zudem wilde Tiere fern und man konnte mit ihm Grabstöcke härten (150). Mit dem Feuer begann aber auch die Geschichte des "nicht natürlichen" menschlichen Energieverbrauchs; und Feuer war aber auch das älteste und wichtigste Werkzeug, mit dem der Mensch die natürliche Welt nach seinen Vorstellungen umgestaltete: Er legte Feuer, damit Gräser wuchsen und Jagdwild anlockten. Es war der Beginn der Ent­wicklung, dass der Mensch sich seine eigene ökologi­sche Nische schuf, die die Welt verändern sollte (mehr: Jäger und Sammler und ihre Umwelt). (Möglicherweise hat das Feuer dabei noch eine andere Rolle gespielt: James Suzman (siehe Anm. 134) weist darauf, dass das auch eine Zeit sparende Errungenschaft ist: durch die leichtere verdauliche und nährstoffreichere Nahrung musste der Mensch deutlich weniger Zeit ins Kauen und die Verdauung stecken als andere große Primaten. Er vermutet, dass die dadurch entstandene "Langeweile" die Kreativität des Menschen förderte – und damit ein Motor der kommenden menschlichen Entdeckungen gewesen sein könnte.)

Feuer war jedenfalls so wertvoll, dass Homo erectus es wie später die australischen Ur­einwohner auf seinen Wanderungen mitgenommen haben dürfte – erst konnte der Tropen­bewohner kühlere Lebensräume besiedeln. Zuerst besiedelte Homo erectus gemäßigte Wald­steppen, wo er weiter von den großen Pflanzenfressern lebte. Fast alle Fundorte in Europa, die älter als 500.000 Jahre sind, gehören zu diesem Lebensraum. Vor 400.000 Jahre besiedelte er dann auch kühl-kontinentale Wald- und Wiesensteppen; hierfür steht etwa die Fundstelle von Schöningen bei Helmstedt. Hier wurden auch hölzerne Speere mit im Feuer gehärteter Spitze gefunden, der Flugeigenschaften bereits fast denen heutiger Wett­kampfspeere glichen (160): Der Mensch konnte damit auch große Tiere aus (relativ) sicherer Entfernung töten. Um diese Zeit haben die Menschen mit Sicherheit gejagt und nicht nur von verende­ten Tieren gelebt. Diese Jäger lebten auch nicht mehr ausschließlich in Höhlen, sondern bauten sich Hütten aus Zweigen und Gras. Die winterkalten kontinen­ta­len Gebiete des nördlichen Eurasiens hat H. erectus jedoch nie besiedelt. Auch die meisten südostasia­ti­schen Funde von Homo erectus stammen aus der Zeit von vor 450.000 bis 300.000 Jahren. Vor etwa 300.000 Jahren wurde vermutlich über eine Landbrücke auch Japan besiedelt – die Alte Welt war damit zum ersten Mal umfassend vom Menschen besiedelt. Die Besiede­lung nördlicher Regionen war allerdings auf die Warmphasen zwischen den Eiszeiten be­schränkt.

Stichwort: Steinzeit

Mit Steinzeit bezeichnet man den Abschnitt der menschlichen Geschichte vor der Her­stellung und Nutzung von Metallen. Die Altsteinzeit (Paläolithikum) begann vor 2,5 Mil­lionen Jahren mit den ersten Menschen und endete vor 11.000 Jahren mit Beginn der Jung­steinzeit (hierein fällt also die gesamte auf dieser Seite geschilderte Entwicklung des Menschen); die Altsteinzeit ist durch verschiedene Werkzeuge der Oldowan-, der Acheu­léen- und der Moustérien-Kultur wie einfache Abschläge, Faustkeil, Schaber und Sticheln gekennzeichnet, die durch Behauen von Gestein hergestellt wurden. Die Jungsteinzeit (Neolithikum) ist dagegen durch geschliffene und polierte Steinwerkzeuge gekennzeichnet; da zeitgleich auch die Landwirtschaft erfunden wurde, wird sie heute oft mit dem Beginn der Landwirtschaft gleichgesetzt. In Mitteleuropa, wo die Landwirtschaft später begann, wird zwischen Alt- und Jungsteinzeit noch eine Mittelsteinzeit (Mesolithikum) einge­scho­ben; typisch für diese Zeit sind kleine Abschläge (Mikrolithen), die als Geschoßspitzen auf Speeren, Lanzen und Pfeilen verwendet wurden. Die Steinzeit endete vor 4.800 Jahren (in Mitteleuropa vor 4.300 Jahren) mit dem Beginn der Bronzezeit.

Siehe auch: Das Leben in der Steinzeit

Jäger in der Steinzeit

Die ältesten Funde von Menschenknochen sind oft zusammen mit Tierknochen zu finden; und diese Funde gelten heute nicht mehr wie früher als Beleg für Jagdgeschick, sondern eher als Beleg, dass der Mensch mit anderen Tieren selber zur Beute von Leoparden, Löwen und Hyänen oder anderen Raubtieren wurde. Andere Stellen zeigen, dass der Mensch auch – und sogar recht erfolgreich – selbst jagte und damit immer mehr seine sonstige, überwiegend gesammelte Nahrung ergänzte. Wild muss reichlich vorhanden gewesen sein: Die Entwicklung der Geier aus adlerähnlichen Greifvögeln zeigt, dass Löwen, Hyänen und andere Jäger nicht der begrenzende Faktor der Pflanzenfresser waren, so dass auch noch genug Tiere von den Resten leben konnten (was auch die moderne Forschung nahelegt: Auch heute sterben in der Serengeti mehr Tiere auf den Wanderungen als durch Raubtiere). Was die Zahl der Jäger begrenzte, sind wohl die Wanderungen der Herden: Die meisten Raubtiere können diesen nicht folgen. Der Mensch aber, ein guter Läufer, konnte dies. Vermutlich kamen den Jägern diese läuferischen Fähigkeiten auch bei der Jagd selbst zugute: Sie dürften versucht haben, geschwächte Tiere aus den Herden zu isolieren und zu Tode oder zumindest bis zur Erschöpfung zu hetzen, um sie dann relativ gefahrlos töten zu können.

Siehe auch: Jäger in der Eiszeit

Neandertaler

Vor etwa 900.000 Jahren hatte H. erectus noch einmal einen Entwicklungssprung gemacht: Sein Gehirn wurde bis 1.200 Kubikzentimeter groß – die oben dargestellten, von manchen Forscher als eigene Art eingestuften Homo antecessor und Homo heidelbergensis. Diese Entwicklungsstufe wurde auch in Afrika gefunden (der 1921 in Kabwe, im heutigen Sambia, gefundene “Rhodesienmensch” Homo rhodesiensis), und die genauen Zusammenhänge sind immer noch umstritten. Genetische Daten zeigen, dass sich der gemeinsame Vorfahre von Neandertaler und Denisova-Mensch vor etwa 600.000 Jahren von der Linie abgespalten hat, die zum modernen Menschen führte; und dieser Vorfahre hat sich wohl ebenso aufgemacht und Afrika in Richtung Europa und Westasien verlassen hat, wo sich in Europa der von Fuhlrott 1856 richtig als Vormensch erkannte Neandertaler Homo neanderthalensis (und zwar nach den molekularen Uhren schon vor 600.000 Jahren, die ältesten Funde aus der spanischen Sima de los Huesos sind 420.000 Jahre alt) entwickelt hat, und in Westasien der Denisova-Mensch (der sich vor ca. 500.000 Jahren vom Neandertaler trennte). In Afrika ging aus diesem Vorläufer der moderne Mensch, Homo sapiens, hervor (mehr zu diesem auf der nächsten Seite). Zumindest Neandertaler und Homo sapiens hatten noch einmal ein größeres Gehirn (um die 1.350 Kubikzentimeter beim Homo sapiens; noch etwas größer beim Neandertaler; die Gehirngröße des Denisova-Menschen ist unbekannt). Nach über einer Millionen Jahre nur langsamer Entwicklung der Faustkeile entstanden auch neue Werkzeugformen: Im “Moustérien” finden sich aufwändig vorbereitete, wie ein Schildkröten­panzer geformte Kernsteine, von denen große und dünne Abschläge gewonnen werden konnten, aus denen Klingen, Spitzen und Schaber hergestellt wurden.

Verbreitungsgebiet des Neandertalers vor Ankunft von Homo sapiens in Eurasien

Verbreitungsgebiet der Neandertaler vor der Ankunft des modernen Menschen
 in Eurasien (vor 250.000 bis 45.000 Jahren). Eigene Abbildung nach National
Geographic October 2008, Abb. Rise and Fall of Neanderthals (Seite 51).

Die Neandertaler lebten seit mindestens 420.000 Jahren in Europa und im Nahen Osten; ihre größte Verbreitung erreichten sie im Zeitraum vor 250.000 bis 45.000 Jahren. Nach Osten reichte ihr Verbreitungsgebiet fast bis zur heutigen Mongolei (siehe Abbildung oben). Sie waren bestens an das kalte Klima der Eiszeiten angepasst und hatten ein robustes Skelett, ähnlich heutigen arktischen Jägern wie Inuit, Samen und Sibirier. Dieses gilt als Kälteanpassung – das Verhältnis zwischen Hautfläche und Körpervolumen wird verringert. Tatsächlich lebten die Neandertaler auch in der kalten baumlosen Steppe, die während der Eiszeiten zwischen den Eismassen im Norden und den Alpengletschern lagen. Bei aller Kälteanpassung: Dies wäre ohne den kontrollierten Umgang mit dem Feuer und ohne Klei­dung (180) aus Fell nicht möglich gewesen, denn die Winter waren weit kälter als heute. Zum Ausgleich dafür ernährten die Steppen und Grasländer Mitteleuropas durch kräftiges Wachstum im kurzen, warmen Sommer aber große Herden von Pflanzenfressern: Mammuts in riesigen Herden, Wisente, Wollnashörner, Rentiere, Wildpferde und Riesenhirsche ver­sprachen geschickten Jägern reiche Beute. Und die Neandertaler waren geschickte Jäger und Fleischfresser. Sie stellten mit ihren besseren Abschlägen feiner differenzierte Werk­zeuge her als Homo erectus. Klingen und Messer wurden wohl mit Birkenpech und Tier­sehnen an den Speeren befestigt. Zahlreiche gebrochene Knochen bei den Neandertaler­funden zeigen aber, dass die Jagd auch für diese Jäger gefährlich blieb – große Tiere können sich immer wirkungsvoll wehren. Und noch einen Vorteil hatten die Eiszeiten: In Schattenlagen blieben Frostböden und Schnee wie heute im Hochgebirge lange bestehen beziehungsweise liegen – und so konnten Fleischvorräte “eingefroren” werden, was den Neandertalern geholfen haben mag, den langen, kalten Winter zu überstehen. (Aber auch die Neandertaler lebten nicht vom Fleisch allein: Im Frühjahr dürften sie sich auf die Gelege der Zugvögel gestürzt haben – womöglich sind die Ostereier eine Erinnerung an diesen Brauch –, im Herbst Beeren geerntet haben, mit denen sich auch die Bären einen Fettvorrat für den Winterschlaf anfraßen.)

Ein 1983 in Israel gefundenes Zungenbein eines vor etwa 60.000 Jahren lebenden Neander­talers belegt außerdem, dass sie Laute von sich geben konnten; ein Befund, den geneti­sche Untersuchungen bestätigen: Neandertaler besitzen eine Variante des “Sprachgens” FOXP2. Auch die Sprache wurde letztendlich durch den aufrechten Gang möglich: Durch diesen konnte der Rachenraum sich vergrößern, der Kehlkopf nach unten wandern und sich Stimmbänder ausbilden. Ob die Neandertaler tatsächlich schon gesprochen haben und gar grammatische Strukturen beherrschten, ist daran und an den Genen aber nicht abzulesen. Aber es gibt Anzeichen ritueller Bestattungen bei den Neandertalern: Welche Vorstellungen von Leben und Tod führten wohl zu deren Entstehung? Die Neandertaler trugen offenbar auch Tierzähne und Muschelschalen als Anhänger und sammelten Versteinerungen – un­über­sehbar war bei der Entwicklung des Menschen eine neue Qualität des Bewusstseins entstanden, und diese neue Qualität liegt im Gehirn begründet.

Warum starben die Neandertaler aus? mehr zum Thema auf der Seite zum modernen Menschen.

Mehr zum Neandertaler: Seiten des Rheinischen Landesmuseums Bonn zum Neandertaler, www.rlmb.lvr.de/museum/forschung/neandertaler.htm

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© Jürgen Paeger 2006 – 2021

Wieder anderswo glaub­te man genau das Gegenteil: In vielen Re­gionen galten Mensch­enaffen als Menschen, die in Ungnade gefallen waren.

Der Familienbusch der Menschheit: Die zahlreichen Fossilfunde seit dem ersten Fund im Neandertal belegen die Evolution des Men­schen, aber viele Be­ziehungen zwischen den Funden sind noch unklar. Klar ist nur, dass mitunter mehrere Arten von Vor- und Früh­menschen zusammen vorkamen, unsere Vorgeschichte also eher ein Busch mit vielen Zweigen als eine gerade Abstammungslinie ist.

Die Diskussion um die Abgrenzung zwischen Australopithecus und Homo ist erklärbar, da die Auftrennung ja nur rückblickend geschah: Im Laufe der Zeit ent­wickelten sich die Individuen von Aus­tralo­pithecus in eine Richtung, die irgend­wann als neue Gattung Homo definiert wurde.

“Zwischenstufen”, die es gegeben haben muss, sind in der zoologischen Systema­tik aber nicht vorgese­hen; und so werden Funde von den einen der einen, von anderen der anderen Gattung zugeordnet – und diese Unsicherheit ist im Grunde geradezu ein Beleg für die Evolution.

Dass wir noch längst nicht alles über die Evolution des Menschen wissen, zeigt der 2013 in Südafrika gefundene Homo naledi: Er ver­eint Merkmale der Aus­tra­lopithecinen mit denen der Gattung Homo – seine Schultern und Fingern etwa sind fürs Klettern in Bäumen gebaut, die langen Beine und der Bau der Füße zeigen, dass er ein Läufer war. Auch sein Schädel entspricht der Gattung Homo, sein Gehirn ist aber deutlich kleiner. Bisher (Nov. 2015) konnte der Fund nicht datiert werden, da an der Fundstelle weder mittels 14-C da­tierbare Vulkanasche (wie oft in Ostafrika) noch mittels Radio­metrie datierbare Sedi­mente vorhanden sind.
Mehr zum Thema: National Geographic (englischsprachig)

Melanin schützt die Haut vor der Strahlung der Sonne, und ist zugleich Ursache der Hautfarbe. Ein Mindest­maß an Sonne ist aber nötig, damit der Körper Vitamin D bilden kann, daher sind Völker höh­er­er Breiten oft hell­häutig. Der Zusammen­hang ist aber nicht ein­fach: Inuit zum Beispiel sind eher dunkel, da Eis und Schnee das Licht reflektieren und sie durch ihre Nahrung viel Vitamin D aufnehmen.

Die Hautfarbe ist immer wieder für rassistische Beurteilungen miss­braucht worden. Ras­sis­ten sollten aber be­denken: Schimpansen sind unter ihrem glatt­haarigen Fell hellhäutig, nur das Gesicht ist dun­kel. Ein “Arier” ähnelt also eher einem Schim­pansen als dunkel­häutige, kraus­haarige Menschen.

Ohnehin sind die gene­tischen Unterschiede innerhalb der ganzen Menschheit nicht größer als die zwischen Schim­pansen aus einem ein­zigen Waldgebiet in Zentralafrika; genetisch sind wir alle Afrikaner (von denen ein paar seit kurzem im Exil leben). Die Zeit der Trennung reichte allen­falls, ein paar äußer­liche Merkmale wie Haar-, Haut- und Augen­farbe zu verän­dern, mehr nicht: Wer heute noch rassistische Ansichten vertritt, ist entweder dumm oder bösartig.

Ein “Sprachgen” gibt es natürlich nicht: FOXP2 wird manchmal so ge­nannt, da Menschen mit Schädigungen an FOXP2 nur schwer sprechen lernen. FOXP2 ist ein “Transkriptions­faktor”, der andere Gene reguliert. Ohne diesen Faktor scheinen im Gehirn manche Nervenzellen nicht richtig zu funktionieren. Das Gen kommt bei allen Wirbeltieren vor und ist bei allen sehr ähnlich, unterscheidet sich aber bei Mensch und Schimpansen – daher glauben Forscher, dass es eine Rolle bei der Evolution der Spra­che gespielt haben kön­nte.