Das Zeitalter der Industrie

Die Plünderung der Meere

Jedes Jahr werden in den Meeren etwa 80 Millionen Tonnen Fisch gefangen. Der einst unerschöpflich erscheinende natürliche Reichtum der Weltmeere ist hierdurch gefährdet: 90 Prozent aller Fischbestände sind vollständig oder übermäßig ausgebeutet; fast ein Drittel sind akut gefährdet. Die Überfischung gefährdet nicht nur eine gesunde und für viele arme Menschen unverzichtbare Nahrungsquelle, sie hat auch unabsehbare Folgen für die Ökosysteme der Meere.

Foto des Maine Avenue Fischmarkts in Washington, D.C.

Der Reichtum der Auslage täuscht: Es muss immer mehr Aufwand betrieben werden, um die Läden mit Fisch zu versorgen; die Fischerei hat in den Meeren schwere Schäden angerichtet. Foto des Maine Avenue Fish Markets in Washington, D.C. von Bien Stephenson, >> wikipedia commons, Lizenz: >> cc 2.0.

Die Geschichte der Fischerei

Die Fischerei (801) ist wohl so alt wir die Menschheit. Muschelhaufen mit Steinwerkzeugen und zum Fischfang geeignete Werkzeuge - zum Beispiel 90.000 Jahre alte Harpunen aus dem ostafrikanischen Rift-Valley - gehören zu den ältesten Spuren des >> Homo sapiens. Niemand weiß genau, wann die Menschen sich erstmals mit Booten aufs offene Meer hinaus getraut haben, aber auch dies dürfte früh in der Menschheitsgeschichte geschehen sein: die ersten Menschen, die vor 60.000 bis 50.000 Jahren >> Australien erreichten, werden Fischer gewesen sein - wer sonst hätte bis zu 80 Kilometer breite Meeresarme im Boot überqueren können? Fischspeere, Harpunen und seit spätestens 30.000 Jahren auch Angelhaken zeugen vom Fischfang während der gesamten Steinzeit; Fischernetze sind aus 10.000 Jahre alten Felszeichnungen bekannt (aber vermutlich viel älter).

Ähnlich den großen Bisonherden Nordamerikas zogen einst Schwärme des majestätischen Nordatlantischen Blauflossen-Thunfisches (auch Roter oder Großer Thunfisch genannt) durch den Atlantik und ins Mittelmeer. Schon die Phönizier handelten mit eingesalzenem Thunfisch - und mit einer Fischsauce, die später unter den Römern als >> garum im gesamten Römischen Reich verbreitet war. Auf Holzgestellen getrockneter Kabeljau - Stockfisch - diente den Wikingern als Proviant auf ihren Fahrten; der Kabeljau führte sie wohl schon vor über 1.000 Jahren an die Küste Nordamerikas. Auch in Nordeuropa nahm ab 1050, als die Wasserqualität der Flüsse mit zunehmender Bevölkerung und zunehmender Landwirtschaft schlechter wurde, die Bedeutung von Meeresfisch zu; der Handel mit Salz und Salzhering aus der Ostsee trug zum Aufstieg der Hanse bei. Als Mitte des 15. Jahrhunderts der Hering in der Ostsee seltener wurde, verlagerte sich die Heringsfischerei in die Nordsee - und führte dort zum Aufstieg der Niederlande. Der schärfste Konkurrent des Herings wurde der Kabeljau, nachdem baskische Fischer entdeckten, dass vor dem Trocknen eingesalzener Kabeljau aufgrund seines geringen Fettgehaltes länger hielt als Salzhering; außerdem war er leichter zu lagern - Kabeljau konnte lose gestapelt werden und musste nicht wie der Hering in Fässern mit Salzlake schwimmen. Bald wurde der „Klippfisch“ (der noch an Bord eingesalzene Kabeljau wurde zum Trocknen auf Klippen gelegt) vor allem im Mittelmeerraum zu einer begehrten Handelsware. Anfang des 15. Jahrhunderts haben die Basken möglicherweise dem Kabeljau folgend bei Neufundland und Labrador bereits die Küste Nordamerikas erreicht – dafür spricht, dass die Bewohner Neufundlands das baskische Wort baccalao für Kabeljau benutzten, als John Cabot 1497 im Auftrag der englischen Krone die Küste Nordamerikas erreichte.

Während die Basken ihre Entdeckung für sich behalten hatten, berichtete Cabot vom Fischreichtum des neuen Landes. Tatsächlich waren die Fischgründe vor Nordamerika reicher als alles, was in Europa bekannt war, und so stürzten sich alle Fischereiflotten auf diesen Reichtum: 50 Jahre später trugen sie dazu bei, dass Kabeljau 60 Prozent des Fischverzehrs in Europa ausmachte. Franzosen, Basken, Spanier, Portugiesen, Briten: Sie alle fischten vor der Küste Nordamerikas. Häfen wie La Rochelle in Frankreich, Vigo und Bilbao in Spanien, Bristol und Plymouth in Britannien verdankten diesen Kabeljaugründen ihren Aufschwung. Stock- und Klippfisch wurden zur strategischen Handelsware, da sie als Proviant für die immer häufiger werdenden Seereisen in die neue Welt geeignet waren.

Ein Bild von einem Fisch: Der Kabeljau

Der Kabeljau (Gadus morhua) war einst vor der Küste Amerikas so reichlich, dass in Europa ein regelrechter Kabeljaurausch ausbrach. Die industrielle Fischerei hat aber die einst größten Bestände zusammenbrechen lassen. (Abbildung aus wikipedia, Eintrag >> Kabeljau, abgerufen 17.9.2007)

Kabeljau und die amerikanische Unabhängigkeit

Besondere historische Bedeutung sollten die Kabeljau-Fanggründe vor dem heutigen Massachusetts erlangen: Hier, wo eine Landzunge wegen des massenhaften Vorkommens Cape Cod („Kabeljaukap“) getauft wurde, und es im nördlich davon gelegenen heutigen Maine eine bestens zum Trocknen des Fangs geeignete Felsküste gab, sollten sich die „Pilgerväter“ niederlassen. Nachdem sie im ersten Jahr fast verhungert waren, gelang es ihnen schließlich mit Hilfe der Fischerei zu überleben. Sie profitierten davon, dass die Kabeljaue im Winter das noch flachere, wärmere Wasser an der Küste zum Laichen aufsuchten. Die Winterfischerei war den europäischen Schiffen praktisch unzugänglich, da sie dafür den Atlantik im stürmischen Herbst hätten überqueren müssen.

Zusammen mit Tabak wurde Kabeljau so zum wichtigsten Exportgut der neuenglischen Kolonien, bereits im Jahr 1640 wurden 300.000 Stück Kabeljau verschickt. Der Kabeljauhandel machte Neuengland zu internationalen Handelsmacht; schlechtere Ware, die die anspruchsvollen Märkte am Mittelmeer nicht akzeptierten, wurde in die Karibik geliefert, wo damit die Sklaven auf den Zuckerrohrplantagen ernährt wurden. Im Gegenzug erhielt Neuengland Melasse, mit der Rum erzeugt wurde, der wiederum (auch) auf ausländischen Märkten verkauft wurde.

Dem Gesetz nach hätte die Kolonie ihre Waren aber eigentlich nur über das englische Mutterland vertreiben dürfen. Praktisch wurde der Handel zunächst geduldet. Erst ein Jahrhundert später versuchten die Briten, ihre Kolonie an die Kandare zu nehmen - im Jahr 1733 mit dem Molassegesetz, das die Zuckereinfuhr aus der nichtbritischen Karibik mit Zöllen belegte. Zu spät: langandauernde Zoll- und Steuerstreitigkeiten führten 1773 zur Boston Tea Party, die schließlich zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1775 - 1783 führte, der mit der >> Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika endete. Im Regierungsgebäude von Massachusetts in Boston, dem Old State House, wurde danach ein holzgeschnitzter Kabeljau aufgehängt – die Amerikaner wussten, wem sie ihre Unabhängigkeit verdankten.

(Der Kabeljauhandel der Vereinigten Staaten wurde vom Ende der Sklaverei schwer getroffen - mit dem Ende der Plantagenwirtschaft wurde der karibische Markt sehr klein. Zwar entwickelte sich ein heimischer Markt, aber die alten Kaufmannsfamilien steckten ihr Geld lieber in die beginnende Industrialisierung.)

Die Entstehung der industriellen Fischerei

Unterdessen hatten sich die Methoden des Fischfangs kaum geändert: Schwarmfische wie Heringe oder Sardinen wurden mit Netzen gefangen, Kabeljau von kleinen Fangbooten aus mit Handleinen. 1780 wurden vor Island erstmals Netze für den Kabeljaufang eingesetzt; ab 1815 rüsteten die Franzosen ihre Flotte mit Langleinen (auch Grundschnur genannt) aus - eine damals mehrere Hundert Meter (und heute mehrere Kilometer) lange Schnur, an der alle sechzig Zentimeter ein Haken mit Köder befestigt ist. Weil die riesigen Mengen an Köder sehr teuer waren, galt die Methode als ungerecht und war umstritten. Beim Kabeljau konnte sich die Grundschnur nicht durchsetzen; sie wird heute aber für andere Raubfische wie Thunfische, Marline und Schwertfische verwendet.

Technische Neuerung in der Fischerei kamen meist aus Europa: Hier waren die Fischgründe weniger ergiebig und die Konkurrenz größer, alleine die Nordsee teilten sich acht Anliegerstaaten. Schon im 14. Jahrhundert war hier für die Garnelenfischerei das Grundschleppnetz erfunden worden, aber die Verwüstungen, die es am Meeresboden anrichtete, riefen den Widerstand anderer Fischer hervor, wiederholt wurde sein Einsatz verboten. Ohnehin konnte man große Mengen Fisch, der nicht wie Hering oder Kabeljau konserviert werden konnte, nicht schnell genug in die Städte bringen. Das sollte sich aber mit dem Bau der ersten Eisenbahnlinien und der Erfindung der Eismaschine ab 1860 ändern. Neue Fischgründe, wie die zentral in der Nordsee gelegene Doggerbank, wurden entdeckt und mit Grundschleppnetzen, die von Trawlern (Schiffen, die ihr Fischfanggerät hinter sich herziehen) gezogen wurden, befischt. 1865 wurde in Frankreich der erste dampfbetriebene Trawler gebaut, und 1881 bauten die Briten den ersten  dampfgetriebenen stählernen Trawler. Diese konnten unabhängig von Wind und Gezeiten arbeiten. Ab 1892 setzte sich das verbesserte Scherbrettschleppnetz durch - ein sackähnliches Netz, dessen Öffnung durch Schwimmer aus Kork an der Oberseite und den „Scherbrettern“ an den Seiten offen gehalten wurde.

Das Grundtau eines solchen Netze wird über den Meeresboden gezogen; Ketten scheuchen Bodenfische wie Schollen, Seezungen oder Flunder auf. Grundtaue und Ketten rasieren aber auch Korallen, Schwämme, Seefächer, Seetang und andere Bodenlebewesen ab - es ist, als “würden wir Hirsche, Kaninchen und Wildschweine jagen, indem wir die Wälder abholzen” (GEO 6/2007). Was überbleibt, ist eine Spur der Verwüstung - und es ist eine riesige Spur: Heute werden praktisch alle Meeresgebiete, die weniger als einen Kilometer tief sind, mit Grundschleppnetzen befischt; nach Schätzung ist jedes Jahr eine Fläche von 15 Millionen Quadratkilometern betroffen (das sind mehr als 40.000 Quadratkilometer am Tag).  Außerdem fallen bei dieser Methode erhebliche Mengen an „Beifang“ (siehe Kasten) an.

"Beifang"

Die Geschichte des "Beifangs" begann mit der Langleine: die Köder locken nicht nur die gesuchten Fische, sondern auch andere Tiere wie Meeresschildkröten, Delphine und Seevögel an. Weiter ging es mit Grundschleppnetzen und andere unselektive Fangmethoden, mit denen große Menge Tiere gefischt wurden, die niemand wollte. Der “Beifang” wird im besten Fall zu Fischmehl verarbeitet, meist aber einfach tot wieder über Bord gekippt wird - die Laderäume sollen lieber mit teurer Ware gefüllt werden –, macht nach Schätzungen (er wird in den meisten Statistiken nicht erfasst) heute global etwa 20 Prozent des Gesamtfangs aus, in der Nordsee gar ein Drittel. Zu diesen Opfern des Fischfangs gehören jedes Jahr auch 250.000 Meeresschildkröten. Er ist die wichtigste Todesursache der majestätischen, bis 2,50 Meter und 1.000 Kilo schweren Lederschildkröte, die sich zudem leicht in Fischernetzen und -leinen verheddert, durch >> Plastikmüll in den Meeren und den Klimawandel gefährdet ist, da der ansteigende Meeresspiegel die Sandstrände, an denen sie ihre Eier ablegt, schrumpfen lässt.

Erste Sorgen um die Fischbestände

Die Leinenfischer, die angesichts der Grundschleppnetze um ihre Zukunft fürchteten, konnten sich mit ihren Bedenken nicht durchsetzen. Mit der Industriellen Revolution wurden in England Fish & Chips zu einem Grundnahrungsmittel der Arbeiter. Aber immerhin wurden - um die Bedenken überprüfen zu können - in England und Wales ab 1889 die Fangmengen in den wichtigsten Häfen erfasst. Im Jahr 1900 erschien eine erste Studie (810), auf auf der Grundlage dieser Daten einen Rückgang der Fischbestände aufzeigte, da der Aufwand für die Fischerei schneller stieg als die Erträge. 1902 wurde der International Council for the Exploration of the Sea (ICES, dt. Internationaler Rat für Meeresforschung) gegründet. Dieser sollte für anfänglich acht (heute 20) Fischereinationen die Entwicklung der Fischbestände beobachten. Seit 1904 veröffentlicht er die jährlichen Fischereierträge im Nordatlantik. Da man Fische nicht direkt zählen kann, sind die Fangmengen eine wichtige Grundlage für Bestandsschätzungen; die mathematischen Modelle müssen aber die technischen Fortschritte „herausrechnen“. Zur Überprüfung der Zahlen werden zudem Probefänge durchgeführt. Dank der Berichte des ICES kann man heute nachvollziehen, wie beispielsweise der Heringsfang sich immer weiter von der südlichen in die nördliche Nordsee verlagerte, da Überfischung die Laichpopulationen in der südlichen Nordsee vernichtete.

Können Biologen fischen?

Im Streit um die noch vorhandenen Fischbestände sagen Fischer oft, dass die Biologen die Bestände zu niedrig schätzen, da sie nicht fischen könnten: Sie verwendeten veraltete Methoden und fischten dort, wo jeder wisse, dass es keine Fische gäbe...

Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Während es den Fischern um maximale Fänge geht, wollen die Biologen die Entwicklung der Fischbestände erforschen. Daher müssen sie die gleichen Methoden verwenden, wie bei den Vergleichsmessungen vor Jahrzehnten - ansonsten wären die Fangmengen nicht vergleichbar. Ähnlich ist es mit den Orten, an denen gefischt wird: Die Biologen haben ein festes Raster, an denen jedes Jahr gefischt wird, während die Fischer natürlich den Fischen folgen. Für die Biologen ist es eben auch eine Erkenntnis, dass es an einem Ort keine Fische (mehr) gibt.

Weniger Fisch in der Nordsee und Kabeljaukriege vor Island

Aber Anfang des 20. Jahrhunderts konnte der technische Fortschritt den Rückgang der Fischbestände noch verbergen: mit dem Dampfantrieb konnten die Schiffe nun den Fischen folgen, die Fänge stiegen auf ein mehrfaches. Als die Fischerei in der Nordsee schwieriger wurde, begann man eben, vor der Küste Islands den dort reichlichen Kabeljau zu fischen. Einen nächsten Hinweis, wie stark die Fischerei bereits in die Fischbestände eingriff, gab der Erste Weltkrieg: die Rekrutierung der britischen Trawler als Minensucher und zum Aufspüren von U-Booten und das Versenken von 156 Fischereischiffen im Jahr 1916 führten faktisch zur Einstellung der Fischerei abseits der Küsten - und die Fangmengen der isländischen Küstenfischer stiegen an, die Fischbestände in der Nordsee verdreifachten sich, was nach den Krieg kurzzeitig für Rekordfänge sorgte. Als die Briten dann wieder nach Island zurückkehrten und in den 1920er Jahren auch die Deutschen begannen, vor Island zu fischen, kam es zu ersten Konflikten um die Fischbestände dort: die isländische Küstenwache brachte mehrfach englische und deutsche Trawler auf. Ab 1928 gab es die ersten dieselgetriebenen Trawler, die noch leistungsstärker waren. Mit ihnen fuhr man bis in die arktischen Gewässer vor Spitzbergen - die reichen, zuvor kaum befischten Fischgründe dort lohnten den hohen Aufwand.

Erst der Zweite Weltkrieg brachte erneut eine Erholungspause für die Fischbestände. Vor Island fischten wieder nur Isländer, die mit den Rekordpreisen zu Kriegszeiten gutes Geld verdienten - der Krieg endete für Island mit der Unabhängigkeit und beachtlichem Reichtum. Um dessen Grundlage, den Kabeljau, zu schützen, erklärte das Land 1950 eine Viermeilenzone vor seine Küste zu Hoheitsgewässern. (Traditionell galten die Meere als frei, staatlich durchsetzbare Rechte gab es nur, "soweit die Waffen reichten" (814) - und das waren einst drei Meilen, weshalb in der Nordsee etwa seit 1822 eine Dreimeilenzone als Hoheitsgewässer galt. Die Möglichkeit einer Ausweitung hatten 1945 die Amerikaner ins internationale Recht eingeführt, als Präsiden Truman das Eigentum am amerikanischen Kontinentalschelf beanspruchte, um die küstennahe Ölförderung der USA zu schützen. Auch Island begründete die Ausweitung mit dem Kontinentalschelf.)

Die nächste bedeutsame Erfindung kam aus Amerika: hier baute 1923 der Erfinder Clarence Birdseye die erste Anlage zum schnellen Tiefgefrieren. 1930 gab es tiefgekühltes Gemüse auf dem amerikanischen Markt. 1954 erreichte diese Erfindung auch die Fischerei: Die britische Fairtry war das erste Fabrikschiff, an dessen Bord sich Filetiermaschinen, Schnellgefrieranlagen und Kühlräume befanden. Andere Länder folgten. Zum Teil wurden die Filets in Blockform eingefroren und zu Stäbchen zersägt: Fischstäbchen wurden zu einem großen Markterfolg und steigerten den Fischabsatz weiter. Die im Zweiten Weltkrieg zum Aufspüren feindlicher U-Boote entwickelten Sonargeräte hatten ebenfalls Einzug in die Fischerei gehalten und halfen nun den Fabrikschiffen ebenso wie Aufklärungsflugzeuge, Fischschwärme zu finden. Heute werden auch Wärmesensoren auf Satelliten (und deren GPS-Daten) für den Fischfang genutzt. Die Fabrikschiffe wurden immer größer, neue Fischfangländer wie die Sowjetunion, Taiwan und Japan fischten mit ihnen in den reichsten Fischgründen. Neue Formen der Fischerei, wie die Gespannfischerei (riesige Schleppnetze werden zwischen zwei Fabrikschiffe gehängt) und neue Netzformen, wie Ringwaden- und Treibnetze, eroberten die Meere.

Herrenlose Tötungsmaschinen in den Meeren

Mit den Ringwadennetzen, die vor allem zum Fang von Sardinen, Makrelen und Thunfisch eingesetzt wurden, wurde der >> „Beifang“ erstmals zum Thema in der Öffentlichkeit: In den 1960er und 1970er Jahren wurde bekannt, dass beim Thunfischfang im tropischen Pazifik Hunderttausende Delphine in die Netze gerieten und dort qualvoll starben. Hochseetreibnetze aus fast unsichtbarem Kunstfasergarn wurde ab den 1970er Jahren von Fischern aus Japan, Taiwan und Südkorea eingesetzt, insbesondere für die Jagd auf Thunfische. Da die Fische sich mit ihren Kiemen in diesen Netzen verhaken, werden sie auch Kiemennetze genannt. In ihnen verfing sich besonders viel „Beifang“, darunter jedes Jahr bis zu eine Million Delphine. Verlorengegangene Treibnetze trieben oftmals jahrelang als herrenlose Tötungsmaschinen durch die Meere. Seit 1991 ist der Einsatz von Treibnetzen verboten, illegale Piratenfischer verwenden sie jedoch weiterhin.

1958 weitete Island seine Hoheitszone dann auf zwölf Meilen aus. Das traf die internationale Fischerei schwer, und insbesondere die Briten weigerten sich, diese Ausweitung anzuerkennen. Es kam zum ersten “Kabeljaukrieg” (so die englische Presse): Die Briten fischten unter dem Schutz britischer Kriegsschiffe weiter. Erst 1961 erkannten sie die neue Zwölfmeilenzone dann doch an. 1972 dehnte Island seine Hoheitsgewässer auf 50 Meilen aus, und es kam zum zweiten "Kabeljaukrieg". Diesmal kappte die isländische Küstenwache die Schleppnetze ausländischer Trawler. Als der Konflikt mit den Briten zu eskalieren drohte, drängte die NATO - die mitten im Kalten Krieg keinen Konflikt zwischen zwei Mitgliedern brauchen konnte - die Briten erfolgreich zum Einlenken. 1973 vereinbarten über 100 Staaten auf einer UN-Konferenz, ab 1975 eine Zweihundertmeilenzone als "Ausschließliche Wirtschaftszone" einzuführen - was Island im Juli 1975 umsetzte. Wieder musste die NATO Briten und Isländer an den Verhandlungstisch bringen. Aber als 1976 auch die EWG eine Zweihundertmeilenzone ausrief; hatten die Briten endgültig verloren. So hatte Island die Möglichkeit, Regelungen zum Schutz der Fischbestände einzuführen: zuerst wurde die Fangflotte  beschränkt, 1984 wurden Fangquoten eingeführt, und seit 1995 dürfen höchstens noch ein Viertel des Bestandes gefischt werden. Die alten Fangmengen werden bei weitem nicht mehr erreicht. Aber immerhin erholen sich die Bestände langsam; Island gilt heute als Beispiel für gutes Management des Kabeljaus.

Die Zerstörung der Fischgründe vor Nordamerika

Die amerikanischen Fischer konnten dank besserer Transportmöglichkeiten ab Anfang des 20. Jahrhunderts auch den Schellfisch vermarkten, den die Kabeljaufischer zuvor immer über Bord geworfen hatten, weil er nicht durch Einsalzen konserviert werden konnte. Dieses gab es in großen Mengen in der George Bank, einer Untiefe vor der Bucht von Maine. Als der Schellfisch seltener wurde, fischten sie stattdessen Rotbarsch und ab 1950 Flunder-Arten, die zu Tiefkühl-Filets verarbeitet wurden. Der Rückgang der heimischen Bestände und die Konflikte um Island brachten ab den 1960er Jahren viele europäische Fischer dazu, ebenfalls die George Bank zu befischen; und bald folgten ihnen auch Fischer aus der Sowjetunion. Die sowjetische Fischerei war besonders wirkungsvoll, da die Boote im Kollektiv arbeiteten und große Fischschwärme gemeinsam befischten. Verarbeitet wurde der Fang in riesigen Mutterschiffen – das Fabrikschiff war hier zur Fabrikflotte geworden. Die Fänge der europäischen und sowjetischen Schiffe übertrafen die der amerikanischen bei weitem. 1977 nutzten daher auch die USA die Möglichkeit, eine Zweihundertmeilenzone einzurichten. Genauso machte es Kanada, das hierin eine Möglichkeit zur Entwicklung des abgelegenen Neufundland sah. Beide Länder bauten ihre eigene Fangflotte aus, um die zuvor ausländischen Fischern überlassene Fangmenge selber fischen zu können.

Bald bemerkten aber die Küstenfischer in beiden Ländern, dass ihre Kabeljaufänge zurückgingen: Die Schuld gaben sie den Grundschleppnetzen der Hochseefischerei - es kamen keine Fische mehr zum Laichen an die Küste. 1992 waren die Bestände soweit zurückgegangen, dass Kanada die Aussetzung des Kabeljaufangs im nördlichen Atlantik verfügen musste; 1994 wurde das Moratorium auf die gesamte Küste Kanadas ausgedehnt. Bis heute sind die Bestände jedoch nicht wieder angestiegen; der Kabeljau ist in Kanada heute eine vom Aussterben bedrohte Art.

(Eine Überlegung, wie es zu diesem Rückgang kommen konnte, finden Sie >> hier)

Das Rätsel des kanadischen Kabeljaus

Warum sich der Kabeljau vor den kanadischen Küste nach dem Ende seiner Befischung nicht wieder erholt hat, ist noch unklar. Möglicherweise hat hier eine ökologische Umgestaltung stattgefunden: andere Arten wie Rochen, Glattrochen und Dornhaie haben die ökologische Nische des Kabeljaus besetzt und fressen seine (frühere) Nahrung, die nun keine großen Kabeljaubestände mehr ernähren kann. Oder aber Lodden, Heringe und Makrelen, die frühere Nahrung des Kabeljaus, fressen seine Eier und Larven (das haben sie schon immer getan; früher waren es aber einfach zu viele, so dass dieses keine Rolle spielte). Die Ökologie der Meere ist immer noch nicht gut genug verstanden, um eine sichere Antwort zu wissen. Die einst so reichen Fischgründe Neufundlands sind jedenfalls erschöpft, und die Arbeitsplätze, um derentwillen sie vernichtet wurden, sind auch verloren.

1994 musste die Georges Bank, eine einst sehr fischreiche Untiefe vor der US-Küste von Maine, für die Fischerei gesperrt werden, und obwohl sie mit dem amerikanischem Gesetz für nachhaltige Fischerei, dem Sustainable Fisheries Act von 1996 faktisch zum Meeresschutzgebiet wurden, hat sich der Bestand nur etwas erholt: die Amerikaner gehen davon aus, dass er noch bis zum Jahr 2026 hierfür braucht.

Das Versagen der europäischen Fischereipolitik

Für die europäischen Fischer bedeutete die Zweihundertmeilenzone, dass viele von ihren in den Jahrzehnten zuvor etablierten Fanggebieten, etwa vor Island, ausgeschlossen wurden. Aber weil seit 1971 europäische Fischer in der Wirtschaftszone aller anderen EG-Staaten fischen durften, gab es mit der Ausweitung Gewinner (denen reiche Fanggründe zugänglich wurden) und Verlierer (in deren reichen Fanggründe andere fischen durften); und es dauerte bis 1983, bis die EWG sich auf eine Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) einigen konnte. Zukünftige Fangquoten sollten den historischen Anteil eines Staates am Gesamtfang berücksichtigten. Eigentlich sollte der zuständige Ministerrat die Fangquoten auf Basis der Empfehlungen des ICES und des Fischfangkomitees der Europäischen Kommission festsetzen; legte diese aber auf Druck der Fischereiindustrie oftmals deutlich höher fest. Das Ergebnis: In europäischen Gewässern steht es um die Fischgründe noch schlechter als im Durchschnitt der Weltmeere. Im Mittelmeer beispielsweise (mit einem europäischen Anteil von 82 Prozent) sind 63 Prozent überfischt. Beispielhaft für die Situation im Mittelmeer steht der nordatlantische Blauflossen-Thunfisch:

Der Nordatlantische Blauflossen-Thunfisch (Thynnus thynnus), auch Großer Thunfisch oder Roter Thunfisch genannt, kann bis 4,50 Meter lang und 700 kg schwer werden; er lebt im Nordatlantik und im Mittelmeer. Die jährliche Wanderung dieses Thunfisches ins Mittelmeer war eines der Höhepunkte des Jahres von der Atlantikküste nahe der Straße von Gibraltar und entlang der Mittelmeerküste bis hin zum Bosporus; im Laufe der Zeit entwickelten sich Fangrituale wie die "almadraba" vor Andalusien oder die "tonnara" vor Sizilien. Der Thunfisch bedeutete reichlich Nahrung und Überschüsse, die gehandelt werden konnten; er war schon auf keltischen und griechischen Münzen abgebildet.

Wo aber früher dreißig Thunfische schwammen, lebt heute noch einer. Alleine seit 1980 sind seine Bestände um 80 Prozent geschrumpft: Thunfisch ist zum Modefisch geworden, der für Sushi und Sashimi verwendet wird. Daran konnten auch die Bemühungen der 1969 gegründeten International Convention for the Conservation of Atlantic Tunas (ICCAT) nichts ändern - die von der ICCAT festgelegten Fangquoten lagen viele Jahre lang über den Empfehlungen ihrer eigenen Fischereibiologen. Unabhängige Fischereiexperten bezeichnetet ICCAT daher gelegentlich auch als International Conspiracy to Catch All Tuna (Internationale Verschwörung, um alle Thunfische zu fangen). Der wirtschaftliche Druck auf die ICCAT ist groß: Ein mittelgroßer Blauflossen-Thunfisch wird in Japan je nach Zustand für 10.000 - 20.000 US-Dollar gehandelt; im Januar 2013 erzielte ein Exemplar in Tokio den Rekordpreis von 1,76 Millionen Dollar (der erste Thunfisch des Jahres wird traditionell versteigert und erzielt auch für japanische Verhältnisse ungewöhnlich hohe Preise).

Im Jahr 2009 hat Monaco vorgeschlagen, den Blauflossen-Thunfisch im Anhang I der CITES-Liste aufzunehmen; damit wäre der internationale Handel mit Thunfisch verboten worden, seit 2011 gilt er zudem als weltweit stark gefährdete Art. Seither folgt die ICCAT zumindest den Empfehlungen ihrer Fischereibiologen bei der Festsetzung der Fangquoten. Sie testet zur Zeit zudem ein System, den illegalen Fang dadurch zu bekämpfen, dass die Fische vom Fang bis zum Markt elektronisch markiert werden. Aber die Wirtschaftsinteressen haben immer noch großen Einfluss, und ähnlich wie beim Klimawandel versuchen Vertreter der Industrie, mit Hinweisen auf bestehende Unsicherheiten das notwendige Handeln zu verschieben - in diesem Fall, die Fangquoten hoch zu halten. Unter anderem argumentierten sie mit dem Hinweis auf mögliche noch unentdeckte Laichgründe des Blauflossen-Thunfisches. Auch die EU hat die ICCAT-Empfehlungen bei der Festlegung ihrer Fangquoten in der Vergangenheit oft deutlich überschritten – und die Quoten wurden von den Fischern nicht eingehalten. Dabei spielt mangelnde Überwachung eine Rolle. Zum anderen werden heute überall im Mittelmeer Thunfische gefangen und in Netzkäfigen gehalten – die Regeln der GFP gelten nicht für die Fischmast, die rechtlich weder Fischerei noch Fischzucht ist.

Thunfische

Der Nordatlantische Blauflossen-Thunfisch ist die größte der insgesamt acht Thunfisch-Arten, die in allen außer den polaren Meeren vorkommen. Eng mit ihm verwandt sind der in gemäßigten und kühlen Meeren der Südhalbkugel lebende Südliche Blauflossen-Thunfisch, der sogar vom Aussterben bedroht ist, sowie der im Pazifik vorkommende Pazifische Blauflossen-Thunfisch. Auch dieser ist auf einen Bruchteil seiner historischen Vorkommen zusammengeschrumpft. Der Weiße Thunfisch ist die Thunfisch-Art, die am häufigsten in Thunfisch-Konserven landet (noch häufiger landet dort aber der Bonito, der kein echter Thunfisch, sondern eine verwandte Art ist). Der Bonito kommt oft gemeinsam mit dem Schwarzflossen-Thunfisch vor; weitere wichtige Speisearten sind der Gelbflossen- und der Großaugen-Thunfisch.

Darf man noch guten Gewissens Sushi essen?

Der WWF rät in seinem >> Sushi-Ratgeber von Blauflossen-Thunfisch (Maguro) ab; der oftmals alternativ angebotene Gelbflossen-Thunfisch kann dagegen ohne schlechtes Gewissen gegessen werden, wenn er im Pazifik oder im Indischen Ozean mit Handleinen oder Angeln gefischt wurde (um andere Meerestiere zu schonen). Ob die Verschiebung in Zukunft zu einer stärkeren Überfischung des Gelbflossen-Thunfisches führt, wird jedoch im Auge zu behalten sein. Der >> Einkaufsratgeber Fisch von Greenpeace hält nur noch den Bonito (ebenfalls aus dem Pazifik oder dem Indischen Ozean und gefischt mittels Ringwaden und Leinen oder Angeln) für empfehlenswert.

Auch die EU-Kommission stellte 2009 fest, dass die Realität der europäischen Fischerei nach wie vor Überfischung heißt, die derzeitige GFP habe bei diesem Problem „versagt“. Nicht nur beim Schutz der Fische: So ist die Fischereiflotte mit 90.000 Schiffen - deren Modernisierung weiterhin mit europäischen Mitteln gefördert wird - viel größer, als die Fischbestände erlauben, und im Jahr 2009 zahlten 13 EU-Staaten, darunter Deutschland, ihren Fischern höhere Subventionen, als die gefangenen Fische wert waren.

Der Zustand der Fischbestände

Die Zeiten des Überflusses sind nicht nur in den traditionellen Fischgründen, sondern weltweit längst vorbei. Der aktuelle Weltfischerei-Report der Welternährungsorganisation FAO sagt, dass 90 Prozent aller Bestände der kommerziell genutzten Meeresfische und -früchte überfischt oder bis an die Grenzen ausgebeutet sind; fast ein Drittel ist akut gefährdet. Die Fischerei in den Weltmeeren ist in der Krise: Von 1950 bis 1996 haben sich die Fänge noch vervierfacht, seither sinken sie trotz neuer Schiffe und besserer Fangtechniken leicht ab:

Grafik, die die Entwicklung des Fischfangs in den Weltmeeren von 1950 bis 2012 darstellt.

Der weltweite Fischfang in den Meeren von 1950 bis 2012 (ohne Beifang und illegale
Fänge). 1996 erreichte er einen Höhepunkt mit 86,4 Millionen Tonnen, seither sinkt er leicht.
Im Jahr 2012 betrug die Fangmenge 79,7 Millionen Tonnen (820). Zahlen aus / Abb. nach FAO
Weltfischerei-Report 2014.

Die Qualität der Fänge nahm sogar noch viel deutlicher ab: Heute werden Arten gefischt, die früher kaum beachtet wurden. Die Rolle des Kabeljau als „Industriefisch“ (wegen ihren weißen Fleisches als Rohmaterial für Fastfood und Supermarkt-Tiefkühlkost verwendete Fische) haben heute der vor Neuseeland lebende Hoki und der Alaska-Seelachs eingenommen. Auch andere überfischte Fischarten wurden durch neue Arten ersetzt; und hierfür hat der in Kanada arbeitende französische Fischereibiologe Daniel Pauly eine kennzeichnende Zahl gefunden: die durchschnittliche Trophiestufe des Fischfanges. Die Trophiestufe gibt an, wo ein Fisch im Nahrungsnetz der Meere steht: Raubfische wie Thunfische stehen auf Stufe 4, ihre Beute, Fische wie Sardinen oder Anchovis, auf Stufe 3, das Zooplankton auf Stufe 2 und das Phytoplankton auf Stufe 1. Da die großen Räuber für Fischer am attraktivsten sind, aber in geringerer Zahl vorkommen, verschwinden sie als erste, und nach ihrem Verschwinden sinkt die durchschnittliche Trophiestufe. Im Jahr 2000 hat Pauly errechnet, dass der Durchschnitt des Fischfangs in den Jahrzehnten zuvor von 3,4 auf 3,1 abgesunken war - wir fressen uns also in der Nahrungskette nach unten. Auf Stufe 3 gibt es noch gut schmeckende Arten (wie Sardinen und Anchovis, die heute zum größten Teil zu Fischmehl verarbeitet werden) mit großer Biomasse; wenn diese überfischt werden, würde dies den endgültigen Zusammenbruch der Fischgründe bedeuten.

Piratenfischerei

Rund ein Drittel des Fischfangs wird nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO von den Statistiken gar nicht erfasst - die offiziell „illegale, ungemeldete und unregulierte (IUU-)Fischerei" genannte Piratenfischerei bezeichnet sowohl die Fischerie durch Fischereiflotten aus Ländern, die keines der internationalen Fischereiabkommen unterzeichnet haben und daher auch keine Kontrollen ausüben, als auch die Praxis an sich legaler Flotten, ihre Fangquoten zu überschreiten oder illegale Fangmethoden zu nutzen. Besonders verbreitet ist die Piratenfischerei auf Hoher See und in den Gewässern armer Länder, die diese kaum kontrollieren können. Gerade dort rauben sie armen Küstenfischern die Grundlage. Außerdem ist die Piratenfischerei oft besonders grausam: Es sind Piratenfischer, die beispielsweise >> Haien für die in China beliebte Haifischflossensuppe die Flossen abschneiden, und die Tiere dann lebendig - aber ohne Flossen nicht überlebensfähig - ins Meer zurückwerfen.

Eine Steigerung der Fangmenge ist ohne vorhergehende >> Schutzmaßnahmen kaum zu erwarten: die zehn ertragsreichsten Fischarten sind allesamt vollständig befischt und zum Teil sogar überfischt. Daran ändert auch nichts, dass die Fangflotten aus den überfischten Gebieten der nördlichen Meere jetzt gen Süden ziehen, etwa vor die Küsten Westafrikas, wo sie mit den Küstenfischern konkurrieren, jenen 60 Prozent der Fischerboote, die nicht einmal eine Kajüte haben, mit ihrem Fang aber 200 Millionen Menschen in Afrika mit Protein versorgen (weltweit ist Fisch für eine Milliarden meist armer Menschen die wichtigste Proteinquelle).

Dass dennoch jedes Jahr neue Rekordmengen an Fisch und Meeresfrüchten wie Thunfisch, Lachs, Hering, Kabeljau, Miesmuscheln, Tiefseegarnelen und viele andere auf unseren Tellern landen, liegt allein an der >> Aquakultur (die schnell wächst und im Jahr 2012 24,7 Millionen Tonnen an Meeresfisch und Meeresfrüchten lieferte).

Die ökologischen Folgen des Fischfangs

Die Überfischung bedroht die Ernährung der eine Milliarde Menschen, für die Fisch die wichtigste Proteinquelle ist; sie nimmt der Erde auch einen Teil ihrer Schönheit - denken wir nur an das mögliche Aussterben von Meeresschildkröten, Blauflossenthunfisch oder die Verarmung der Korallenriffe; und sie hat auch Folgen für die Ökosysteme - die allerdings noch kaum bekannt sind, wie das Schicksal der Kabeljaubestände vor Kanada zeigt (>> hier). Schon das Leben in den Ozeanen ist wenig bekannt (>> mehr). Manche Verbindungen erkennen wir, wenn es zu spät ist: So führte der Rückgang der Wale zu einer Verminderung der biologischen Produktivität des Südpolarmeeres (>> mehr), die Jagd auf Seeotter zu einer Vernichtung der Kelpwälder - Seeotter fressen Seeigel, die wiederum Kelp fressen; mit dem Rückgang der Seeotter nahmen die Seeigel zu und zerstörten die Kelpwälder.

Die Rolle der besonders von der Überfischung betroffenen Großfische wie Haie, Schwert- oder Thunfische im Ökosystem des Weltmeeres ist aber noch kaum bekannt, die Folgen ihres Rückgangs daher nicht abzusehen. Manches beginnen wir zu ahnen. Vor der amerikanischen Atlantikküste war vermutlich die intensive Jagd auf große Haie dafür verantwortlich, dass die Bestände ihrer Beute, kleine Haiarten und Rochen, zunahmen; die Kuhnasenrochen haben dann die Jacobsmuscheln der Art Agropecten irradians gefressen - was zum Zusammenbruch der Muschelfischerei führte (zur Folge der Jagd auf Meeressäuger siehe >> Die ökologischen Folgen des Walfangs). Wenn die Grundschleppnetze Seetangwälder zerstören und sich dort anschließend einfachere Seetangwiesen ansiedeln, ähnelt der Unterschied in Komplexität und Vielfalt der Lebensräume dem von Wald und Wiese auf dem Festland. Wenn die Schleppnetze so häufig über den Meeresboden gezogen werden, dass am Meeresboden eine Art Acker entsteht (in den allerdings niemand etwas aussäht), gefährdet der Verlust an Produktivität die Fischbestände auch irgendwann. Und wenn die Fischer auf früher nicht genutzte Arten ausweichen, wird die Nahrungsbasis der Großfische angegriffen, und eine mögliche Erholung der Bestände verhindert. Auch in den Meeren gilt >> wie auf dem Festland: Grobmaschige Nahrungsnetze sind weniger stabil, Artenvielfalt ist der Schlüssel für Ökosysteme. Flussmündungsgebiete haben beispielsweise durch die >> Wasserverschmutzung viel an ökologischer Qualität verloren - das liegt an den Schad- und Nährstoffen im Wasser, aber auch daran, dass die Muscheln, die einst zum Beispiel in der Chesapeake Bay bei Washington D.C. das gesamte Wasser in wenigen Tagen filtern konnten, heute durch Überfischung derart dezimiert sind, dass sie hundertmal so lange brauchen.

Aber die Überfischung verändert auch die globalen Stoffkreisläufe der Erde: Nicht nur Planktonorganismen mit Kalkgehäuse (>> hier), auch die Ausscheidungen von Fischen tragen beispielsweise dazu bei, Kohlendioxid aus der Atmosphäre in die Tiefe der Meere zu transportieren und somit die Konzentration dieses Treibhausgases in der Atmosphäre zu verringern.

Wie wir die Fische schützen können

Die Fachleute sind weltweit längst einig, was geschehen müsste, um die Fischbestände in den Meeren zu schützen: Die Ozeane müssen als Ökosystem geschützt werden; und bei der Festlegung der Fangquoten müssen die Empfehlungen der Wissenschaftler wie in Island bindend sein. Gut bewirtschaftete Fischgründe erlauben langfristig eine höhere Fangmenge, weil bei größeren Beständen auch mehr Jungtiere heranwachsen. Wir wissen beispielsweise heute, dass der für optimale Erträge notwendige Mindestbestand an Kabeljau in der Nordsee rund 70.000 Tonnen beträgt. Aber obwohl der tatsächliche Bestand auf nur 30.000 bis 50.000 Tonnen geschätzt wird, ist eine Pause in der Kabeljaufischerei in der Nordsee politisch nicht durchsetzbar - die Fischerei- und Landwirtschaftsminister auch der EU verstehen sich als Interessenvertreter der Fischer, und fühlen sich weniger der langfristigen Erhaltung der Fischbestände oder den Konsumenten verpflichtet.

Zentrale Lebensräume für Meerestiere sollten außerdem zu Schutzgebieten erklärt werden, in denen der Fischfang ganz verboten wird, damit die Fischbestände sich in ihnen regenerieren können. Auch diese würden nach allen bisherigen Erfahrungen im Ergebnis zu einem Anstieg der Fangmengen außerhalb der Schutzgebiete führen. Nötig wäre dafür ein Umgang von mindestens 20 bis 30 Prozent der Meere. Der britische Meeresbiologe Callum Roberts hat für Greenpeace einen Vorschlag für 25 Schutzgebiete auf hoher See entwickelt, zu denen beispielsweise Süd- und Nordpolarmeer mit ihrem Reichtum an Algen und Krill, das pazifische Äquatorgebiet (in dem Thunfische, Haie und Wale reichlich Nahrung finden) sowie das Sargassomeer und das Rockall-Plateau südlich von Island als Kinderstube für Tiefseefische gehören (>> Greenpeace: Ein globales Netzwerk von Meeresschutzgebieten).

Schutzgebiete und Fangquoten müssten auch deutlich besser überwacht werden als bisher, Verstöße härter bestraft. Das Geld hierfür könnte etwa aus den Töpfen kommen, mit denen heute die überdimensionierte Fangflotte subventioniert wird. Grundschleppnetze sollten in internationalen Gewässern verboten werden. Last, but not least: Verbraucher haben schon heute die Möglichkeit, mit Produkten aus nachhaltiger Fischerei (etwa mit dem Siegel des Marine Stewardship Council - MSC) ihren Beitrag zum Erhalt der Bestände von Meeresfischen zu leisten.

Alternative Aquakultur?

Schon heute stammt fast jeder zweite verzehrte Fisch aus Mastanlagen; gäbe es Lachs nur als Wildfang, wäre er für die meisten Kunden längst unbezahlbar. Im Jahr 2012 übertraf die Nahrungsmittelproduktion mittels Aquakultur erstmals die Rindfleischproduktion. Produziert werden nicht nur 24,7 Millionen Tonnen Meeresfische und -früchte, sondern auch 41,9 Millionen Tonnen Süßwasserfische und 23,8 Millionen Tonnen Pflanzen (zumeist Seetang). Aber auch die Aquakultur hat ihre Probleme: Insbesondere die Lachs- und Garnelenzucht hat den Ruf der Branche gefährdet, als tropische Mangrovenwälder für Garnelenzuchtanlagen abgeholzt wurden und dicht besetzte Lachsgehege Meeresbuchten verschmutzten. Der Einsatz von Antibiotika und Pestiziden in den dicht besetzten Zuchtanlagen kann zudem zu belasteten Nahrungsmitteln führen; in asiatischen Garnelen wurden gelegentlich auch in Europa nicht zugelassene Pestizide gefunden. Zum anderen werden immer noch Fische eigens als Futter für die Farmen gefangen - Kritiker fürchten, dass Aquakulturen daher das Problem der Überfischung nur verlagern.

Aber angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und eines wachsenden Appetits der Menschheit auf Fisch und Meeresfrüchte wird die Bedeutung von Aquakulturen zunehmen: aktuell wächst sie vier Mal so schnell wie die Weltbevölkerung. Sie alleine sorgt dafür, dass das Angebot an Fisch doppelt so schnell wächst wie die Weltbevölkerung. Erfreulicherweise ist die verhältnismäßig junge Aquakultur noch nicht so eingefahren wie große Teile der Landwirtschaft und hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, so dass viele Betriebe heute recht umweltschonend arbeiten. So werden Alternativen zur Fischmehl und Fischöl im Futter gesucht (der Ersatz von Fischöl ist allerdings schwierig, da es eine wichtige Quelle für die als gesund geltenden Omega-3-Fettsäuren ist); werden die Farmen in das offene Meer verlagert, wo Meeresströmungen eine Verschmutzung des Wassers und die schnelle Ausbreitung von Krankheiten verhindern oder wird daran gearbeitet, dass Anlagen an Land mit einem geschlossenen Wasserkreislauf arbeiten können. Nach alten chinesischen Vorbildern wird bei der "integrierten multitrophischen Aquakultur" versucht, die Funktionsweise natürlicher Ökosysteme nachzuahmen: So filtern Muscheln und Seegurken die von Fischen produzierten organischen Nährstoffe aus dem Wasser, Seetang die anorganischen Nährstoffe; Muscheln, die in der asiatischen Küche genutzten Seegurken und Seetang lassen sich ebenfalls verkaufen. In der Bio-Aquakultur wird das Futter aus den Resten von Filettierbetrieben bezogen und werden Schädlinge wie Seeläuse statt mit Antibiotika mit Putzerfischen bekämpft.

Seit dem Jahr 2000 hat sich die Aquakultur von Seetang mehr als verdoppelt; produziert wird zu über 80 Prozent in China und Indonesien. Seetang wird zu einen (vor allem in China, Japan und Korea) gegessen, zum anderen wird daraus Gelier- und Verdickungsmittel hergestellt. Zudem wird er als Zusatz in Tierfutter genutzt. Da Seetang anorganische Nährstoffe aufnimmt, wird der Anbau in der Umgebung von Zuchtanlagen für Meeresfisch und Meeresfrüchte etwa in China vorangetrieben.

Produkte aus umweltfreundlicher Aquakultur

Verbraucher können umweltverträglich erzeugten Zuchtfisch mittlerweile am Siegel des "Aquaculture Stewardship Council" (ASC) erkennen. Dieses Siegel ist noch recht neu und  zertifizierte Produkte daher noch selten. Weiterhin kann man sich auch an Bio-Siegeln orientieren: Bio-Lachs oder Bio-Garnelen aus Aquakultur sind auch für Naturschutzorganisationen wie den WWF empfehlenswert. Inzwischen ist es sogar gelungen, Kabeljau in Farmen zu züchten; im Jahr 2007 kamen bereits 13.000 Tonnen Zuchtkabeljau auf den Markt - und ist nach Angaben von Gourmetköchen sogar besser als der Wildfang (Der Spiegel 7/2009). Auch beim Lachs schnitt Zuchtlachs in einem aktuellen Test der Stiftung Warentest (test 12/2012) besser ab als Wildlachs (der jedoch eine andere Art - nämlich Pazifiklachs - ist, was den Vergleich einschränkt). Erfreulich, dass ein Anbieter von gutem Lachs auch Spitzenreiter beim Tier- und Umweltschutz und beim Umgang mit den Mitarbeitern war - die "Deutsche See".

Weitere Informationen zum Thema:

FAO-Weltfischerei-Report: >> www.fao.org/fishery/sofia/en (englischsprachig).

Weiterführende >> Literatur

Siehe auch:
>> Eine kleine Geschichte des Walfangs
>> Der Bericht der Global Ocean Commission

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>> Die Verschmutzung der Ozeane

Ähnliche Themen:
>> Lebensraum Ozean

© Jürgen Paeger 2006 - 2014

Hinweis: Eine  umfangreichere Fassung dieser Seite finden Sie unter dem Titel "Das Meer ist leer" in dem Band "Not für die Welt" aus der Reihe "Brockhaus perspektiv".

Cover "Not für die Welt"

"In der Europäischen Union ähnelt die Beziehung zwischen Politikern und Fischereiindustrie mittlerweile der eines Arztes, der einem Patienten beim Selbstmord hilft." (Der britische Meeresbiologe >> Callum Roberts, S. 85)

Der Marine Stewardship Council zertifiziert verantwortlichen und nachhaltigen Fischfang. Zertifizierte Produkte sind am blauen MSC-Label zu erkennen, siehe >> Wie können wir anfangen?