Der Mensch
Was den
Menschen besonders macht:
Das Gehirn und die Sprache
Das menschliche Gehirn
zeichnet sich vor allem durch den großen stirnnahen
Teil der Großhirnrinde aus, hier laufen höhere geistige Prozesse ab.
Eigene
Zeichnung (Zwischenhirn, Hirnstamm und Kleinhirn sowie der die
beiden
Großhirnhälften verbindende Balken im Schnitt).
Das Gehirn
Schon bei den ältesten Arten der Gattung Homo ist das
Gehirn fast doppelt so groß wie bei den Australopithecinen; beim
Neandertaler und bei Homo sapiens etwa drei Mal so groß.
Bei "normalen" Säugetieren mit vergleichbarem Körpergewicht ist es
etwa ein Fünftel so groß. Nichts erklärt den Erfolg des >> modernen Menschen auf der Erde besser
als das Gehirn: Es machte ein flexibles Verhalten möglich, mit dem
eine Art ohne besondere körperliche Stärken nahezu alle Lebensräume
der Erde besiedeln konnte.
Und doch stellt das Wachstum des Gehirns während der Evolution des
Menschen die Wissenschaftler vor offene Fragen. Ein großes Gehirn
hat nämlich auch Nachteile: Einerseits einen hohen Energieverbrauch
– das Gehirn macht beim Menschen keine drei Prozent des
Körpergewichts aus, braucht aber schon in Ruhe 20 Prozent der
Körperenergie. Der hohe Protein- und Energiebedarf für den Aufbau
und Erhalt des Gehirns wurde durch den Übergang zu einem höheren
Anteil an Fleisch in der Nahrung sichergestellt. Zum anderen schuf
das Gehirn ein anatomisches Dilemma – ein großes Gehirn braucht
einen großen Kopf; ein größerer Kopf hätte zur Geburt eigentlich ein
breiteres Becken erfordert. Das ist aber mit dem aufrechten Gang
nicht vereinbar. Die Lösung für dieses zweite Dilemma war die
frühere Geburt: Menschenkinder kommen in einem deutlich früheren
Entwicklungsstadium auf die Welt als Schimpansenbabys und entwickeln
sich außerhalb des Mutterleibes weiter. Im Vergleich zum
Schimpansenbaby ist vor allem der Körper im Vergleich zum Kopf
unterentwickelt; und menschliche Babys erreichen erst im 17. Monat
die Geschicklichkeit gerade geborener Schimpansen. Es dauert nach
der Geburt etwa ein Jahr, bis sie stehen können und laufen lernen;
die meisten anderen Säugetiere können sich von Geburt an
selbstständig bewegen. Damit die Menschenbabys diese Zeit
überstehen, ist nun der aufrechte Gang wieder hilfreich: Menschliche
Mütter (oder andere Mitglieder des Clans) können Babys in den Armen
halten (während sich Schimpansenbabys wie die Neugeborenen anderer
Primaten sich am Rücken der Mütter festklammern). Der
unterentwickelte Körper der Menschenbabys führt also zu einer
langen nachgeburtlichen Entwicklungsphase, Schimpansen erreichen
die Pubertät viel früher als Menschenkinder.
Aber womöglich hat gerade die lange Phase, in der die Menschenbabys
von der Fürsorge ihrer Gruppe abhängig sind, das menschliche
Fürsorge- und Sozialverhalten gestärkt: Nach dieser Ansicht hat die
gemeinsame Fürsorge für die Kinder bei der Gattung Homo zu
einem weiteren Wachstum des Gehirns geführt, da diese verbesserte
Formen der Kooperation erforderte. Das Leben in sozialen Gruppen
gilt aber ohnehin als wesentliche Ursache für das große Gehirn der
Menschenaffen (siehe nächster Abschnitt), und daher sollte
verbesserte Kooperation ein weiteres Wachstum des Gehirns bewirken.
Auf jeden Fall hat die gemeinsame Fürsorge unser Sexualverhalten
geändert: Um über die lange Zeit der Abhängigkeit hin den Vater
(anders als bei den Schimpansen) in die Sorge um das Kind
einzubinden, sind Menschenfrauen ständig liebesbereit, nicht mehr
nur zur Paarungszeit – die Väter werden mit Sex bei der Stange
gehalten. Die lange Entwicklungszeit der Kinder sollte dem Menschen
noch aus einem weiteren Grund zum Vorteil gereichen: Sein Gehirn war
früher und länger als das anderer Primaten den Reizen der Außenwelt
ausgesetzt, es hatte also mehr Zeit, während der
Individualentwicklung die genetisch angelegten Verknüpfungen zu
überformen und an die realen Gegebenheiten seiner Umwelt anzupassen
(>>
hier) und so sein in der Größe angelegtes Potenzial voll zu
entfalten. Aber das Gehirn des Menschen ist nicht nur groß, sondern
auch sehr empfindlich und kann leicht verletzt werden. Da es sich
trotzdem in der Evolution durchgesetzt hat, müssen seinen
Nachteilen aber jederzeit entsprechende Vorteile gegenüberstehen.
Welche Vorteile hat ein großes Gehirn?
Offensichtlich war der wesentliche Vorteil zunächst nicht
hauptsächlich der technische oder kulturelle Fortschritt, etwa bei
der Herstellung oder dem Gebrauch von Werkzeugen: Da gab es über
eine Millionen Jahre bis hin zum Neandertaler nur graduelle
Fortschritte, die weit hinter der Zunahme der Gehirngröße
zurückbleiben. Daher suchen Forscher heute die Antwort eher im
komplexen Sozialleben des frühen Menschen. Der Erforschung der
Menschenaffen zeigt immer deutlicher, dass auch diese den größten
Teil ihrer Intelligenz für ihr Sozialleben brauchen
(>>
hier); und so scheint es auch beim Menschen gewesen zu sein.
Hier könnte ein sich selbst verstärkender Regelkreis in Gang gesetzt
worden sein: Ein komplexes Sozialleben bedeutete eine
Überlebensvorteil für den als Einzelwesen seinen Konkurrenten
körperlich unterlegenen Menschen, brauchte aber Intelligenz, die auf
ein komplexeres Gehirn zurückging; und Intelligenz ermöglichte
wiederum ein komplexeres Sozialleben (siehe hierzu auch unten:
>> Die
Sprache). Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass
Menschenaffen zu beeindruckenden Intelligenzleistungen in der Lage
sind, die etwa mit der von Kindern vergleichbar sind, aber Kinder
wesentlich besser soziale Hilfestellungen deuten können. Die
Fähigkeit zur kollektiven Problemlösung macht offenbar den
Menschen aus (240).
Wenn man das Verhältnis zwischen Gehirngröße und Größe der
typischen sozialen Gruppe von Menschenaffen auf Menschen
hochrechnet, können Menschen intensivere soziale Beziehungen zu 150
Individuen pflegen: Und tatsächlich ist dies die durchschnittliche
Gruppengröße bei Jäger- und Sammler-Clans. Weitere Faktoren mögen
hinzugekommen sein, etwa die oben erwähnte frühe Geburt der
Menschenkinder: Gruppen, in denen die Mitglieder die Mütter
unterstützen, zogen erfolgreicher Nachwuchs groß – auch diese
Konsequenz des größeren Gehirns förderte letztendlich ein komplexes
Sozialleben. Auf jeden Fall entstand im Laufe der Zeit ein
einzigartiges Organ, die komplexeste bekannte Struktur im Universum:
Das menschliche Gehirn, das aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen
besteht, von denen jede mit Hunderten oder gar Tausenden von anderen
Nervenzellen verknüpft ist – insgesamt bis zu 500 Billionen (500.000
Milliarden) Verknüpfungen. Diese Verknüpfungen und die damit
möglichen elektrischen Schaltkreise führen irgendwie zu Intelligenz
und Bewusstsein (siehe auch >>
Kasten) – wie dieses genau geschieht, versucht die moderne
Hirnforschung zur Zeit zu erkunden; hier verläuft eine der Grenzen
unseres Wissens.
Das Gehirn
Schon einfache Einzeller können auf Reize aus der Umgebung
reagieren: Rezeptoren genannte Moleküle werden dabei gereizt und
erzeugen chemische Signale, die eine Reaktion auslösen –
beispielsweise eine Bewegung hin zur Nahrung oder weg von der
Hitzequelle. Bei vielzelligen Lebewesen müssen diese Reize
zusammengeführt und eine koordinierte Reaktion ausgelöst werden
– die Fortleitung der Informationen übernahmen Nervenzellen,
ebenso die zentrale Auswertung und das Auslösen einer Reaktion. Die
Nerven- und Sinneszellen konzentrierten sich im Laufe der Evolution
am vorderen Ende des Tieres: das Gehirn war entstanden. Das Gehirn
des Menschen besteht aus den gleichen Bausteinen wie das einfacher
Tiere – den Nervenzellen. Den Unterschied machen vor allem die Zahl
der Nervenzellen und die Anzahl und Flexibilität ihrer Verknüpfungen
aus.
Nervenzelle: Eine
Nervenzelle besteht aus einem Zellkörper, den Dendriten, die
Informationen von Sinneszellen oder anderen Nervenzellen aufnehmen
und in elektrische Impulse umwandeln, die über das Axon fortgeleitet
werden, an dessen Ende es an die nächste Nervenzelle oder das
Erfolgsorgan (z.B. einen Muskel) übertragen wird. Die Übertragung
der Information erfolgt an Synapsen meist über Chemikalien,
sogenannte Neurotransmitter, die von Rezeptoren an der
gegenüberliegenden Nervenzelle aufgenommen werden. Die Aufnahme von
Neurotransmittern kann elektrische Impulse in der aufnehmenden
Nervenzelle auslösen oder deren Auslösung hemmen. Abb.: Mariana Ruiz
Villarreal, >>
wikipedia commons, abgerufen 5.8.2008, eigene Beschriftung.
Reize aus der Außenwelt werden beim Menschen über
Sinneszellen in Augen, Ohren, Nase, Zunge und Haut aufgenommen und
in elektrische Impulse verwandelt. Über die Nervenzellen gelangen
diese Signale ins Gehirn, wo sie verarbeitet werden. In der
Großhirnrinde gibt es “assoziative Areale”, in denen
unterschiedliche Informationen zu einem Eindruck zusammengefügt
werden. (Die Aktivität bestimmter Areale kann man unter anderem
untersuchen, indem man die elektrische Aktivität von Nervenzellen
mit Elektroden an der Kopfhaut misst, diese Methode heißt
Elektroenzephalographie, EEG.) Ergibt sich bei der Bewertung
Handlungsbedarf, werden vom Motorkortex – einem weiteren Bereich der
Großhirnrinde – Signale an motorische Nervenzellen ausgesendet, die
zu Muskelzellen führen, die die entsprechende Handlung ausführen.
Die meisten Informationen und Handlungen erreichen
nie das Bewusstsein, sie werden “automatisch” ausgeführt. Aber wenn
wir auf etwas Neues, Schwieriges oder Interessantes stoßen, wird
das Bewusstsein eingeschaltet. Forscher sehen dieses schon bei
Tieren am Werk: Frösche zögern etwa, wenn Ihnen unbekannte
Beutetiere vorgesetzt werden, und entscheiden, ob sie zuschnappen
oder nicht. Wie das Bewusstsein entsteht und die damit
einhergehenden subjektiven Empfindungen (die Forscher nennen diese
“Qualia”) entstehen, ist eine der großen Fragestellungen der
Wissenschaft. Und was ist “Neu, Schwierig oder Interessant”? Das
Zusammenspiel zwischen Unbewusstem und Bewusstsein ist seit Sigmund
Freud ebenfalls im Fokus der Forschung; das Unbewusste, Freunds
“Es”, gilt vielen Forschern heute als der eigentliche “Regisseur”
unseres Lebens. Im Unterschied zu früher, als man im Unbewussten
eine gefährlichen Abgrund sah, in dem die Triebe regierten, sehen es
die Forscher heute eher als “kondensiertes Wissen”, das im Laufe des
Lebens mit seinen Erfahrungen gesammelt wird und ermöglicht,
Routinesituationen im “Autopilot” zu bewältigen. Stimmt aber etwas
Wichtiges nicht mit dieser unbewussten Welt im Kopf überein, wird
das aufwändigere und langsamere Bewusstsein eingeschaltet, um das
Problem zu lösen und das Bild im Kopf zu aktualisieren. Eine
wichtige Rolle spielen dabei die – früher ebenfalls von
Wissenschaftlern eher gefürchteten – Gefühle, die dafür sorgen, dass
wir gefährliche Situationen vermeiden (Angst, ...) oder angenehme
Situation suchen (Lust, ...). Sie orientieren unter anderem unsere
Aufmerksamkeit, und die wiederum unsere bewusste Wahrnehmung.
Aus den komplexen Schaltkreisen ergibt sich
irgendwie auch Wissen um das eigene Denken und die eigene Existenz
– also Selbst-Bewusstsein und Ich-Bewusstsein. ”Ich denke,
also bin ich”, hatte der französische Mathematiker und Philosoph
René Descartes bereits im 17. Jahrhundert diesen Zusammenhang
formuliert. Ich-Bewusstsein scheint es auch schon im Tierreich zu
geben, jedenfalls erkennen Schimpansen, Delfine, Elefanten, Raben
und Papageien sich im Spiegel. Biologen vermuten, dass es Tieren,
die in einer Gruppe leben, hilft, sich in andere Gruppenmitglieder
hineinzuversetzen: Was würde ich wohl in seiner Situation tun? Bei
höheren Affen und beim Menschen scheinen hierfür spezielle
Nervenzellen, die “Spiegelneuronen” zuständig zu sein: Beim bloßen
Sehen einer Handlung werden hier die gleichen Signale ausgelöst, als
würde die Handlung selbst durchgeführt. Manche Forscher glauben,
hier das “Bauteil” des Mitgefühls gefunden zu haben.
Selbst- und Ich-Bewusstsein führen aber auch zu
Erkennen der Endlichkeit der eigenen Existenz. Bei den Neandertalern
gibt es Anzeichen für rituelle Begräbnisse; sie hatten also
vermutlich bereits diese Erkenntnis. Wann genau der Mensch sich
erstmals seiner Sterblichkeit bewusst wurde und wann er begann,
über die Entstehung der Welt und des Menschen nachzudenken, wird
wohl für alle Zeiten ein Rätsel bleiben – aber vermutlich ist es
lange vor dem Homo sapiens geschehen. (Die Todesfurcht,
die aus dieser Erkenntnis hervorging, führte zur Entstehung
psychologischer Schutzmechanismen, etwa dem Zugehörigkeitsgefühl zu
größeren Gruppen und dem Ersinnen übernatürlicher Welten mit
schützenden Göttern, in denen der Tod nicht das Ende ist – der
Ursprung sowohl einer gemeinsamen Kultur als auch der Entstehung der
Religion.) Bei Fragen nach der Entstehung der Welt stellt sich auch
gleich das Problem der Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit: Das
menschliche Gehirn ist als Produkt einer evolutionären Anpassung
entstanden; es musste zu Überleben und Fortpflanzung seines Trägers
beizutragen; eine “objektive Wahrheit” hat für die Evolution
keinen Wert. So erfasst es nur einen engen, für das Überleben
relevanten Ausschnitt aus der Welt; anderes nicht – Stickstoff und
Sauerstoff etwa, die 99 Prozent der Luft ausmachen, können wir nicht
wahrnehmen. Sie sind allgegenwärtig, und das Wissen über ihr
Vorhandensein spielt daher für unser Überleben keine Rolle. Ebenso
unbedeutend sind Vorgänge in sehr kleinen oder sehr großen
Dimensionen, und daher helfen uns unsere Alltagserfahrungen nicht,
Ereignisse in der Quantenmechanik (>> mehr)
oder die Ergebnisse der Relativitätstheorie (>> mehr)
zu verstehen. Aus der kleinen Auswahl der Informationen, die unsere
Sinnesorgane erfassen und dem im Gehirn gespeicherten Vorwissen
(siehe oberen Kasten rechts) wird stattdessen vom Gehirn eine
Realität konstruiert (siehe unteren Kasten rechts) und eine
Entscheidung getroffen, die uns hilft, pragmatisch und schnell etwa
auf unmittelbare Gefahren zu reagieren. Diese Konstruktion muss
nicht “objektiv” stimmen: So “sehen” wir immer noch ein Sternenzelt
am Himmel, auch wenn wir längst viel über die Weite des Weltraums
wissen. Für das Thema dieser Seiten besonders relevant ist, dass uns
auch ein Sinn für Gefahren fehlt, die uns nicht unmittelbar
bedrohen, wie etwa schleichende Vergiftungen und Klimaänderungen.
Aber unsere Grenzen setzen schon viel früher ein: Wenn alle unsere
Erkenntnisse über die Welt auf subjektiven Konstruktionen basieren;
wie objektiv können sie dann sein? Wann ist eine Behauptung “wahr”?
(Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Erkenntnistheorie.)
Und das Gedächtnis?
Das Nervensystem kann Informationen nicht nur leiten
und verarbeiten, sondern auch behalten und wieder abrufen – diese
Fähigkeit kennen wir als Gedächtnis. Auch wie dieses geschieht, wird
gerade erst erforscht. Eine wichtige Rolle scheinen hierbei die
Synapsen zwischen den Nervenzellen zu spielen, die einerseits beim
Lernen effizienter werden können und dann das Kurzzeitgedächtnis
bilden; zum anderen aber auch zahlreicher werden und so dauerhafte
neue Verbindungen bilden – dann ensteht das Langzeitgedächtnis.
Lernen führt also dazu, dass sich das Verknüpfungsmuster der
Nervenzellen im Gehirn ändert, dabei sind für verschiedene
Gedächtnisarten (Hirnforscher unterscheiden das sensorische
Gedächtnis für Sinneseindrücke, das prozedurale Gedächtnis für
Bewegungsabläufe, das episodische Gedächtnis, das uns erlaubt,
unsere Vergangenheit zu rekonstruieren, und das Faktengedächtnis)
unterschiedliche Hirnregionen beteiligt. An der Ausbildung der
neuen Verknüpfungsmuster sind zahlreiche Proteine und Signalstoffe
beteiligt, deren Rolle noch lange nicht verstanden ist.
Wenn auch das Gehirn noch viele Rätsel stellt: Was es möglich
gemacht hat, wissen wir. Die Natur des Menschen wurde von
kulturellen Vorstellungen überlagert. Es ging – zunächst in
bescheidenem Umfang mit der Herstellung von Werkzeugen – spätestens
mit dem Homo erectus los; es gibt auch Anzeichen, dass
sich bereits Homo erectus um ältere Mitmenschen gekümmert
hat: In Georgien wurde ein Kieferknochen gefunden, der bereits Jahre
vor dem Tod die Zähne verloren hatte – vermutlich musste dieser
Mensch gefüttert werden.
Die Sprache
Die kulturelle Entwicklung der Menschheit machte noch einmal einen
großen Schritt, als im Laufe der Menschheitsgeschichte die Sprache
entstand. Wie dies geschah, beginnen die Wissenschaftler allmählich
wenigstens zu ahnen: Am Anfang stand die Kommunikation mittels
Gesten und Rufen, wie bei den heutigen Primaten. Bei dieser Art der
Kommunikation stehen Zeichen und Gegenstand immer in einer einfachen
Beziehung: Grüne Meerkatzen, eine Affenart, produzieren
unterschiedliche Schreie, um Schlangen, Adler oder Leoparden
anzukündigen. Sprache setzt aber Denken in Symbolen voraus:
Mehr in Dingen sehen zu können, als zunächst erkennbar ist – in
einer Muschel mit Loch etwa ein Schmuckstück. Die nächste
Voraussetzung neben symbolischem Denken ist anatomisch: der nach
unten wandernde Kehlkopf, der durch den aufrechten Gang
möglich wurde – die Symbole konnten nun mit Lauten
verbunden werden. Gehirnwachstum und Sprachentwicklung dürften sich
im Laufe der Menschheitsgeschichte ebenfalls gegenseitig bedingt und
gefördert haben: Symbolisches Denken braucht viel ”Rechenkapazität”,
ermöglicht aber eine bessere Planung der Jagd und bessere Waffen.
Der dadurch mögliche bessere Jagderfolg führte zu mehr Protein in
der Nahrung, was wiederum ein weiter wachsendes Gehirn ermöglichte.
Dadurch konnte die Sprache sich weiter entwickeln, und der
Regelkreis wird von neuem durchlaufen. Als eine mögliche Triebkraft
der Sprachentwicklung wird neben der Jagd auch die Pflege des
sozialen Zusammenhalts gesehen: Schimpansen etwa kämpfen nach
erfolgreicher Jagd oft um die Aufteilung der Beute, wodurch die
Stärkeren einen größeren Anteil kriegen. Gruppen menschlicher Jäger
aber handeln die Aufteilung aus, und vermeiden damit körperliche
Auseinandersetzungen. In vielen traditionellen Gemeinschaften war
und ist das Erzählen von Geschichten ein gemeinschaftsbildender
Vorgang. Den sozialen Fortschritt, den Sprache ermöglicht, zeigt
auch eine weitere Untersuchung: Alle sozial lebenden Primaten haben
Rituale, um die Bindungen in der Gruppe zu pflegen, etwa die
gegenseitige Fellpflege (”Grooming”) bei Schimpansen. Die Fellpflege
kostet aber viel Zeit; erst als sprachliche Äußerungen diese
ergänzen konnte, wurde die für Jäger und Sammler typische
Gruppengröße von 150 Menschen möglich (Schimpansen leben
typischerweise in Gruppen von 55 Tieren).
Ab wann man von Sprache reden kann, ist
umstritten – die Sprache ist nicht plötzlich entstanden, sondern
hat sich über immer artikuliertere Laute langsam entwickelt. Da wir
die Sprache unserer Vorfahren nicht mehr hören können, schließen die
Forscher ihre Entwicklung über andere Zeichen symbolhaften Denkens,
etwa aufwändig verarbeitete Klingen, die vermutlich rituelle
Bedeutung hatten, da sie nicht so fein ausgearbeitet werden müssten,
um “nur” Tiere damit zu erlegen; die Nutzung von Mahlsteinen und
Pigmenten, um den Körper oder Felswände zu bemalen; oder den
Fischfang, bei dem Fische in felsige Buchten gelockt worden (was
Planung und Voraussicht erfordert). Daraus kann man natürlich nicht
schließen, wann sich eine Grammatik entwickelte – aber vor etwa
70.000 Jahren gab es so möglicherweise etwas wie einen “großen
Sprung” in der Menschheitsgeschichte, eine >> kognitive
Revolution; als eine mögliche Ursache wird die Sprache
diskutiert, die zu dieser Zeit “fertig” gewesen sein könnte. Eins
ist klar: Je weiter die Sprache sich entwickelte, desto mehr
erweiterte sie die Möglichkeiten des Menschen. Er konnte Erfahrungen
in ganz neuem Umfang weitergeben, Verabredungen treffen und
gemeinsam Pläne entwerfen.
Die
Grundlage der kulturellen Evolution des Menschen
Mit der Sprache nahm also der Mensch zunehmend sein Schicksal
selber in die Hand, die kulturelle Evolution wurde für unser Leben
wichtiger als die Kräfte unserer Umwelt. Die Tendenz ist bereits
beim >>
Neandertaler erkennbar: Behausungen, Feuer und vermutlich auch
einfache Kleidung – die Neandertaler begannen, sich eine eigene,
künstliche Umwelt zu schaffen. Wie konnte die Entstehung einer
Sprache derartige Veränderungen auslösen? Eine Sprache, die mit
Symbolen arbeitete, ermöglichte einen abstrakten
Informationsaustausch (im Unterschied zum Nachahmen, mit dem Tiere
lernen). Das Leben der Menschen beruhte zunehmend auf geteilten
Vorstellungen und geteiltem Wissen; die Inhalte vieler Köpfe
verbanden sich – auch über die Generation hinweg – zu einem
gemeinsamen Wissen. Die einzelnen Gehirne wurden gewissermaßen
vernetzt. Wie groß das neue, vernetzte Wissen war, hing von der
Menge und der Vielfalt des geteilten Wissens ab, und von der
Effizienz und Geschwindigkeit des Informationsaustausches. Effizienz
und Geschwindigkeit hingen von den sprachlichen Fähigkeiten ab;
Menge und Vielfalt des Wissens von der Anzahl und
Verschiedenartigkeit der Menschen, die in Kontakt traten. Hierbei
halfen geteilte Vorstellungen – ein geteilter Entstehungsmythos etwa
wurde zur Grundlage für die Zusammenarbeit größerer Gruppen;
geteilte Vorstellungen ließen eine große Vielfalt
unterschiedlichster Kulturen entstehen. Der Austausch zwischen
ihnen war in dieser Phase der Menschheitsentwicklung jedoch noch
beschränkt; am Anfang entstanden so “große regionale Gehirne” (ein
Ausdruck des amerikanischen Bestsellerautors Robert Wright). Sie
sollten im Laufe der menschlichen Geschichte immer größer werden
(>> mehr).
Der Erfolg des Menschen beruht letztendlich nur auf dieser
Fähigkeit zum Austausch und zur Kooperation: Der einzelne Mensch
oder eine kleine Gruppe Menschen ist dem einzelnen Schimpansen oder
einer Gruppe Schimpansen nicht sonderlich – wenn überhaupt –
überlegen; die Menschheit als Ganze den Schimpansen sehr wohl.
Kulturen machten die Zusammenarbeit immer größerer Gruppen möglich;
mit abstraktem Denken und Sprache konnten diese Wissen erzeugen und
kontinuierlich gemeinsam weiterentwickeln. Damit begann die
menschliche Geschichte (die uns freilich lange Zeit, da nicht
schriftlich aufgezeichnet, fast völlig unbekannt ist), die das Leben
des Menschen wesentlich schneller verändern sollte als die
biologische Evolution – die großen Meilensteine waren die >> Erfindung
der Landwirtschaft und die >>
Industrielle Revolution. Heute ist die Menschheit auf dem Weg,
zu einer Art “kulturellem Superorganismus” zusammenzuwachsen: Bei
diesem steht allen Menschen alles Wissen der Menschheit zur
Verfügung. Die Bedeutung der kulturellen Evolution lässt sich an
vielen Werken, von den Werken Shakespeares über die Musik von Bach
oder die Erkenntnisse von Wissenschaft und Technik erkennen. Oder an
einer einzigen Zahl: Als Jäger und Sammler lebten 4 bis 8 Millionen
Menschen auf der Erde (>> mehr),
heute über 7 Milliarden (>> mehr)
– etwa eintausend Mal so viele.
Unbestritten ist, dass die biologische Evolution mit dem Gehirn die
Grundlage für unsere kulturelle Evolution schuf (siehe auch >>
hier). Umstritten ist, ob dies bedeutet, dass auch die Kultur
letztlich ein Ergebnis der menschlichen Natur ist (die menschliche
Geschichte also nur ein Unterkapitel der Naturgeschichte des
Menschen wäre und grundsätzlich mit biologischen Erklärungsansätzen
beschreiben werden könnte), oder aber ob die biologische Evolution
in dem komplexen Gehirn etwas neues hervorgebracht hat: ein offenes,
prinzipiell nicht durch biologische Vorgaben festgelegtes
menschliches Verhalten. Unabhängig hiervon stellen die Ergebnisse
der Hirnforschung die Frage nach der “Freiheit des menschlichen
Willens”: Da Prozesse im Gehirn, auch das Treffen von bewussten
Entscheidungen, immer das Ergebnis von Aktivitäten der Nervenzellen
sind, und diese den Naturgesetzen und daher festgelegten Abläufen
unterliegen, vertreten Hirnforscher wie Gerhard Roth oder Wolf
Singer die Ansicht, dass diese Freiheit letztlich eine Illusion sei.
Bei Experimenten mit bildgebenden Verfahren wissen Hirnforscher
heute oft schon vor den Versuchsteilnehmern, wie diese sich
entscheiden werden! Die “guten Gründe” für unsere Entscheidung
erfindet das Gehirn dann zur Not anschließend, um die Illusion der
freien Entscheidung aufrecht zu erhalten. Unser – vom Gehirn
konstruiertes – Menschenbild wird durch diese Ergebnisse der
Hirnforschung in Frage gestellt, erfahren wir uns doch als Urheber
der Entscheidungen, die wir getroffen haben. Da aber irren wir uns,
sagen die Hirnforscher, denn die bewussten Gründe für eine
Entscheidung müssen a) keinesfalls die entscheidenden gewesen sein
– nur kennen wir die unbewussten eben nicht – und b)
unterliegen diese genau wie unbewusste Entscheidungen
vorherbestimmten Abläufen in den Nervenzellen. Falsch ist aber auch
die Behauptung, dass diese Hypothese bedeutet, wir wären für unsere
Entscheidungen dann nicht mehr verantwortlich: Das Gehirn
unterscheidet nicht zwischen genetisch geprägtem und kulturell
erworbenem (erlerntem) Wissen, und daher wird keine Gesellschaft
darauf verzichten, das Verhalten ihrer Mitglieder über Erziehung,
Belohnungen und Sanktionen zu beeinflussen.
Zu
tüchtig zum Überleben?
Die Fähigkeiten unseres Gehirns und die dadurch möglich gewordene
kulturelle Evolution haben nicht nur den einzigartigen Erfolg des Homo
sapiens möglich gemacht, sondern auch Weltkriege und die
Gefährdung der ökologischen Grundlage unseres eigenen Überlebens
(>> hier).
Gewaltbereitschaft, Eigennutz und Zukunftsblindheit gehören zu
unserer genetischen Ausstattung; die kulturelle Evolution stellt sie
auf eine neue Stufe. Auch Schimpansen töten Artgenossen
zielgerichtet und vorsätzlich; aber so etwas furchterregendes wie
gut gedrillte Armeen, die zur systematischen und geplanten
Kriegsführung gehalten werden, gibt es nur beim Menschen. Ebenso
stellen wir aber auch die Kontrollmechanismen auf eine neue Stufe,
so etwas wie auf der ebenfalls evolutionär entstandenen Moral
(>> hier)
aufbauende Rechtsordnungen gibt es ebenfalls nur beim Menschen. Sie
haben Kriege nicht verhindern können (daran ist zu arbeiten, siehe
das Einstein-Zitat unten); aber wenn kein Krieg war, ist unser Leben
in den vergangenen 500 Jahren immer sicherer und gewaltärmer
geworden. Die Rechtsordnungen setzen mit staatlichem Gewaltmonopol
und Strafen der Gewaltbereitschaft Grenzen; wir können also
grundsätzlich lernen, mit unserem genetischen Erbe zivilisiert
umzugehen.
Das Gehirn macht uns nicht nur die Endlichkeit unserer
individuellen Existenz bewusst, es macht es auch möglich, Vorsorge
für die Zukunft zu treffen. Menschen können nach einer Güterabwägung
sogar die Befriedigung dringender Triebe zugunsten künftiger
Bedürfnisse zurückstellen, man denke nur an Bausparen oder
Hungerstreik. Das bedeutet: auch wenn wir von der Natur nicht dazu
ausgestattet sind, komplexe zukünftige Gefährdungen (>>
hier) intuitiv zu erfassen und angemessen darauf zu reagieren,
so können wir grundsätzlich diese Schwäche doch erkennen und
kulturell korrigieren, also die Gefahren mit einem vom Verstand
bestimmten Kurs bekämpfen – genauso, wie die Schwäche unserer
Sinnesorgane mit technischen Instrumenten ausgeglichen haben. Wie
beim Umgang mit Gewalt müssen wir die biologischen Tatsachen wie
unsere Neigung zum Eigennutz anerkennen – alle Versuche, einen
“neuen Menschen” hervorzubringen, sind bisher gescheitert, und zudem
oft in Unmenschlichkeit geendet – und auf dieser Basis und den
ebenfalls vorhandenen hilfreichen Bausteinen unserer genetischen
Ausstattung kulturelle Regelungen zum Schutz unserer ökologischen
Grundlage schaffen (siehe >> hier).
Kann das ausreichen, unsere auf einer steinzeitlichen genetischen
Ausstattung aufsetzenden technischen Fähigkeiten so einzusetzen,
dass sie der Menschheit nutzen und sie nicht zerstören? Wir haben
keine andere Wahl, als es zu probieren. Aber eins ist absehbar: Da
wir als flexible Wesen immer zwischen kurzfristigem Eigennutz und
langfristigem Nutzen aller schwanken werden, wird es nicht eine ein
für allemal alle Probleme lösende Regelung geben, sondern die
kulturellen Regelungen für eine ökologisch verträglichen Zukunft
werden immer wieder verteidigt und neu ausgehandelt werden müssen.
“Ich weiß nicht, mit was
für Waffen der Dritte Weltkrieg geführt wird, aber der Vierte wird
mit Stöcken und Steinen ausgetragen.” (Albert Einstein)
Gibt es andere
intelligente Zivilisationen im Weltall?
Auch wenn wir noch nicht wissen, ob es außerhalb der Erde Leben
gibt (>>
mehr), stellen sich Wissenschaftler seit langem die Frage, ob
dieses Leben intelligente Zivilisationen entwickelt haben könnte.
Bereits im Jahr 1961 entwickelte eine Gruppe um den amerikanischen
Astronomen Frank Drake eine als Drake-Gleichung
berühmt gewordene Formel, mit der die Zahl möglicher intelligenter
Zivilisationen abgeschätzt werden kann. In diese Formel fließen die
Zahl der mit der Sonne vergleichbaren Sterne, die mittlere Zahl der
Planeten im Bereich der Lebenszone (>> mehr),
die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Leben, die
Wahrscheinlichkeit der Weiterentwicklung zu intelligentem Leben, die
Wahrscheinlichkeit technischer Kommunikation in diesen
Zivilisationen und ihre Lebensdauer ein. Da – abgesehen von der
Zahl der mit der Sonne vergleichbaren Sterne – die Faktoren
allerhöchstens sehr grob abgeschätzt werden können, gibt es kein
allgemein akzeptiertes Ergebnis – die ersten Einschätzungen lagen
zwischen einer und 4 Millionen intelligenter Zivilisationen in
unserer Milchstraße. Seit 1961 wird auch systematisch nach
außerirdischem intelligentem Leben gesucht; die Programme sind als
SETI (von engl. Search for Extraterrestrial Intelligence)
bekannt. Bisher haben sie nichts gefunden, was auf technische
Zivilisationen im Weltall hindeutet.
Manche Beobachter fragen sich aber, ob wir Zivilisationen, die viel
weiter entwickelt wären als unsere auf der Erde, überhaupt erkennen
könnten. Wären Elefanten intelligent, würden Sie vielleicht glauben,
dass die höchstentwickelten Lebewesen an der Länge ihres Rüssels
erkennbar wären; vielleicht irren wir ähnlich und suchen den
falschen Merkmalen... Einen praktischen Nutzen hätte die Entdeckung
jedoch kaum, im Mittel lägen wohl ein paar Tausend Lichtjahre
zwischen den einzelnen Vorkommen intelligenten Lebens. Jede Frage an
eine andere Zivilisation würde also nach zweimal ein paar Tausend
Jahren beantwortet werden – falls wir die Frage nicht vergessen
haben, haben wir möglicherweise die Antwort bis dahin selber
gefunden.
Webtipp:
>> SETI Institute, zentrale
Anlaufstelle für die Suche nach außerirdischer Intelligenz
(englischsprachig)
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