In Asien bestand eine ähnliche Konstellation wie in Europa nur in
Korea: der Norden war von russischen Truppen, der Süden
von amerikanischen Truppen befreit worden; die Besatzungszonen
wurden entlang des 38. Breitengrads abgegrenzt. Auch hier
entstanden 1948 zwei Staaten: Die "Republik Korea" im Süden, die
"Demokratische Volksrepublik Korea" im Norden. (1950 versuchte
Nordkoreas Führer Kim Il Sung mit einem Überfall auf den Süden,
diese Spaltung rückgängig zu machen: siehe >> Der
Koreakrieg).
Die Befreiung des übrigen Asien war im wesentlichen den Amerikanern
allein überlassen gewesen. Japan
blieb nach dem Krieg von den Amerikanern unter General MacArthur
besetzt. Das Land sollte demokratisiert und entmilitarisiert
werden; aber als sich in China der Sieg
der Kommunisten abzeichnete, wurde Japan auch als Verbündeter
gebraucht: Der amerikanische Kongress bewilligte 100 Millionen
Dollar für den Wiederaufbau Japans; die Aufarbeitung der
Kriegsschuld blieb sehr beschränkt und formalistisch, der Kaiser
wurde etwa nie angeklagt (stattdessen gab es aber eine
antikommunistische Säuberungswelle). 1947 trat eine mit
amerikanischer Hilfe erarbeitete neue Verfassung in Kraft, 1951
wurde Frieden mit den USA geschlossen und im April 1952 wurde Japan
wieder unabhängig. In der Folgezeit hat sich Japan, ähnlich wie
Deutschland, vor allem auf den wirtschaftlichen
Aufbau konzentriert; beide Länder wurden vor allem Kraft ihrer
Wirtschaft wieder zu angesehenen Mittelmächten.
Anfänge einer neuen Weltwirtschaftsordnung
Da die Weltwirtschaftskrise neben dem Nationalismus als eine
wichtige Kriegsursache galt, standen der Wiederaufbau und die
Entwicklung einer haltbaren Weltwirtschaftsordnung nach dem Zweiten
Weltkrieg ganz oben auf der Tagesordnung. Hierbei nutzen die USA
ihre Vormachtstellung: Die Weltwirtschaft sollte ausreichend
Investitionsmittel zur Verfügung haben und auf dem freien Austausch
von Gütern beruhen. 1944 wurde in Bretton Woods der Grundstein zur
Gründung für die Bildung des Internationalen Währungsfonds
(IWF) und der Weltbank gelegt. Der
IWF machte den Dollar zum neuen "Goldstandard", der Wechselkurse
festlegte; internationale Geschäfte wurden in Dollar abgewickelt.
Der freie Warenverkehr sollte mit einem Allgemeinen Zoll-
und Handelsabkommen (GATT) gefördert werden. Zölle und
andere Handelshemmnisse konnten mit dem GATT jedoch nur begrenzt
abgebaut werden, da viele Staaten heimische Produkte schützen
wollten. Die USA akzeptierten dies, da sie im beginnenden Kalten
Krieg ihre Handelspartner stärken wollte; Macht und Einfluss der
Sowjetunion sollten auch ökonomisch eingedämmt werden.
Die (west-)europäisch Einigung
Ideen für eine Einigung Europas waren schon während des Zweiten
Weltkriegs im demokratischen Widerstand und im Exil entstanden: so
hatten etwa 1942 die Exilregierungen von Griechenland und
Jugoslawien sowie von Polen und der Tschechoslowakei Verträge über
die Bildung einer Konföderation nach dem Krieg abgeschlossen.
Nachdem Stalin aber den osteuropäischen Staaten die Teilnahme am Marshall-Plan untersagt hatten,
wurde solche Pläne nur im Westen weiterverfolgt. Ihr wichtigstes
Motiv war die Sicherung des Friedens in Europa: mit wirtschaftlicher
Zusammenarbeit sollte der Wohlstand, der als Voraussetzung für
Demokratie und Frieden galt, gesichert und zugleich Deutschland
eingebunden werden. Mit der Blockbildung kam zudem die Sicherung der
Unabhängigkeit von den beiden Siegermächten hinzu – in Form von
Konkurrenzfähigkeit gegenüber der wirtschaftlichen Supermacht USA
und Schutz vor der militärischen Bedrohung durch die Sowjetunion.
Mit dem Test der ersten sowjetischen
Atombombe im Jahr 1949 stand das amerikanische
Atomwaffenmonopol vor dem Ende. Dieses hatte aber bis dato den USA
den Verzicht auf eine massive konventionelle Aufrüstung erlaubt, die
nun begann: der US-Verteidigungshaushalt stieg von 13 Milliarden
Dollar im Jahr 1950 auf über 50 Milliarden Dollar im Jahr 1953. Das
Geld floss nicht nur in konventionelle Waffen, sondern auch in die
Entwicklung einer Wasserstoffbombe.
Stalin reagierte mit einem eigenen Rüstungsprogramm, baute die Rote
Armee auf 5,9 Millionen Mann aus und verpflichtete die
osteuropäischen Staaten, ihre Truppenstärke auf 3 Millionen Mann zu
bringen. Damit stellte sich die Frage nach einer Verteidigung
Deutschlands als exponiertestem Vorposten des Westens. Eine
deutsche Wiederbewaffnung war sowohl innerhalb als auch
außerhalb Deutschlands – vor allem in Frankreich – umstritten. Mit
dem Koreakrieg schien auf einmal ein
Angriff der Kommunisten aus Ostdeutschland aber nicht mehr als
gänzlich unplausibel, die USA verlangten sie nun als Gegenleistung
für ihr militärisches Engagement in Europa. Um eine deutsche
Streitmacht wenigstens europäisch einzubinden, schlug Frankreich
eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) vor, die
die Verfügungsgewalt über deutsche Truppen haben sollte, was
wiederum Adenauer ablehnte. Die Sowjetunion, die ihrerseits das
deutsche Rüstungspotenzial nicht dem Westen zukommen lassen wollte,
schlug einen mit einer Neutralisierung verbundenen Friedensvertrag
mit Deutschland vor. Die Niederschlagung des Arbeiteraufstands in
Ostberlin im 17. Juni 1953 verringerte die Attraktivität dieses
Vorschlags im Westen, führte aber dazu, dass in Hoffnung auf einen
möglichen Verzicht auf die deutsche Wiederbewaffnung das
französische Parlament die Zustimmung zur EVG nicht einmal
diskutierte. Damit drohte aber das Scheitern des westlichen
Sicherheitssystems, mit den 1955 in Kraft getretenen "Pariser
Verträgen" erhielt Westdeutschland eine Teilsouveränität, wurde
Mitglied der NATO und gründete noch im gleichen Jahr die Bundeswehr.
Auch die Idee einer politischen Europäischen Gemeinschaft kam
voran. 1951 hatten Belgien, die Bundesrepublik Deutschland,
Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande die Europäische
Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, auch
“Montanunion”) gegründet. Eine gemeinsame Aufsicht über die
damaligen Schlüsselindustrien sollte dafür sorgen, dass es beim
Wiederaufbau der Schwerindustrie nicht wieder zu einer deutschen
Hegemonie kam. Nach dem Scheitern der EVG schlug der Vorsitzende
der EGKS-Verwaltung, der französische Unternehmer Jean Monnet, die
Schaffung einer europäischen Atombehörde vor, damit Europa bei der
vermuteten "dritten industriellen Revolution" mithalten könne (zudem
gab es hier noch keine nationalen Industrien und Lobbys, die die
Idee bekämpfen konnte). Als Reaktion schlugen die Niederlande, die
eine Beschränkung der Integration auf einzelne Industriesektoren für
unzureichend hielten, die Schaffung eines gemeinsamen Marktes vor.
Beschlossen wurde schließlich beides: 1957 wurden sowohl die
Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) als auch die
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet.
Nachdem 1958 in Frankreich Charles de Gaulle sein Amt antrat,
verschoben sich die Gewichte zugunsten der EWG (de Gaulle war auf
absolute Unabhängigkeit der französischen Atomindustrie bedacht,
womit bei Euratom der einstige Motor ausfiel) 1967 wurden EGKS,
Euroatom und EWG zu den Europäischen Gemeinschaften
(EG) zusammengelegt. 1970 wurden regelmäßige Gespräche der
EG-Außenminister vereinbart, damit die EG in den großen
internationalen Fragen mit einer Stimme sprechen kann; 1974 wurde
der Europäische Rat gegründet, ein regelmäßiges Treffen der
Staats- und Regierungschefs der EG, die Hindernisse auf dem Weg zu
einer Europäischen Union zur Seite räumen sollten. Bereits 1973
waren Großbritannien, Irland und Dänemark der EG beigetreten, 1981
folgte mit dem Betritt von Griechenland und 1986 mit dem von Spanien
und Portugal die "Süderweiterung".
Unabhängigkeit für die Kolonien
Mit einer Kampagne des gewaltlosen
“zivilen Ungehorsams” trug Mahatma Gandhi dazu
bei, dass Indien 1947 unabhängig wurde. (Foto: Der Salzmarsch (hier)
von 1930; Fotograf unbekannt, aus wikipedia.
Public Domain)
Blutige Freiheit – Indien und Pakistan
Als der Zweite Weltkrieg
ausbrach, hatten die Briten Deutschland auch im Namen Indiens den
Krieg erklärt. Die Minister des indischen Nationalkongresses traten
daraufhin aus Protest aus den Provinzialregierungen zurück; Gandhi
forderte die Kolonialmacht auf, Indien zu verlassen (versprach
jedoch, dass ein unabhängiges Indien auf Seiten der Alliierten in
den Krieg ziehen würde). Gandhi und die anderen Führer des
Kongresses wurden hierfür verhaftet. Jinnahs Muslime stützten die
Briten aber, und schließlich kämpften zwei Millionen indische
Soldaten für die britische Armee. Zudem wurde die indische Industrie
in die Kriegsproduktion eingespannt, die Waren auf Kredit lieferte.
Obgleich Roosevelt und Churchill 1941 in ihrer Atlantik-Charta den
Völkern der Welt "Selbstbestimmung" versprochen hatten, und die
Eroberung Singapurs durch Japan 1942 das Ende des British
Empire in Asien möglich erscheinen ließ, kam Indien der
Unabhängigkeit zunächst nicht näher. Im Gegenteil: 1942 erklärte das
Kriegskabinett in London, die Selbstbestimmung beziehe sich nur
auf die von den Achsenmächten besetzten Länder. Manche Inder setzten
jetzt auf Subhas Chandra Bose, den ehemaligen Oberbürgermeister von
Kalkutta, der sich mit Gandhi überworfen hatte. Dieser hoffte auf
Unterstützung durch Hitler: vom "befreien" Singapur aus baute er
eine Armee auf und erklärte den Alliierten den Krieg. Auf dem Weg
von Burma nach Indien wurde seine Armee jedoch vernichtet.
Indiens Unabhängigkeit war dennoch unvermeidbar geworden: Wie
wollte Großbritannien die zwei Millionen Soldaten kontrollieren,
die in der britisch-indischen Armee gekämpft hatten? Die Briten
waren zudem nicht nur bei den USA, sondern auch bei ihrer Kolonie
Indien hoch verschuldet; und der neuen Labour-Regierung waren die
asiatischen Kolonien ohnehin nur mehr eine Last. Der als Vizekönig
eingesetzte Lord Mountbatten sollte das Land bis August 1948 in die
Unabhängigkeit entlassen. Jetzt zeigt sich aber, wie erfolgreich die
Briten ethnische und religiöse Gruppen gegeneinander ausgespielt
hatten: Zwischen Hindus, Muslimen und Sikhs brachen Kämpfe aus, die
in einem kollektiven Blutrausch mündeten: Mehrere Hunderttausend
Menschen kamen ums Leben, über 26 Millionen Menschen wurden
vertrieben (die größte Vertreibung in der Geschichte der
Menschheit). Die Muslime flohen nach Osten, ins heutige Pakistan.
Auch wenn Gandhi versuchte, eine Teilung des Landes zu verhindern,
war diese nicht mehr zu vermeiden: um die Unruhen zu beenden, zog
Mountbatten die Unabhängigkeit vor, teilte aber das Land: bereits
im August 1947 wurden Indien und Pakistan
(sowie Burma) unabhängig. 40 Millionen Muslime blieben jedoch in
Indien. Gandhis Versöhnungsversuche – er trat für die faire
Aufteilung der kolonialen Staatskasse ein – trugen ihm Hass aus den
eigenen Reihen ein, er wurde 1948 von einem hinduistischen Fanatiker
erschossen.
Erster Premierminister des unabhängigen Indien war Jawaharlal
Nehru. Nehru war ein überzeugter Demokrat und schaffte
es, in Indien ein funktionierendes parlamentarisches System
aufzubauen; wirtschaftlich orientierte er sich an der Sowjetunion.
Präsident Pakistans wurde Mohammed Ali Jinnah, der
ein Präsidialsystem bevorzugte; der Präsident entschied und regierte
mit Hilfe der Bürokratie und des Militärs. Nach Jinnahs Tod behielt
das Militär dauerhaft die Macht im Land (mal direkt, mal eher im
Hintergrund). Das ehemalige Fürstentum Kaschmir,
dessen Bevölkerung mehrheitlich muslimisch, dessen Maharadscha aber
Hindu war, war 1947 unabhängig geblieben, wurde aber 1949 von
pakistanischen Freischärlern besetzt, worauf es Indien um Hilfe und
Anschluss an Indien bat. Indien schickte Truppen – und traf auf
pakistanische Soldaten. Die Vereinten Nationen vermittelten 1949
einen Waffenstillstand, die Waffenstillstandslinie ist noch heute
faktisch die indisch-pakistanische Grenze. 1954 schloss sich
Pakistan dem nach dem Koreakrieg
entstehenden amerikanischen Bündnissystem an; Indien blieb
“blockfrei”, orientierte sich aber als Reaktion noch enger an der
Sowjetunion. 1965 marschierte Pakistan in Indien ein und versuchte,
Kaschmir von Indien abzuschneiden, wurde aber von Indien schnell
zurückgedrängt. Diese Aktion führte auch zu Autonomieforderungen
Ostpakistans, die 1971 zur Entstehung des unabhängigen Bangladesh
führte (womit die Zweinationen-Theorie der Muslimliga, die
angesichts von 40 Millionen Muslime in Indien ohnehin fragwürdig
war, endgültig ad absurdum geführt wurde).
1974 zündete Indien seine erste Atombombe
und wurde damit Atommacht (was in Pakistan ebenfalls ein
Atomprogramm auslöste; das Land zündete schließlich 1998 eine
Atombombe). Indien blieb aber von Unruhen und
Unabhängigkeitsbewegungen, unter anderem der Sikh, die einen
eigenen Staat im Punjab forderten, geprägt. Nach dem Ende des
Kalten Krieges wurde die Wirtschaft reformiert, und der indische
Wirtschaftsaufschwung begann. Dieser wird allerdings durch
vorgeblich religiöse Unruhen und Bombenanschläge (etwa 1992 und 2008
in Bombay, 2002 in Gujarat) immer wieder überschattet, zumal die
Armen im Land kaum von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren.
Auch der Krisenherd Kaschmir ist längst nicht beruhigt, 1999
versuchte Pakistan erneut einen Einmarsch; und in den letzten 20
Jahren kosteten von Pakistan unterstützte terroristische Aktivitäten
dort knapp 30.000 Menschen das Leben.
Das Ende des British Empire und Unabhängigkeit in Afrika
Mit der indischen Unabhängigkeit war vom British Empire
wenig mehr als die afrikanischen Kolonien
verblieben. Hier sollte nun unter neuen Vorzeichen gezeigt werden,
dass die Kolonialpolitik noch nicht am Ende war. Die neue
Labour-Regierung wollte die ökonomische Ausbeutung beenden; es war
viel von "Wohlstand" und "Entwicklung" die Rede. Bei den britischen
Kolonialbeamten vor Ort hielt sich die Begeisterung für die neue
Linie jedoch in Grenzen; und die Planungen aus London gingen oft an
der Realität vorbei: So wurden Maschinen für 1,3 Millionen Hektar
große Erdnussplantagen in Ostafrika angeschafft, die auf den Böden
dort gar nicht einsetzbar waren. So gewann der Nationalismus in
Afrika an Boden, 1951 gab es in der Kolonie Goldküste und 1954 in
Nigeria eine erste Selbstverwaltung auf regionaler Ebene. In Kenia,
einer Siedlerkolonie, versuchten die Briten hingegen, die
einheimische Bevölkerung mit Gewalt einzuschüchtern: Als Reaktion
auf die Mau-Mau-Unabhängigkeitsbewegung wurden ab 1952 eine Million
Kenianer in Internierungslagern festgehalten.
Das Ende des afrikanischen Kolonialreichs begann 1957 mit der
Unabhängigkeit Ghanas (den ehemaligen Kolonien Goldküste
und Britisch-Togoland). Die ehemalige Goldküste war schon im 19.
Jahrhundert zur "Musterkolonie" geworden, die ein wichtiger
Kakaolieferant war. Nachdem 1959 die Tories die britischen Wahlen
gewannen, gewann eine nüchterne Kosten-Nutzen-Analyse an Bedeutung:
die afrikanischen Kolonien kosteten mehr, als sie einbrachten. Zudem
kündete de Gaulle, der mit Algerien genug Probleme hatte, die
"Selbstbestimmung" der französischen Kolonien in Afrika an, 14
ehemalige Kolonialgebiete wurden zu formal unabhängigen Staaten (die
wirtschaftlich jedoch von Frankreich abhängig blieben und in denen
französische Unternehmen weiterhin die Rohstoffe ausbeuteten) und
Belgien erklärte – nach heftigen Unruhen in der Hauptstadt
Léopoldville – 1960 die Unabhängigkeit des Kongo.
Beginnend mit Nigeria (1960) wurden rasch weitere
britische Kolonien unabhängig, darunter auch Kenia
(1963). Als sich jedoch 1965 die Siedlerkolonie Südrhodesien
für unabhängig erklärte, um einer Übergabe der Macht an die
schwarze Bevölkerungsmehrheit zuvorzukommen, erkannte
Großbritannien die weiße Siedlerregierung nicht an. Diese konnte
aber bis Ende der 1970er Jahre die einheimische Opposition mit ihrer
hochgerüsteten Armee unter Kontrolle halten; erst 1980 wurde das
Land als Simbabwe unabhängig.
1962 hatte Belgien auch Ruanda und Burundi in die
Unabhängigkeit entlassen. Portugal unterdrückte die
Befreiungsbewegungen in seinen Kolonien Angola, Mosambik
und Guinea-Bissau gewaltsam; diese wurden erst 1974 und 1975
nach dem Sturz der Diktatur unabhängig. Belgien und Portugal
kümmerten sich zudem am wenigsten um die wirtschaftliche Zukunft
ihrer ehemaligen Kolonien, aber nicht nur in diesen kam es zu einer
unseligen Zusammenarbeit einheimischer Führer und europäischer
Unternehmen, die weiterhin die Rohstoffe ausbeuteten – an der
Bevölkerung ging der dabei erwirtschaftete Reichtum oftmals völlig
vorbei, so dass viele schwarzafrikanische Länder lange zur "Vierten
Welt" (die kaum Aussicht auf Entwicklung hat) gezählt wurden [230].
Noch heute wird leidenschaftlich diskutiert, inwieweit die Probleme
Afrikas auf die Kolonialzeit mit ihrer Zerstörung gewachsener
Strukturen zurückgeführt werden können oder inwieweit dieses
Argument (zumindest auch) von den einheimischen Eliten genutzt wird,
um von eigenem Versagen abzulenken.
1997 musste Großbritannien schließlich die Kronkolonie Hongkong
an China zurückgegeben – vom British Empire bleibt formell nur noch
das Commonwealth.
Vom Apartheitsstaat zur Regenbogennation – Südafrika
Im schon seit 1910 unabhängigen Commonwealth-Mitglied Südafrika
verschärfte sich die Diskriminierung der schwarzen Einwohner mit dem
Wahlsieg der National Party im Jahr 1948: Die
Rassentrennung (Apartheid) wurde offizielle Politik. Die Schwarzen
durften das ihnen zugeteilte Land nur mit Erlaubnis und einem “Pass”
verlassen. Der Widerstand gegen diese Politik wurde unter anderem
vom African National Congress (ANC) organisiert. 1960
zogen 8.000 Demonstranten zu einer Polizeistation bei Johannesburg,
um sich verhaften zu lassen, die Polizei schoss auf die unbewaffnete
Menge und tötete 69 Menschen; die UNO verurteilte Südafrika, die
Regierung verbot den ANC und dieser kündigte das Ende der
Gewaltlosigkeit an. 1962 wurde der ANC-Führer Nelson
Mandela verhaftet, und die Regierungen Europas und
Amerikas übten sich in Nachsicht mit (dem rohstoffreichen)
Südafrika. Parallel zur schwarzen Bürgerrechtsbewegung entstand aber
auch in Südafrika eine Black-Consciousness-Bewegung, und
1976 protestierten in Soweto 15.000 Schulkinder
dagegen, dass künftig die Hälfte des Unterrichts in Afrikaans (der
Sprache der Buren) erfolgen sollte – wieder schoss die Polizei in
die Menge und tötete und verletzte Hunderte von Kindern. 1977 wurde
(zum wiederholten Male) der Anführer der Black-Consciousness-Bewegung,
Steve Biko, verhaftet – und starb an den Folgen der
Polizeifolter. Über Jahre stand Südafrika danach kurz vor dem
Bürgerkrieg, die Regierung versuchte, die Lage mit Todesschwadronen
unter Kontrolle zu bekommen, die Apartheitsgegner töteten. Diese
Politik isolierte Südafrika aber dann doch international, und die
weiße Regierung unter Pieter Willem Botha begriff, dass sie
Südafrika so in den Ruin führen würde. Nach jahrelangen
Geheimverhandlungen mit dem ANC und dem immer noch gefangenen Nelson
Mandela wurde 1990 von Bothas Nachfolger de Klerk
das Verbot des ANC aufgehoben und Mandela freigelassen. Nach Jahren
der Gespräche über eine neue Verfassung (und blutigen Kämpfen
zwischen dem ANC und der von Zulus dominierten Inkatha Freedom
Party) wurde 1994 der 75-jährige Nelson Mandela
mit über 62 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt.
Mandela machte sich mit zahlreichen großherzigen Gesten um die
Versöhnung zwischen Schwarzen und Weißen verdient. Aber auch wenn
einige Schwarze inzwischen reich wurden: Die Kluft zwischen Arm und
Reich konnte in dem Land noch nicht verringert werden.
Israel und die arabische Welt
Unter dem Eindruck des Völkermords an den Juden drängten die
jüdischen Siedler in Palästina sofort nach dem Kriegsende auf einen
eigenen jüdischen Staat – und die Briten hatten nicht mehr die
Mittel, sich um ihr Mandatsgebiet zu kümmern. Sie wollte das Gebiet
eigentlich in einen Zweinationenstaat überführen; 1947 entschied
sich die Vollversammlung der Vereinten Nationen aber für die
Schaffung von zwei Staaten. Noch am selben Tag brachen Kämpfe
zwischen militärischen Einheiten der Juden und palästinensischen
Arabern aus; jede Seite wollte die Entstehung des anderen Staates
verhindern oder sich zumindest möglichst viel Land sichern. Als die
Briten 1948 das Gebiet verließen, erklärte Israel
seine Unabhängigkeit, die sowohl von den USA als auch der
Sowjetunion (die darin eine Schwächung des britischen Einflusses
sah) schnell anerkannt wurde. Der Krieg ging weiter, etwa eine
Million Araber wurden vertreiben und Israel konnte sich mit Galiläa
und der Negev zusätzliche Gebiete sichern, als es 1949 zum
Waffenstillstand kam.
Die Niederlage der untereinander zerstritten Araber förderte aber
die nationalistische Unzufriedenheit mit der alten – oftmals mit den
Europäern zusammenarbeitenden – Oberschicht: 1949 kam es in Syrien
zu einem Militärputsch, 1951 wurden der libanesische
Premierminister und der jordanische König bei Attentaten getötet und
1952 übernahm in Ägypten ein aus Militärs
gebildeter Revolutionsrat die Macht und rief die Republik aus. 1954
wurde Gamal Abdel Nasser ägyptischer Präsident.
Als Nasser 1955 aus Sorge vor einem israelischen Angriff
Waffenlieferungen aus der Sowjetunion erbat, regierten
Großbritannien und die USA mit einer Einstellung der Zahlungen für
den Assuan-Staudamm, Nassers wichtigstem Entwicklungsprojekt. Daraufhin verstaatlichte Nasser 1956 den
Suez-Kanal, die Einnahmen sollten die Fertigstellung des
Assuan-Staudamms ermöglichen. Obgleich die alten Anteilseigner der
Kanalgesellschaft ausgezahlt wurden, wollten Frankreich und
Großbritannien den Verlust des Suez-Kanals nicht hinnehmen: sie
baten Israel um einen Angriff auf die Palästinenser und ihre
ägyptischen Unterstützer – und wollten unter dem Vorwand, die
streitenden Parteien zu trennen, die Kanalzone wieder in Besitz
nehmen. Ägypten konnte den Angriff aber abwehren, wozu der
amerikanische Präsident Eisenhower, der von dem Plan nicht
informiert war, entsetzt reagierte und Frankreich und Großbritannien
mit Ausschluss aus der NATO drohte, erheblich beitrug. Frankreich
und England verloren mit dieser Niederlage ihre Stellung im Nahen
Osten; die USA wurden zur neuen Schutzmacht Israels. Nasser wurde
nach diesem "Sieg" quer durch Arabien von den Massen verehrt und zum
Vorbild nationalistischer Führer. 1958 schlossen sich Ägypten und
Syrien gar zur Vereinigten Arabischen Republik
zusammen.
Die USA unterstützten nicht nur Israel, sondern auch die
Nasser-Gegner im Libanon und Jordanien – und suchten darüber hinaus
die Zusammenarbeit mit den konservativen Führungen in den
Ölförderstaaten. Im Iran, wo 1941 Briten und
Sowjets den Schah Reza Pahlavi wegen seiner freundschaftlichen
Kontakte zu Hitler abgesetzt und seinen 21-jährigen Sohn Mohammed
Reza Pahlavi zum neuen Schah ernannt hatten, hatte der
nationalistische Premierminister Mohammed Mossadegh
1951 die Ölfelder und die Ölförderanlagen in seinem Land, von deren
Gewinnen vor allem die Briten profitierten, verstaatlicht (mehr).
Die Briten verhängten als Reaktion darauf ein Wirtschaftsembargo,
dass die iranische Ölproduktion weitgehend zu Erliegen brachten,
aber Auftritte vor dem Sicherheitsrat der UNO und dem
Internationalen Gerichtshof in Den Haag machten Mossadegh zu einem
Vorbild für nationalistische Bewegungen in anderen Länder. Daraufhin
unterstützten die Geheimdienste der USA und Englands einen
Militärputsch, der dem populären Mossadegh das Leben kostete.
Danach regierte der Schah mit eiserner Hand, mit Unterstützung der
USA und seines 1957 gegründeten Geheimdienstes Savak (und gewährte
den USA bevorzugten Zugang zu den Ölquellen des Landes). Auch das
ölreiche Saudi-Arabien verbündete sich mit den
Amerikanern, um revolutionäre Bewegungen abzuwehren. Frankreich
gewährte 1956 seinen ehemaligen Kolonien Marokko
und Tunesien die Unabhängigkeit, in Algerien
wehrten sich aber die französischen Siedler im Land: Hier weitete
sich ein 1954 begonnener Aufstand zu einem Befreiungskrieg aus, in
dem beide Seiten versuchten, den Gegner mit Terrorakten zu
demoralisieren. Berichte über französische Folterungen von Frauen
und Kindern ließen die Stimmung in Frankreich kippen, und 1962
wurde Algerien unabhängig. Über 900.000 der rund eine Million
französischer Siedler verließen daraufhin aus Angst vor Racheakten
das Land.
Mao Zedong und die chinesische Revolution II
Der Sieg der Amerikaner über Japan im Zweiten Weltkrieg hatte auch
den Krieg in China beendet; und der Konflikt
zwischen Kuomintang und Kommunistischer Partei (KPCh)
verschärfte sich wieder. Amerikanische Vermittlungsversuche
scheiterten und Mitte 1946 brach der Bürgerkrieg
wieder aus. Trotzt deutlicher zahlenmäßiger Unterlegenheit konnte
die “Volksbefreiungsarmee”, wie der Armee der KPCh jetzt hieß, den
Krieg gewinnen. Dazu trug auch bei, dass sie auf dem Land mehr
Unterstützung fand, und auch Arbeiter, Unternehmer und
Intellektuelle in den Städten zunehmend von der immer korrupteren
Kuomintang enttäuscht waren; zum Schluss liefen auch noch
Truppenteile zur Volksbefreiungsarmee über. Im Januar 1949 fiel
Peking, im April und Mai auch der Süden und Westen des Landes. Am 1.
Oktober 1949 rief Mao Zedong auf dem Pekinger
Tian'anmen-Platz die Volksrepublik China
aus; er wurde “Vorsitzender des Zentralrats der Volksregierung”. Chiang
Kai-shek floh mit einer halben Million Soldaten (sowie
Chinas Goldreserven und den Schätzen des Nationalmuseums) nach
Taiwan. Die Kommunisten setzen ihre Vorstellungen rücksichtslos um:
etwa 40 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche wurde enteignet;
wer sich dem entgegenstellte, hatte sein Leben verwirkt: über eine
Million Menschen wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. 1953
hatte die KPCh unangefochten die Macht im Lande.
Seine erste Auslandsreise führe Mao im Dezember 1949 nach Moskau.
Obwohl das Eis zwischen Stalin (der den "Bauernrevolutionär" nicht
wirklich ernst nahm) und Mao (dem sein Erfolg Selbstbewusstsein
verliehen hatte) dabei nicht wirklich gebrochen wurde, kooperierte
China (dessen Tagesgeschäft ohnehin in den Händen von
Premierminister Zhou Enlai lag) intensiv mit der
Sowjetunion. Diese stand insbesondere beim sozialistischen
Wirtschaftsaufbau, der auf Schwerindustrie basierte, Modell. Der
Wirtschaftsaufbau erfolgte in China aber nicht im gleichen Maße wie
in der Sowjetunion auf Kosten der Landwirtschaft, deren
Kollektivierung auch weniger Widerstand hervorrief. Nach
Chruschtschows Abrechnung mit Stalin
begann China aber, sich vom sowjetischen Modell abzulösen (Mao
bezeichnete Chruschtschow und seinen Nachfolger Breschnew
zeitlebens als "Verräter an Stalin"). 1957 setzte Mao durch, dass
die Intellektuellen aufgefordert wurden, ihre Kritik an der Partei
offen zu äußern (Hundert-Blumen-Kampagne). Die
vehement losbrechende Kritik erschreckte die Partei, die schon
knapp sechs Wochen später die Kampagne wieder abbrach – und die
Kritiker zu Hunderttausenden verbannte oder hinrichtete. Hiermit
begannen die “zwanzig verlorenen Jahre” bis zu Maos Tod, denn das
Land verlor die Mitarbeit seiner fähigsten Köpfe. Im Mai 1958 wandte
das Land sich endgültig von der sowjetischen Politik ab, mit dem “Großen
Sprung nach vorne” begann die eigentliche maoistische
Reform: Die Produktionsgenossenschaften wurden zu Volkskommunen, bis
hin zu den Wohnhäusern wurde alles Eigentum in die Kommune
überführt. Kleine Fabriken in den Dörfern sollten für den örtlichen
Bedarf produzieren – zum Symbol hierfür wurde die Stahlerzeugung
“im Hinterhof”. Die Bauern wurden massenhaft für staatliche
Infrastrukturprojekte eingesetzt, die Felder von ihren
(unerfahrenen) Frauen bestellt. 1958 rettete noch außergewöhnlich
gutes Wetter die Ernte, danach folgte die Katastrophe – die größte
Hungersnot der bisherigen Menschheitsgeschichte mit 30
bis 45 Millionen Hungertoten (und zu allem Überfluss erwies sich
auch der “Volksstahl” aus den örtlichen Stahlöfen als unbrauchbar).
Anfang der 1960er Jahre brachen Pragmatiker in der Parteiführung um
Staatschef Liu Shaoqi und Generalsekretär Deng
Xiaoping das Experiment ab. Aber Mao, der sich zuletzt in
der praktischen Politik zurückgehalten hatte, rief 1966, mit 72
Jahren, die Jugend in China zum Aufstand gegen diejenigen in der
Partei, die sich “auf den Weg des Kapitalismus” begeben hatten, auf.
So begann die Kulturrevolution, ab 1967 regierte
in China die Gewalt: Die aus Schülern und Studenten gebildeten
“Roten Garden” demütigten und quälten Lehrer, Professoren,
Schriftsteller, Künstler und andere Intellektuelle; und bald auch
Parteikader und Regierungsbeamte. Liu Shaoqi wurde verhaftet und
gefoltert und dann ohne ärztliche Behandlung in eine Zelle geworfen,
in der ein halbes Jahr später verstarb. Deng Xiaoping hatte noch
Glück: er wurde "nur" verbannt und musste in der Provinz Traktoren
reparieren. Ehemalige Minister, Professoren und Lehrer wurden zu
Tode gefoltert. Vier Jahre land tobte in China die Anarchie, am Ende
kam es zu bürgerkriegsartigen Kämpfen rivalisierender Roter Garden
untereinander. Erst dann schickte Mao auf Druck der Parteiführung
die Volksbefreiungsarmee – die letzte noch funktionierende
staatliche Institution – los, die die Kämpfe beendete. Vier
Millionen Oberschüler und Studenten wurden zur Umerziehung aufs
Land geschickt. Die Zahl der Toten in der Kulturrevolution ist
umstritten, sie geht in die Millionen. Die letzten Jahre Maos waren
eine “bleierne Zeit” (Konrad Seitz), nach militärischen
Auseinandersetzungen am Grenzfluss Ussuri wurde die (jetzt als
"sozialimperalistisch" bezeichnete) Sowjetunion zum Hauptfeind
erklärt. Aus diesem Konflikt wollten die USA Nutzen ziehen: 1971
reiste Präsident Nixons außen- und sicherheitspolitischer Berater
Henry Kissinger zweimal nach China, um mit Ministerpräsident Zhou
Enlai ein Treffen Nixons mit Mao vorzubereiten. Auch eine
vorsichtige Annäherung an Japan und Westeuropa begann; 1971 trat
China zudem der UNO bei. Im Februar 1972 besuchte US-Präsident Nixon
China. Dabei schlossen China und die USA einen Vertrag über eine
künftig engere Zusammenarbeit [250].
Auch gegenüber dem einstigen Kriegsgegner Japan öffnete sich China;
das Land wurde zum wichtigsten Handelspartner [252].
In Deutschland hatte vor allem die Wirtschaft und die Opposition aus
CDU/CSU schon seit längerem für Handelsbeziehungen zu China
gekämpft [254],
an denen China auch wegen der deutschen Erfahrungen beim
Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg interessiert war: nach der
Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1972 wurde Deutschland zum
drittgrößten Handelspartner Chinas.
Nach Maos Tod 1976 setzten sich die Pragmatiker in der Partei
durch: unter dem neuen Parteivorsitzenden Hua Guofeng
wurde die "Viererbande", vier bekannte Vertreter der Parteilinken,
verhaftet. Deng Xiaoping, der 1973 aus der Verbannung geholt, aber
1976 auf Betreiben von Maos Witwe zunächst wieder alle Ämter
niederlegen musste, wurde 1977 zum stellvertretenden
Ministerpräsidenten ernannt. Den Pragmatikern kam es vor allem auf
politische Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung an. Im
September 1978 übernahm Deng Xiaoping die Führung
der Partei, im Dezember hielt er auf dem "Dritten Plenum" der KPCh
eine Rede, die später als historische Wende galt: er kündigte an,
dass die Chinesen für mehr Leistung auch mehr Lohn erhalten sollten;
soziale Ungleichheit wurde akzeptiert, da der "gehobene
Lebensstandard eines Teils der Menschen ... zu einem
eindrucksvollen Beispiel für ihre Nachbarn werden" könne. Praktisch
hieß dies: in einem unverändert planwirtschaftlichen Rahmen
erhielten die Marktmechanismen mehr Bedeutung, fachliche Kompetenz
wurde in der Wirtschaft wichtiger als politische Linientreue.
Erster Schritt war die “Dekollektivierung” der Landwirtschaft, die
Bauern erhielten ehemaliges Kollektivland zur Bewirtschaftung und
konnten die Ernte frei verkaufen; die Ernährung verbesserte sich
innerhalb weniger Jahre (vor allem in den Städten – auf dem Land
zeigte sich, dass es neben der Chance auf Reichtum auch die
Möglichkeit zur Verarmung gab; viele Bauern wanderten in die Städte
ab und speisen dort das Heer der Wanderarbeiter). Auch in den
Städten wurde Privatinitiative erst geduldet, dann gefördert; der
chinesische Markt wurde für westliche Unternehmen geöffnet, die in
“Sonderwirtschaftszonen” wie Shenzhen bei Hongkong Steuer- und
Zollvergünstigungen erhielten. Der Austausch mit dem Westen –
nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch der wissenschaftliche und
kulturelle Austausch – wurde gefördert. 1979 besuchte Deng Xiaoping
die USA, wo er die Öffentlichkeit und die auf große Aufträge
hoffende Wirtschaft begeisterte (die New York Times titelte am 4.
Februar "Mr. Deng's Triumph"). Hua Guofeng besuchte mit einer
Delegation Westeuropa und blieb dabei eine Woche in Deutschland;
besichtigt wurden vor allem Industrieanlagen [256].
Die wirtschaftliche Öffnung machte China zu einem zentralen Akteur
der Globalisierung Ende des 20. Jahrhunderts; sie verlief aber weder
geradlinig noch problemlos. So verstanden die Chinesen die Lieferung
von Technik und Know-How als Entschädigung für frühere Ausbeutung
und erwarteten daher, sie kostenlos zu erhalten; eine Anerkennung
"geistigen Eigentums" im westlichen Sinne musste erst durchgesetzt
werden. Auch die Infrastruktur wie die Stromversorgung war marode,
die Bürokratie undurchsichtig. Zum Vorbild wurde das 1984 von VW
mitgegründete Gemeinschaftsunternehmen "Shanghai Volkswagen", in das
Modell VW Santana als Taxi und Auto für Funktionäre gebaut wurde. VW
etablierte sich damit als erste ausländische Automarke in China, der
Santana wurde ähnlich wie einst der Käfer zum Symbol des
chinesischen "Wirtschaftswunders". Zahlreiche andere
Gemeinschaftsunternehmen folgen diesem Beispiel und unterstützten
Deng Xiaopings Reformkurs. Eine von manchem erhoffte
Demokratisierung Chinas war damit jedoch nicht verbunden, so wurde
1979 der "Pekinger Frühling" beendet, nachdem an der "Mauer der
Demokratie", an der Aktivisten einer Demokratiebewegung
Wandzeitungen aushängten, Forderungen nach mehr individuellen
Freiheiten auftauchten; der Autor Wei Jingsheng
wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Auch der Umgang mit
Menschenrechten verbesserte sich nicht [258].
Als sich nach dem Tod des
(1987 nach einem "zu nachsichtigen" Umgang mit Studentenprotesten
abgesetzten) beliebten Ex-Parteichefs Hu Yaobang
im April 1989 Trauerversammlungen zu erneuten
Studentendemonstrationen, diesmal auf dem zentralen Platz des
Himmlischen Friedens (Tian’anmen-Platz), entwickelten
(die spätestens seit einem Besuch Michael Gorbatschows in Peking
Mitte Mai auch der Weltpresse auffielen), wurde das Kriegsrecht
verhängt und Anfang Juni die Demonstration mit Panzern blutig
niedergeschlagen – die Zahl der Toten ist bis heute unbekannt,
Schätzungen reichen bis 3.000. Bis Anfang 1990 blieb das Kriegsrecht
erhalten; Deng Xiaopings Ruf als großer Reformer erhielt erhebliche
Schrammen [260]
– und der Handel mit dem Westen brach als Reaktion auf das Massaker
(vorübergehend) erheblich ein.
Südostasien
Nach Japans Kapitulation hatte im ehemaligen Indochina der Anführer
der Vietnamesischen Unabhängigkeits-Liga (Vietminh), der Kommunist
Ho Chi Minh, die Unabhängigkeit Vietnams
erklärt – was die vormalige Kolonialmacht Frankreich aber zunächst
nicht akzeptierte. Es folgte ein siebeneinhalbjähriger Krieg, der
1954 mit der Spaltung des Landes in einen (von Ho Chi Minh
geführten) Nord- und Südteil endete, in dem der Nationalist und
Anti-Kommunist Ngo Dinh Diem regierte. Dieser erzwang nach wenigen
Monat den Abzug der Franzosen und beendete damit endgültig die
französische Kolonialzeit in Asien (weiter: >> Vietnamkrieg).
Auch in Indonesien versuchte die ehemalige
Kolonialmacht Holland vergeblich, die Unabhängigkeit zu verhindern:
in einem Guerillakrieg verspielten die Niederlande derartig viel
Sympathie, dass sie auf Druck der USA 1949 die Unabhängigkeit
Indonesiens weitgehend (nur West-Papua blieb zunächst unter
niederländischer Verwaltung) anerkennen mussten. Die USA selbst
hatte ihre Kolonie auf den Philippinen 1946 in die
Unabhängigkeit entlassen, konnten sich aber – nachdem sie der
Regierung bei einem von den Kommunisten unterstützten Bauernaufstand
beistand – bis in die 1980er Jahre Einfluss und Militärstandorte
sichern. Auf Malaysia blieb die
Unabhängigkeitsbewegung lange auf den chinesischen
Bevölkerungsteil beschränkt; erst als Malaien, Inder und national
orientierte Chinesen ein Bündnis bildeten, zogen die Briten sich
ohne Widerstand zurück – 1957 entstand die Föderation Malaysia.
Lateinamerika
In Lateinamerika gab es keine Kolonien mehr, dort waren aber die
USA zum wichtigsten ausländischen Investor geworden. Als in
Lateinamerika kommunistische Parteien an Einfluss gewannen,
reagierten die USA hart: Als in Guatemala 1952
die Bananenplantagen der United Fruit Company enteignet wurden,
beauftrage Präsident Eisenhower den CIA mit einem Umsturz, der eine
Militärjunta an die Regierung brachte. Als 1959 nach zweijährigem
Guerillakampf Fidel Castro auf Kuba die Macht
übernahm und 1960 ein Handelsabkommen mit der Sowjetunion
unterzeichnete, sollte auch hier der CIA eine Invasion vorbereiten.
Die Invasion in der Schweinebucht
scheiterte aber, und indirekt stärkte sie Castro und förderte
Guerillabewegungen nach kubanischem Vorbild in vielen
lateinamerikanischen Ländern. Letztendlich wurden sie alle von
Polizei- und Militäreinheiten besiegt, die von den USA ausgebildet
wurden; die USA gelten in Lateinamerika vielen seither als die neue
imperialistische Weltmacht.
Der Kalte Krieg
Der Kalte Krieg gewann seine Brisanz aus der Atombombe:
Nach der Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki war diese zu einem
Alptraum der Menschheit geworden. Albert Einstein soll gesagt
haben: “Ich weiß zwar nicht, wie der Dritte Weltkrieg geführt, wohl
aber, wie der Vierte ausgetragen wird: mit Stöcken und Steinen.” Die
Amerikaner hatten nach dem Zweiten Weltkrieg weitere Atombomben
gebaut – vor allem aus Kostengründen: Dem amerikanischen
Präsidenten Truman war eine konventionelle Aufrüstung zu teuer.
Aber weit früher als von den Amerikanern erwartet, nämlich bereits
1949, verfügte auch die Sowjetunion über Atombomben. Damit begann
ein atomares Wettrüsten, das beide Supermächte in die Lage
versetzen sollte, die Welt mehrfach zu zerstören und sie mehrfach an
den Rand eines Atomkriegs führte.
Der Koreakrieg und seine Folgen
Die erste dieser Krisen war der Überfall des
kommunistischen Nordkorea auf Südkorea am 25. Juni 1950.
Beide koreanische Staaten hatten sich mit der Teilung nicht
abgefunden und versuchten, ihre jeweilige Schutzmacht für einen
"Befreiungskrieg" zu gewinnen. Die Amerikaner stellten sich taub,
der Nordkoreaner Kim Il Sung fand aber schließlich bei Stalin Gehör.
Nordkorea wurde von (wie sich erst später herausstellte) 70.000 mit
chinesischen Uniformen getarnten Soldaten der sowjetischen Luftwaffe
unterstützt; Südkorea von einer (vor allem amerikanischen)
UNO-Truppe, die von dem US-Oberkommandierenden in Japan, General
MacArthur, geleitet wurde. Den USA gelang es schnell, über den 38.
Breitengrad in den Norden vorzudringen, woraufhin China in den Krieg
eingriff und die Amerikaner in den Süden zurückdrängte. MacArthur
schickte Heilig Abend 1950 eine Liste mit 24 chinesischen Zielen in
die USA, die er mit der Atombombe angreifen wollte, was
Verteidigungsminister Dean Acheson aber ablehnte. So blieb der
Koreakrieg ein konventioneller, bei dem über 3,5 Millionen Menschen
starben. Es war auch ein Krieg, bei dem über 3.000 Tonnen Napalm
eingesetzt wurden – eine Brandwaffe, die schwer heilbare
Verbrennungen auslöst und kaum mit Wasser gelöscht werden kann. Zu
einem Waffenstillstand kam es erst 1953 nach Stalins Tod. Nordkorea
entwickelte sich zu einem zunehmend stalinistischen Staat. In
Südkorea wurde der konservative, zunehmend autoritäre Syngman Rhee
1960 nach Demonstrationen abgelöst, nach einer kurzen Phase der
Demokratie begann eine Militärregierung unter General Park Chung
Hee mit dem Umbau des Landes zu einem modernen
Industriestaat.
Der Sieg der Kommunisten in China, die russische Atombombe und der
Koreakrieg hatten die amerikanische Strategie gegenüber der
Sowjetunion geändert: dem Kommunismus wurde ein "Drang zur
Weltherrschaft" unterstellt, die NATO zur Militärallianz ausgebaut
und durch ein weltweites Bündnissystem ergänzt. Begleitet wurde die
Aufrüstung von einer nach Senator McCarthy benannten, bis Ende 1954
anhaltenden antikommunistischen Gesinnungsschnüffelei. Die
Sowjetunion gründete als Antwort den Warschauer Pakt und baute ihr
eigenes Bündnissystem auf, das allerdings beginnend mit Aufständen
1953 in Ostberlin und 1956 in Ungarn auch zur Machtsicherung im
eigenen System eingesetzt werden musste. Angesichts der steigenden
Zahl von Atomwaffen – 1955 verfügten die USA über mehr als 3.000
atomare Sprengköpfe und über mehr als 1.300 Langstreckenbomber, die
die Sowjetunion erreichen konnten – war beiden Seiten aber klar,
dass ein Atomkrieg nicht zu gewinnen war. Auch wenn die USA eine
massive atomare Vergeltung für den Falle eines (auch nur
konventionellen) sowjetischen Angriffs in Europa androhten, waren
sie überzeugt, dass die Sowjetunion diesen nicht riskieren würden.
Beiden Seiten ging es vor allem darum, den Status quo zu sichern.
Die USA und ihre Verbündeten riskierten daher auch keinen
militärischen Konflikt, um etwa den osteuropäischen Völkern zu
helfen, in denen Panzer der Roten Armee wie in der DDR oder Ungarn
Aufstände niederwalzten.
1956 wollten die Amerikaner als Ausgleich für eine Reduzierung der
amerikanischen Truppenstärke die Europäer mit Trägerwaffensysteme
für kleine gefechtstaugliche (sog. "taktische") Atomwaffen
ausstatten, was die
Sowjetunion, wo Nikita Chruschtschow aus dem
Machtkampf um die Nachfolge des 1952 verstorbenen Stalin als Sieger
hervorgegangen war, als Bedrohung empfand. Sie hatte nach Stalins
Tod die teure Rote Armee auf 3,6 Millionen Mann reduziert, kam aber
mit der atomaren Aufrüstung nicht so schnell voran wie die USA. Um
die neuen Waffen zu verhindern, schlug Polens Außenminister Adam
Rapacki vor, eine atomwaffenfreie Zone aus Polen und den beiden
Deutschlands zu bilden. Der Vorschlag scheiterte aber, als
Chruschtschow die Verhandlungen zum Rapacki-Plan mit einem
Friedensvertrag mit beiden deutschen Staaten verbinden wollte (was
für Westdeutschland ein Tabu war, da es die DDR nicht anerkannte).
Die ohnehin aufgrund der immer noch vorhandenen konventionellen
Überlegenheit der Sowjetunion skeptischen NATO-Staaten stellten
diesen Vorschlag als Beleg für mangelnden Abrüstungswillen dar.
Stattdessen beschlossen die Verteidigungsminister
Westdeutschlands, Italiens und Frankreichs sogar eine gemeinsame
Produktion von Atomwaffen. Endgültig gescheitert war der
Rapacki-Plan, als Chruschtschow auf Drängen Walter Ulbrichts (dem
starken Mann der DDR, dem immer mehr Bürger nach West-Berlin
entflohen) den Westmächten ein Ultimatum stellte, West-Berlin
innerhalb von sechs Monaten in eine "freie Stadt" umzuwandeln.
Damit hoffte er, die DDR attraktiver zu machen, die beiden deutschen
Staaten aus ihren Militärblöcken zu lösen und doch noch eine
atomwaffenfreie Zone in der Mitte Europas zu erreichen. Aber sowohl
US-Präsident Dwight D. Eisenhower als auch sein Nachfolger John
F. Kennedy machten klar, das sie den Status Berlins nicht
ändern würden. Daraufhin erteilte Chruschtschow Ulbricht die von
diesem lange geforderte Erlaubnis, die Sektorengrenze in Berlin
abzuriegeln: dies erfolgte in der Nacht zum 13.8.1961; der
eigentliche "Mauerbau" erfolgte zum größten Teil
erst danach. Dabei standen sich am 27. & 28. Oktober am
Checkpoint Charly sowjetische und amerikanische Panzer 16 Stunden
lang gegenüber: Walter Ulbricht wollte (ohne Absprache mit der
Sowjetunion, wie heute bekannt ist) alliierte Offiziere
kontrollieren lassen (eine Verletzung der Siegerrechte),
Chruschtschow glaubte, der Westen wolle die Mauer durchbrechen; die
Welt stand, so der sowjetische Diplomat Walentin Falin später,
“Sekunden und Meter ... [vor] einem Unglück."
Die Kubakrise und ihre Folgen
Kennedy hatte zudem
im April 1961 eine Invasion von durch die CIA ausgebildeten
Exil-Kubanern in der Schweinebucht auf Kuba unterstützt, die
schnell gescheitert war. Unterdessen verfügte die Sowjetunion seit
Ende der 1950er Jahre ebenfalls über Langstreckenbomber, die die USA
erreichen konnten, das glich deren Überlegenheit aber nicht aus:
1961 verfügten die USA über 17 Mal so viele Langstreckenbomber und
Interkontinentalraketen, die das gegnerische Territorium erreichen
konnten. So kam Chruschtschow auf die Idee, Mittelstreckenraketen
auf Kuba zu stationieren: von dort konnten sie die USA erreichen und
die sowjetische Unterlegenheit verringern. Im Mai 1962 fasste das
sowjetische Zentralkomitee einen entsprechenden Beschluss, im Sommer
wurde die ersten Raketen nach Kuba gebracht. Als die USA im Herbst
erste Hinweise auf die – ihnen von der Sowjetunion nicht mitgeteilte
– Stationierung sowjetischer Atomwaffen auf Kuba entdeckten, musste
Kenneda, dem nach dem Desaster in der Schweinebucht ohnehin
vorgeworfen wurde, zu wenig für die Befreiung Kubas zu tun,
reagieren. Er dachte ernsthaft an einen Luftangriff (weil der
fälschlicherweise glaubte, die Raketen wären noch nicht
einsatzbereit); Verteidigungsminister McNamara bremste ihn.
Schließlich entdeckte der CIA, dass die Raketen bereits
einsatzbereit waren, und damit war ein Luftangriff zu gefährlich.
Kennedy enthüllte nun die Stationierung in einer Fernsehansprache
und begann eine Seeblockade Kubas. Als Chruschtschow nach fünf
Tagen die Atomraketen abziehen wollte, drängte Kubas Fidel Castro
auf “Verteidigung, wie schrecklich sie auch ausfallen möge”, und
gleichzeitig schossen sowjetische Militärs ein amerikanisches
Spionageflugzeug über Kuba ab. Die US-Militärs drängten auf
Angriff, aber jetzt bremste Kennedy – er ging auf ein Angebot
Chruschtschows zum Abzug der Raketen gegen einen amerikanischen
Invasionsverzicht auf Kuba ein, und Chruschtschow ordnete sofort den
Abbau der Waffen an.
Mit der Erkenntnis, in der Kubakrise tatsächlich am Rande
eines Atomkriegs gestanden zu haben, änderten sowohl die USA
als auch die Sowjetunion ihre Politik. Kennedy hatte erkannt, dass
ein Krieg mit der Sowjetunion aufgrund seiner Folgen unmöglich
geworden war, und Chruschtschow sah, dass die Sowjetunion ohne
Anerkennung des Status quo nicht friedlich neben den USA bestehen
konnte (und hatte mit Grenzkonflikten mit China, die 1964 ebenfalls
ihre erste Atombombe zündeten, und innenpolitischen Problemen genug
andere Baustellen). Es kam zu einer Reihe von Annäherungen; zwischen
beiden Ländern wurde ein "rotes Telefon" installiert, um einen
versehentlichen Atomkrieg zu verhindern. Die neue Entspannungspolitik
wurde in Deutschland insbesondere vom Berliner Bürgermeister Willy
Brandt und seinem Vertrauten Egon Bahr aufgriffen, insgesamt
startete sie aber ruckelig. Dazu trugen die Ermordung Kennedys im
November 1963 und die Absetzung Chruschtschows im Oktober 1964
(aufgrund immer wieder versprochener, aber ausbleibender
Rekordernten in der Landwirtschaft und weil er viele Funktionäre mit
einer Parteireform verprellt hatte) bei, vor allem aber der Vietnamkrieg: Nachdem 1960
der Norden begonnen hatte, seine militärischen Aktivitäten zu
Wiedervereinigung Vietnams zu verstärken, hatte bereits Kennedy, um
einen Sieg der Kommunisten zu verhindern, tausende
"Militärberater", die auch eigenständig agierten, in das Land
geschickt. Unter seinem Nachfolger Lyndon B. Johnson griffen die USA
dann direkt in den (offiziell nie erklärten) Krieg ein. 1966 standen
bereits über eine halbe Millionen Amerikaner in Vietnam. Die
Sowjetunion reagierte mit verstärkten Waffenlieferungen an den
Norden. Obwohl die Amerikaner in Vietnam mehr Bomben abwarfen als
im gesamten Zweiten Weltkrieg, konnten sie den Vietcong, wie die
gegen die Regierung des Südens und die Amerikaner kämpfende
Organisation genannt wurde, militärisch nicht gewinnen. Das
rücksichtslose Vorgehen der Amerikaner, die etwa die
Rückzugsgebiete des Vietcong im Dschungel mit dem dioxinhaltigen
Gift "Agent Orange" entlaubten (was zahllose Vietnamesen an
Leberkrebs und Epilepsie erkranken ließ) förderten eher die
Sympathien für den Vietcong (nicht nur in Vietnam: in Amerika und
Europa entstand eine Antikriegsbewegung, und der Protest beflügelte
die “68er”-Protestbewegung). 1968 begannen der Vietcong sogar seine
"Tet-Offensive" gegen Städte im Süden; sowohl die amerikanische
Öffentlichkeit als auch das Militär verloren den Glauben daran, den
Krieg noch gewinnen zu können; 1968 vereinbarten sie einen
Waffenstillstand mit der Regierung in Hanoi.
Während die amerikanisch-sowjetischen Gespräche unter dem
Vietnamkrieg litten, setzten die Europäer eigene Akzente: Frankreich
hatte 1964 einen Handelsvertrag mit der Sowjetunion geschlossen und
1966 bei einem Staatsbesuch de Gaulles in Moskau eine
Zusammenarbeit in der Raumfahrt vereinbart, Deutschland hatte
Handelsverträge mit Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien
geschlossen und Berlins Bürgermeister Willy Brandt Vereinbarungen
geschlossen, die West-Berlinern an Feiertagen Besuche im Osten
ermöglichten. Als er 1966 Außenminister einer großen Koalition
wurde, kündigte die deutsche Regierung die Aufnahme diplomatischer
Beziehungen mit den Staaten Osteuropas an, die 1967 mit Rumänien und
Jugoslawien auch erfolgte. Dann fürchtete die Sowjetunion jedoch
eine Isolierung der DDR und einen Zerfall des Warschauer Paktes und
verhinderte mit den "Karlsbadener Beschlüssen" weitere Abkommen. Die
Grenzen der Entspannungspolitik wurden noch deutlicher, als sich
die KP der Tschechoslowakei einem "Sozialismus mit menschlichem
Antlitz" verschrieb, die Geheimpolizei auflöste und die Trennung
von Partei und Staat in die Wege leitete: Leonid Breschnew,
der sich als Nachfolger Chruschtschows durchgesetzt hatte, ließ den
“Prager Frühling” im August 1968 mit Panzern
niederschlagen. Der Westen war verstimmt, aber letztendlich war die
Invasion für die Entspannungspolitik nicht viel mehr als ein
Verkehrsunfall, da im eigenen Machtbereich der Sowjetunion
geschehen – und eine Alternative nicht gesehen wurde. Das galt nach
anfänglichem Zögern auch für Johnsons Nachfolger Richard Nixon,
der im Wahlkampf noch auf antikommunistische Rhetorik gesetzt hatte.
Auch Breschnew, für den das "Selbstbestimmungsrecht der
sozialistischen Staaten den Interessen des sozialistischen
Weltsystems untergeordnet" war, war außenpolitisch sehr an
Verständigung mit dem Westen interessiert.
Entspannungspolitik
Unterdessen war die Zahl der US-Interkontinentalraketen auf 1054 im
Jahr 1967 gewachsen; dazu kamen 656 U-Boot-gestützte Raketen. Die
Sowjetunion kam weiter langsamer voran: sie besaß 1967 500
Interkontinentalraketen und etwa 100 U-Boot-gestützte Raketen – aber
plante seit 1964 ein Raketenabwehrsystem, dass Moskau und das
Baltikum vor anfliegenden Atomraketen schützen sollte.
US-Verteidigungsminister McNamara drängte auf Verhandlungen, um ein
solches System zu verhindern, da es aus seiner Sicht das Wettrüsten
beschleunigen würde; die Sowjetunion wollte die Verhandlungen
jedoch mit einer Begrenzung der strategischen Rüstung verbinden, was
die USA als Bedrohung ihrer strategischen Überlegenheit verstanden
und ablehnten. Gipfeltreffen mit der sowjetischen Führung wurden
sowohl von Johnson als zunächst auch von Nixon immer wieder
hinausgezögert.
In dieser Situation bemühte sich Breschnew verstärkt um die
Europäer. 1969 wurde mit dem "Budapester Appell" die Haltung aus den
"Karlsbadener Beschlüssen" korrigiert. Der nach der Bundestagswahl
1969 zum Kanzler einer sozialliberalen Koalition gewählte Willy
Brandt ergriff die Chance sofort und beseitigte ein letztes
Hindernis: in seiner Regierungserklärung erkannte er die staatliche
Existenz der DDR an. Es begann eine Phase der "neuen Ostpolitik",
die die Grenze durchlässiger machen sollte. In einer Reihe von "Ostverträgen"
wurde die neue Politik 1970 bis 1973 in Vertragsform gegossen, mit
dem "Viermächteabkommen" wurde der Rechtsstatus Westberlins
geregelt. Von diese Erfolg inspiriert, gab auch Richard Nixon seine
Zurückhaltung auf. Seit 1970 führten die USA und die Sowjetunion
Gespräche über Begrenzung der strategischen Aufrüstung (Strategic
Arms Limitation Talks, SALT), die auch die
Raketenabwehrsysteme (Anti-Ballistic Missiles, ABM)
einschlossen. 1972 organisierte der neue amerikanische
Sicherheitsberater Henry Kissinger Besuche Nixons
in China (wo es um die Unterstützung für einen "ehrenvollen" Abzug
der USA aus Vietnam ging) und in der Sowjetunion. Beinahe wäre Vietnam
einem Erfolg wieder in die Quere gekommen: Nixon hatte auf
eine neue Offensive Nordvietnams mit Bombenangriffen auf Hanoi und
eine Verminung der Küstengewässer geantwortet, aber schließlich
konnte Breschnew die Unterzeichnung eines "SALT-I"
genannten Vertragspakets durchsetzen (u.a. mit dem Hinweis, dass bei
einem Scheitern auch die Ratifizierung der Ostverträge im deutschen
Bundestag gefährdet sei). Vereinbart wurde u.a. eine Begrenzung der
ABM-Systeme auf zwei für jede Seite, ein "Einfrieren" der
Abschusseinrichtungen für Interkontinentalraketen sowie
Höchstgrenzen für Abschussvorrichtungen auf U-Booten. Die
Verhandlungen sollten im Hinblick auf technische Neuerungen (insb.
Mehrfachsprengköpfe) fortgesetzt werden. Im Oktober 1972 wurde zudem
ein amerikanisch-sowjetischer Handelsvertrag geschlossen; 1973
besuchte Breschnew die USA, beide Seiten vereinbarten künftig
jährliche Gipfelbegegnungen und schlossen ein Abkommen zur
Verhinderung eines Atomkriegs, der die bestehenden
Kommunikationsregeln formalisierte. Auch der Rückzug aus Vietnam
begann, nachdem die Chinesen ihre Hilfslieferungen eingestellt
hatten und das massive Bombardement im Frühjahr 1972 den Norden dazu
bewegt hatte, einem Verbleibs der Regierung im Süden bis zu
Neuwahlen zuzustimmen. Ein entsprechendes Abkommen wurde im Januar
1973 in Paris unterschrieben. (1976 wurde das Land unter der Führung
Nordvietmans als "Sozialistische Republik Vietnam" wiedervereinigt,
Saigon in Ho-Chi-Min-Stadt umbenannt. Die anschließende
"Umerziehung", Hunger und Armut trieben rund 1,6 Millionen Menschen
auf Booten über das Südchinesische Meer in die Flucht – rund 40.000
dieser "boat people" genannten Flüchtlinge wurden von
Deutschland aufgenommen.)
In Europa hatte zudem 1973 Gespräche im Rahmen einer "Konferenz
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", KSZE)
begonnen, an der außer Albanien alle europäischen Staaten, die USA
und Kanada teilnahmen. Dabei ging es um vier, inoffiziell "Körbe"
genannte Themen: Sicherheit in Europa, wirtschaftliche
Zusammenarbeit, humanitäre Zusammenarbeit und Konferenzfolgen. 1975
wurde in Helsinki die Schlussakte von allen Teilnehmern
unterzeichnet. Gleichzeitig laufende Gespräche über eine
Truppenreduzierung in Europa (Mutual and Balanced Force Reductions,
MBFR) blieben dagegen erfolglos, u.a., da es den Europäern nicht
gelang, eine gemeinsame Position zu finden.
1974 kam der Entspannungsprozess wieder ins Stottern: im Mai trat
Willy Brandt nach der Enttarnung des DDR-Spions Günther Guillaume
zurück, im August Richard Nixon, nach im Folge der
"Watergate-Affäre" ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn
eingeleitet wurde. Breschnew verlor damit seine beiden wichtigsten
Partner – und erlitt zudem im November einen Schlaganfall, von dem
er sich nur langsam erholte. Ohne die guten persönlichen Kontakte
litt der Entspannungsprozess an der Stellvertreterpolitik der
Supermächte, die unterdessen wie gewohnt weiterging: Die Amerikaner
stürzten 1973 Salvador Allende in Chile; sie fürchteten nach der
"Nelkenrevolution" von 1974 in Portugal eine kommunistische
Machtübernahme mitten in Europa und mussten zudem nach einer
erneuten Großoffensive Nordvietnams, bei der dieses Saigon eroberte
und das Regime im Süden zusammenbrechen ließ, wenig "ehrenvoll"
Vietnam verlassen (der Krieg hatte in der Summe zwei bis drei
Millionen Tote gefordert, eine halbe Millionen Krüppel und 900.000
Waisen hinterlassen.). Zugleich konnten Kommunisten sich in
Kambodscha und Laos an die Macht bringen. Die Sowjetunion selber
griff 1975/76 in Angola und 1977 in Äthiopien militärisch ein. In
den USA griff zudem der Kongress den Handelsvertrag mit der
Sowjetunion an: die Meistbegünstigungsklausel und zinsgünstige
Kredite sollte auf einmal an die freie Auswanderung jüdischer
Sowjetbürger gekoppelt werden.
Der 1977 neu gewählte Präsident Jimmy Carter trat
mit großen Ambitionen an: statt einer Begrenzung wollte er
eine radikale Reduzierung der Atomwaffen erreichen. Damit stellte
der den Zwischenstand der SALT-Gespräche, die unterdessen
weitergelaufen waren, in Frage. Carter setzte auf die chinesische
Karte: im Dezember 1978 nahm er diplomatische Beziehungen mit China
auf, das 1974 ideologisch mit der Sowjetunion gebrochen hatte –
damit wollte er die Sowjetunion unter Druck setzen. Als China aber
im Februar 1979 im Norden des (1976 wiedervereinigten) Vietnam (das
die Hauptstadt des von China unterstützten Kambodscha erobert hatte)
einmarschierte, ruderte Carter zurück und kontaktierte Breschnew, um
das SALT-II-Paket zu retten. Der im Juni 1979 – gegen
heftigen Widerstand amerikanischer Entspannungsgegner –
unterzeichnete Vertrag brachte kaum eine Reduzierung der atomaren
Rüstung (nur die Sowjetunion musste bis 1.1.1981 350 strategische
Raketen oder Bomber abbauen), aber begrenzte mit Obergrenzen für
strategische Waffensysteme, Mehrfach-Sprengköpfe und
Marschflugkörper pro schwerem Bomber das Wettrüsten. Unterdessen
waren aber jenseits der amerikanischen oder sowjetischen
Einflusssphäre neue Mitspieler in der Weltpolitik aktiv geworden:
die blockfreien Staaten, die "asiatischen Tiger" und die Ölstaaten
im Nahen Osten.
Die Blockfreien und die "asiatischen Tiger"
Im Konflikt zwischen den Großmächten drohten die Interessen anderer
Staaten unterzugehen. Um dem entgegenzusteuern, hatte Indien schon
1947 die Führer asiatischer und arabischer Staaten und
Unabhängigkeitsbewegungen eingeladen; es folgten Konferenzen 1952 in
Ägypten, 1955 in Indonesien und 1961 in Jugoslawien, an denen auch
einige frisch unabhängig gewordene afrikanische Staaten teilnahmen.
1962 geriet die Bewegung in eine Krise, nachdem China im westlich
von Tibet gelegenen, zu Indien gehörigen Ost-Ladakh (chin. Aksai
Chin) einmarschiert war. Aber weitere Konferenzen 1964 in Kairo und
1966 in Havanna retteten die blockfreie Bewegung, 1967 fand
in Algier die erste Konferenz einer "Gruppe der 77" (Staaten) statt,
die sich vor allem gegen die anhaltende wirtschaftliche Abhängigkeit
der ehemaligen Kolonien von den früheren Kolonialstaaten wandten.
Sie nutzte vor allem die Konferenzen der Vereinten Nationen über
Handel und Entwicklung (UNCTAD), um ihre Interessen zu vertreten.
Faktisch erreichten die Blockfreien nicht viel (die
UNCTAD-Ergebnisse waren selten verbindlich), sie wirkten aber der
Blockbildung entgegen.
In Asien nutzte Japan dagegen
die amerikanische Unterstützung nach dem
Zweiten Weltkrieg für eine beschleunigte
Industrialisierung: bereits 1968 übertraf das japanische
Bruttosozialprodukt das Deutschlands, Japan wurde zur zweitgrößten
Wirtschaftsmacht der Welt. Das stärkte auch die japanische Position
gegenüber den USA: 1972 nahm es diplomatische Beziehungen zu China
auf, 1978 schloss es einen Friedens- und Freundschaftsvertrag mit
dem Land. Als der Druck auf bessere Lebensbedingungen in Japan und
damit auf höhere Löhne stieg (und auch, um Handelsbeschränkungen zu
umgehen), begann Japan zunehmen, in anderen Ländern zu investieren.
Davon profitierten u.a. Südkorea
und Taiwan, die aus politischen Gründen ebenfalls
US-amerikanische Unterstützung erhielten, sowie die alten
Handelszentren Hongkong und (das 1965 von Malaysia
abgetrennte) Singapur, die als Stadtstaaten mangels Fläche
auf den Aufbau einer Schwerindustrie verzichteten und gleich auf
hochwertige elektronische Produkte setzten. Politisch waren diese 4
Staaten durchgehend autoritär: In Südkorea blieb General Park Chung
Hee bis 1979 an der Macht, in Taiwan regierte Chiang Kai-shek bis
1975 unter Kriegsrecht (das erst 1987 aufgehoben wurde); in Singapur
regierte Lee Kuan Yew von 1959-1990 als eine Art absoluter Herrscher
und in Hongkong, bis 1997 britische Kronkolonie, hatte die
Bevölkerung wenig Mitspracherecht. Inwieweit die wirtschaftliche
Entwicklung von dieser autoritären Politik profitiert hat, ist bis
heute umstritten.
Der Nahe Osten
Nach dem Zweiten Weltkrieg war mit wachsendem Wohlstand in den
Industrieländern, der sich auch in Ölheizungen, die Kohleöfen
ersetzten, und dem privaten Besitz von Autos zeigte, und dem
gleichzeitigen Rückgang der amerikanischen Ölförderung der Anteil
des Erdöls aus dem Nahen Osten an der Energieversorgung der
Industriestaaten stetig gestiegen. Im Jahr 1973 betrug er schon 38
Prozent, was die Ölförderländer zunehmend selbstbewusst werden ließ
- und auch mit dem Gedanken spielen ließ, die Abhängigkeit des
Westen von ihrem Öl als Waffe zu nutzen. Der Nahostkonflikt
bestand nämlich weiter: 1967 hatte es, nachdem Ägypten den Abzug der
seit der Suez-Krise von 1956 dort
stationierten UN-Truppen vom Sinai erzwungen hatte, mit dem Sechs-Tage-Krieg
einen dritten ägyptisch-israelischen Krieg gegeben, in dem Israel
West-Jordanien und den Sinai besetzen konnte. Um diese Schmach
wieder gut zu machen, griff Nassers Nachfolger Anwar As-Sadat
1973 gemeinsam mit (dem seit 1961 wieder eigenständigen) Syrien
Israel an, um Verhandlungen zu erzwingen. Die Angriffe waren
zunächst erfolgreich, so dass die USA sich entschlossen, Israel
mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Als Reaktion darauf
beschlossen die arabischen Ölminister ein Embargo gegen die USA
und andere Unterstützer Israels. Obwohl nur etwa 10 Prozent des
Ölangebots vom Markt genommen wurden, und auch wenn dank gemeinsamer
amerikanisch-sowjetischer Anstrengungen im Oktober ein
Waffenstillstand vereinbart wurde, vervierfachten sich bis Ende
1973 die Ölpreise: die Ölkrise von 1973 stürzte
die Industriestaaten in eine Rezession, während die Einnahmen der in
der OPEC vereinten Ölförderländer von 33 auf 108 Milliarden Dollar
stiegen. Insbesondere die Länder im Nahen Osten bauten ihre alten
Hauptstädte und Häfen zu ultramodernen Städten aus, die auch viele
ausländische Arbeitskräfte anzogen. Die Versuche der
Industriestaaten, eine gemeinsame Strategie gegen die Folgen der
Ölkrise zu finden, führte zur Bildung der "Group of Seven" (G7),
bei deren regelmäßige Treffen die sieben wichtigsten
Industriestaaten seither ihre Politik koordinieren. Zu einem Bruch
mit den Ölstaaten führte die Ölkrise jedoch nicht, investierten
diese doch ihr neues Geld auch im Westen.
Iran: Vom Schah zur islamischen Republik
Im Iran (und nicht nur dort, 270)
hatte es schon seit den 1960er Jahren zunehmend Proteste gegen den
Schah gegeben, vor allem, weil nur seine schmale Oberschicht und vor
allem die Schah-Familie von den Öleinnahmen profitierte. Auch die
nach 1973 stark wachsenden Öleinnahmen halfen dem Land nicht, weil
der Schah viel Geld unproduktiv für das Militär ausgab und eine
fehlerhafte Bodenreform (das verteilte Land war zu klein und nicht
fruchtbar genug) die Landbevölkerung in die Städte strömen ließ,
vor allem in die Slums von Teheran. Eine korrupte Oberschicht und
eine galoppierende Inflation machten auch der Mittelschicht das
Leben schwer, vor allem, als das Land mit wieder sinkenden Ölpreisen
ab 1976 in eine Rezession rutschte. So bildete sich eine breite
Opposition, in der der bereits 1964 in den Irak verbannte und von
dort im August 1978 nach Paris ausgewiesene Rechtsgelehrte
(Ajatollah) Ruhollah Chomeini eine führende Rolle
übernahm. Am 10. Dezember demonstrierten in Teheran rund eine
Million Menschen gegen den Schah, der daraufhin im Januar 1979 mit
seiner Familie das Land verließ. Am 1. Februar kehrte Chomeini unter
dem Jubel von Millionen Menschen auf den Straßen Teherans aus dem
Exil zurück. Er trieb in den folgenden Monaten die Liberalen und
Linken, die die Opposition mitgetragen hatten, in den Untergrund und
gründete die “Islamische Republik Iran” unter der “Herrschaft des
führenden Rechtsgelehrten” – also von Chomeini selber. Die Wut der
Revolution richtete sich auch gegen die USA, die den Schah
unterstützt hatten: Im November 1979 besetzten militante Studenten
die Botschaft der USA in Teheran; Verhandlungen und ein
militärischer Befreiungsversuch scheiterten, die 52
Botschaftsangehörigen sollten 444 Tage in Geiselhaft bleiben (bevor
sie dann durch erneute Verhandlungen freikamen). Während des
Umsturzes und er anschließenden Unruhen kam die Ölproduktion des
Iran zum Erliegen, damit war der zweitgrößte Lieferant der Welt
ausgefallen: im Laufe der zweiten Ölkrise erreichten die
Ölpreise bis März 1980 das zehnfache des Preises vor der ersten
Ölkrise, wieder kam es zu einer Rezession in den Industriestaaten.
Diesmal begünstigte sie dort, beginnend im besonders von der
Wirtschaftskrise betroffenen Großbritannien [274]
mit der Wahl Margaret Thatchers zur Premierministerin, eine
Hinwendung zu einer "neoliberalen" Wirtschaftspolitik: die Finanzen
sollten durch Einsparungen bei den Tätigkeiten des Staats in Ordnung
gebracht werden, der "freie" Markt sich selbst überlassen bleiben.
Auch der 1980 in den USA zum Präsidenten gewählte Ronald Reagan war
ein Anhänger dieser Politik.
Dass die USA vom Iran nach der "Iranischen Revolution" nicht mehr
als Schutzmacht, sondern als Feind gesehen wurden, verleitete den
Nachbarn Irak unter Saddam Hussein
zum Angriff auf den alten Erzfeind. Der Irak setzte auch
Chemiewaffen ein (hier sehen manche Landeskenner die Geburtsstunde
des iranischen Strebens nach der Atombombe); der Iran antwortete mit
“Menschenwellen”, für die auch Kinder in den Krieg geschickt
wurden. Der irakisch-iranische Krieg sollte erst
nach acht Jahren und einer Millionen Toten mit einem Patt enden.
Nachrüstung und Friedensbewegung
Die Besetzung der Botschaft in Teheran waren ein traumatisches
Erlebnis für die USA, und verstärkten die Kritik an SALT II. Zwar
waren die islamischen Fundamentalisten sicher nicht von der
Sowjetunion gesteuert (die die iranische Revolution zwar anfänglich
als antiimperialistischen Kampf unterstützte, aber später ein
Übergreifen auf die islamisch geprägten Republiken im Süden der
Sowjetunion fürchtete), ließen sich aber bestens nutzen, Stimmung
gegen die Abrüstung zu machen. Zu den Kritikern gehörte aber auch
Willy Brandts Nachfolger Helmut Schmidt: er fürchtete, dass
eine strategische Parität die amerikanische Drohung, Europa im
Falle eines sowjetischen Angriffs atomar zu verteidigen,
unglaubwürdig mache, zumal die Sowjetunion seit 1977 ältere Mittelstreckenraketen
durch moderne des Typs SS 20 ersetzte. Schmidt sah hierin
eine "Erstschlagskapazität" – die Sowjetunion könne mit den
SS-20-Raketen Bodentruppen, Luftwaffe und die in Europa
stationierten Atomwaffen allesamt ausschalten. Angesichts
amerikanischer Atom-U-Boote und atombestückter englischer und
französischer Kampfflugzeuge, die in den Abrüstungsverhandlungen
nicht betrachtet wurden, aber eine europäische Antwortmöglichkeit
auf einen sowjetischen Angriff sicherstellten, konnte Breschnew
offenbar Schmidts Sorgen nicht verstehen, woraufhin sich Amerikaner
und Europäer Anfang 1979 auf eine "Nachrüstung" genannte
Stationierung von 464 vom Radar nicht zu erfassender "Cruise-Missile"-Marschflugkörper
und 108 "Pershing II"-Raketen in Europa einigten.
Damit hätte Europa ebenfalls eine Erstschlagskapazität erhalten –
aus Sicht der Sowjetunion sorgten die Pläne für eine Verschiebung
des Gleichgewichts: es machte für sie keinen Unterschied, ob
Raketen, die die Sowjetunion trafen, von amerikanischem oder
europäischen Boden abgefeuert würden. Das konnten auch in
Westeuropa viele nachvollziehen, weshalb der Beschluss nur
umgesetzt werden sollte, falls Verhandlungen über die Begrenzung der
"eurostrategischen Rüstung" scheiterten.
Der Krieg in
Afghanistan und seine Folgen
Unterdessen hatte die Sowjetunion ihre eigenen Probleme mit
islamischen Aufständen. Im bitterarmen und geopolitisch eigentlich
unbedeutenden Nachbarland Afghanistan war 1978
nach einem Militärputsch eine Gruppe moskautreuer Kommunisten an
der Macht gelangt. Deren Modernisierungsprogramm wurde aber von den
traditionellen islamischen Kräften im Land abgelehnt. Es kam zu
Aufständen, und im Dezember 1979 entschied sich die Sowjetunion –
gegen starke Bedenken, da ein Guerillakrieg im bergigen Afghanistan
kaum zu gewinnen war, aber auch wegen der Gefährdung der
Entspannungspolitik – für ein Eingreifen: die Sowjetunion hat wohl
auch gefürchtet, dass die islamischen Aufstände auf angrenzende
Sowjetrepubliken überspringen könnten und/oder der Westen sich nach
dem Verlust des Iran verstärkt in Afghanistan engagieren könne.
Weihnachten 1979 besetzten sowjetische Truppen Kabul, und kurz
darauf waren 85.000 sowjetische Soldaten im Land verteilt. Der
Westen fürchtete, der Einmarsch in Afghanistan könnte nur der erste
Schritt der Sowjetunion auf dem Weg zu den Ölquellen am indischen
Ozean sein; US-Präsident Jimmy Carter reagierte massiv. Er setzte
die Ratifizierung von SALT II im US-Senat aus; erhöhte die
Verteidigungsausgaben stark und unterstützte heimlich die
islamischen “heiligen Krieger” (Mudschaheddin) in
Afghanistan. Auch stoppte er Getreidelieferungen und den Export von
"High-Tech"-Produkten in die Sowjetunion. Die Amerikaner und der
Westen standen nicht allein, auch die islamischen Staaten und
viele Entwicklungsländer verurteilten den Einmarsch; zahlreiche
Länder von Kanada bis China, vom Iran bis Argentinien boykottierten
die Olympischen Spiele in Moskau 1980. Trotzt seines Engagements
verlor Carter 1980 die Präsidentschaftswahlen gegen Ronald
Reagan, die die Wiederherstellung amerikanischer
Überlegenheit versprach.
Reagan verstärkte die schon unter Carter über die CIA begonnene
Unterstützung der als "Freedom Fighters" gesehenen islamischen
Kämpfer. Diese wurden von einigen tausend radikalen Moslems vor
allem aus arabischen Staaten unterstützt, die von wohlhabenden
Fundamentalisten wie dem Saudi Osama bin Laden finanziert
und in den Flüchtlingslagern in Pakistan ausgebildet wurden. Waffen
für die islamischen Kämpfer lieferte verdeckt auch der Westen, den
Transport nach Afghanistan organisierte der pakistanische
Geheimdienst. Ab 1985 lieferten die Amerikaner den Mudschaheddin
sogar hochmoderne mobile "Stinger"-Flugabwehrraketen. Der Krieg in
Afghanistan wurde ein barbarischer Krieg, in dem die Sowjets gezielt
ganze Dörfer ausrotteten, dennoch wurde er – wie die Kritiker von
Anfang an befürchtet und die Amerikaner gehofft hatten – für die
Sowjetunion zum Desaster: sie musste 1988 sieglos abziehen. Bei 15
Millionen Einwohnern starben in dem Krieg 1 bis 1,5 Millionen
Menschen – 7 bis 10 Prozent der Bevölkerung –; fünf Millionen
Menschen flohen (vor allem nach Pakistan). Ähnlich wie der
Vietnamkrieg den Amerikanern ihre Grenzen in einem Guerillakrieg
aufgezeigt hatte, verlor mit dem Scheitern in Afghanistan auch die
Rote Armee viel von ihrem Ansehen. Der Krieg war mit dem Abzug der
Sowjetunion aber nicht zu Ende, sondern ging als Bürgerkrieg weiter:
die von der Sowjetunion eingesetzte Regierung wurde von den
Mudschaheddin weiterhin bekämpft.
Friedensbewegung
Unter Ronald Reagan stiegen die amerikanischen
Verteidigungsausgaben von 1981 bis 1985 um mehr als die Hälfte. Die
USA strebten an, "Enthauptungsschläge" gegen die Sowjetunion führen
zu können und kündigten eine "horizontale Eskalation" – eine
Ausweitung auf andere Regionen – im Konfliktfall an. Verhandlungen
über eine Rüstungsbegrenzung – auch nicht bei der
"eurostrategischen Rüstung" – gab es nicht mehr. Die neuen
amerikanischen Töne und der Krieg in Afghanistan [280]
ließen sowohl in den USA als auch in Europa eine Friedensbewegung
entstehen; alleine in Westdeutschland demonstrierten am 10. Oktober
1981 rund 300.000 Menschen gegen die "Nachrüstung" [282].
Die Proteste zwangen die Amerikaner zurück an den
Verhandlungstisch, aber die Ergebnisse wurden weder in den USA noch
in der Sowjetunion akzeptiert. Die Sowjetunion achtete jetzt
sorgsam darauf, die öffentliche Meinung im Westen nicht gegen sich
aufzubringen, so konnte nach Massenstreiks 1980 in Polen mit der Solidarność
eine unabhängige Gewerkschaft entstehen [290],
der sich bis Ende des Jahres acht Millionen Mitglieder anschlossen;
und selbst ein Hilferuf von Ministerpräsident Jaruzelski führten
nicht zu einem militärischen Eingreifen (Solidarność wurde dann im
Dezember 1981 nach Verhängung des Kriegsrechts von Jaruzelski ohne
Hilfe aus der Sowjetunion verboten und tausende ihrer führenden
Mitglieder verhaftet).
1982 starb Leonid Breschnew. Sein Nachfolger Juri Andropow
bot an, die Zahl der SS-20-Raketen auf 162 – der Zahl der britischen
und französischen Raketen – zu begrenzen. In den Verhandlungen
reduzierte er die Zahl noch weiter, eine Erstschlagfähigkeit (die
Begründung der "Nachrüstung") war damit nicht mehr gegeben. Das
hätte aber auch ein Ende der gerade begonnenen Ausstattung der
britischen und französischen Raketen mit Mehrfachsprengköpfen
bedeutet, auch Frankreichs Präsident François Mitterand
bestand nun auf der Nachrüstung, und auch die seit 1982 in
Deutschland regierende christliberale Koalition unter Helmut
Kohl stimmte im November 1982 für die "Nachrüstung". Die
Sowjetunion brach daraufhin die Verhandlungen ab, und Reagan legte
noch einen Zahn zu: im Frühjahr 1983 erklärte er, dass die
Sowjetunion über ein "Reich des Bösen" herrsche und kündigte ein
weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem (Strategic Defense
Initiative – SDI) an, mit dem die USA sowjetische Raketen
bereits in der Startphase zerstören wollten. Das wäre das Ende des
alten Abschreckungssystems gewesen: mit ihm könnte man an einen
Erstschlag denken, ohne einen Vergeltungsschlag befürchten zu
müssen.
Das Ende des kalten Kriegs – und der Sowjetunion
Aber auch in den USA hielten viele SDI für Science Fiction,
die astronomischen Kosten riefen Widerstand hervor; in Deutschland
erhielt die Friedensbewegung mit dem Einzug der GRÜNEN in den
Bundestag eine parlamentarische Stimme. Reagan, der wiedergewählt
werden wollte, machte daher der Sowjetunion Anfang 1984 ein neues
Gesprächsangebot. Im Februar starb Juri Andropow, sein Nachfolger
Tschernenko zögerte zunächst, um dem ungeliebten Reagan nicht im
Wahlkampf zu helfen, stimmte aber zu, nachdem Reagans Wiederwahl
absehbar geworden war. Die Verhandlungen sollte Anfang 1985, in
Reagans zweiter Amtszeit, beginnen. Zwei Tage vor Beginn der
Verhandlungen starb der schon bei Amtsantritt kranke Tschernenko.
Sein Nachfolger wurde Michael Gorbatschow.
Gorbatschow sah deutlich die schwierige Lage der Sowjetunion und
propagierte "Glasnost" (Offenheit) anstelle
ideologischen Selbstbetrugs und "Perestroika"
(Umgestaltung), um einen besseren Sozialismus aufzubauen. Er wollte
den auch in der Sowjetunion unpopulären Krieg in Afghanistan
beenden, den er ebenso wie das Wettrüsten als Hindernis auf diesem
Weg betrachtete. Als Ronald Reagan ihn für November 1985 zu einer
persönlichen Begegnung in Genf einlud, bot er daher als
Gegenleistung für einen Verzicht auf weltraumgestützte Waffen die
Halbierung der strategischen Atomwaffen an. Auch über die
eurostrategischen Raketen wollte er verhandeln und baute die
SS-20-Raketen wieder ab, die die Sowjetunion nach der westlichen
"Nachrüstung" zusätzlich aufgestellt hatte. Reagan war nicht
bereit, auf seine SDI zu verzichten, verpflichtete sich bei dem
Treffen in Genf aber, "keine militärische Überlegenheit anzustreben"
– eine Abkehr von seinen früheren Zielen. Gorbatschow legte weiter
nach, bis die USA fast zustimmen mussten: bei einem neuen Treffen in
Reykjavik im Oktober 1986 wurde ein Abkommen verhandelt, das eine
Halbierung der strategischen Atomwaffen in fünf Jahren vorsah und
die Abschaffung aller amerikanischen und sowjetischen
Mittelstreckenraketen in Europa. In zehn Jahren sollten alle
Atomwaffen abgeschafft werden. Aber als Gorbatschow die SDI
ansprach, brach Reagan die Gespräche ab. Um das Abkommen zu retten,
kündigte Gorbatschow im Februar 1987 den einseitigen Abzug der
sowjetischen Mittelstreckenraketen an; und tatsächlich kamen die
Verhandlungen wieder in Gang.
Als einige NATO-Strategen dort versuchten, ein Recht zur
Aufstellung von Raketen kurzer Reichweite zu erhalten, bot
Gorbatschow kurzerhand an, die verbleibenden sowjetischen Raketen
kurzer Reichweite zu vernichten: im Dezember 1987 unterzeichneten
Reagan und Gorbatschow einen Vertrag, in dem die Vernichtung der
Mittelstreckenwaffen und die Halbierung der strategischen
Offensivwaffen vereinbart wurde. Gorbatschow kündigte zudem im
Februar 1988 den Beginn des Anzugs der sowjetischen Truppen aus
Afghanistan an, der bis Februar 1989 auch umgesetzt wurde. Er setzte
auch durch, dass bei den Wahlen für den Kongress der
Volksdeputierten 1.500 Abgeordnete direkt und personenbezogen
gewählt wurden, nur noch 750 Abgeordnete wurden durch
"gesellschaftliche Organisationen" delegiert. Und er erklärte, dass
jedes sozialistische Land die Freiheit habe, seinen “eigenen Weg” zu
gehen. China zeigte auf seine Weise, was es davon hielt, und schoss
in der Nacht des 3. Juni 1989 eine Demonstration auf dem Platz des
Himmlischen Friedens in Peking zusammen. Im Ostblock wurden die
neuen Freiheiten aber genutzt: in Polen kam im September 1989 eine
von der (nach Jahren im Untergrund erst im April wieder
zugelassenen) Solidarność angeführte Allparteienregierung an die
Macht (und im Dezember 1990 wurde der ehemalige
Solidarność-Vorsitzende Lech Wałęsa zum Staatspräsidenten gewählt);
Ungarn gestattete DDR-Bürgern den Grenzübergang nach Österreich, was
über 25.000 DDR-Bürger zur Ausreise nutzten – und als die DDR Reisen
nach Ungarn verbat, begannen im Oktober Demonstrationen nicht nur
für Reisefreiheit, sondern auch für Reformen in der DDR. Militär und
Staatssicherheit schritten nicht ein, und am 9. November wurde ein
neues Reisegesetz beschlossen, das DDR-Bürgern freies Reisen
erlauben sollte. Als (das bei der Sitzung nicht anwesende)
Politbüro-Mitglied Günther Schabowski auf einer Pressekonferenz am
selben Abend fälschlich verkündete, die neue Regelung gelte seines
Wissen nach "sofort, unverzüglich", stürmten sofort zehntausende
DDR-Bürger die Grenzübergänge. Nach dem "Mauerfall" brach das
kommunistische Monopol im ganzen Ostblock zusammen: in Bulgarien
wurde der Staats- und Parteichef von Gorbatschow-Anhängern gestürzt
und freie Wahlen angekündigt, in der Tschechoslowakei wurde der
Dissident Václav Havel zum Staatspräsidenten gewählt, in
Rumänien Alleinherrscher Ceaușescu aus seinem Palast gejagt (und
auf der Flucht gefangen genommen und von einem
Hinrichtungskommando erschossen). In Georgien, der Ukraine und in
Litauen wurde für die Unabhängigkeit demonstriert.
Unterdessen waren in bis Jahresende schon 120.000 Menschen aus der
DDR in die Bundesrepublik gegangen, bei einem Besuch Helmut Kohls in
Dresden forderte eine riesige Menschenmenge die staatliche Einheit
Deutschlands. Gorbatschow wollte anfänglich wenigstens verhindern,
dass als Ergebnis die NATO sich bis an die Oder ausdehnte, sagte
aber im Mai zu, dass Deutschland selber entscheiden solle, welchem
Bündnis es angehörte. US-Präsident Bush und Helmut Kohl setzen im
Juli 1990 bei einem NATO-Gipfeltreffen Beschlüsse durch, die den
sowjetischen Vorstellungen von einem gemeinsamen Sicherheitssystem
entgegenkamen, und im Anschluss handelten Gorbatschow und Kohl die
Einzelheiten der deutschen Einheit aus. Am 3. Oktober 1990 trat
die DDR der Bundesrepublik Deutschland bei. Michael
Gorbatschow erhielt für seinen Beitrag zum Ende des Kalten Kriegs
1990 den Friedensnobelpreis. Auf einem KSZE-Gipfeltreffen am
20. November 1990 wurde ein "Vertrag über konventionelle
Streitkräfte in Europa" unterzeichnet, was zur Verschrottung
von über 50.000 Waffensystemen führte. Im Juli 1991 unterzeichneten
Bush und Gorbatschow dann den START-Vertrag über die Halbierung der
strategischen Rüstung. Unterdessen hatte der Zerfall der
Sowjetunion begonnen. Bereits 1990 hatten Litauen, Lettland und
Estland ihren Austritt aus der Union erklärt, die Russische
Föderation und die Ukraine sich für "souverän" erklärt (ohne aus der
Union auszutreten). Die Wirtschaftsreformen hatten zu
Versorgungsengpässen geführt, aufgrund der Rechtsunsicherheit kam
es kaum zu strategischen Investitionen. Die Probleme kosteten
Gorbatschow viel Rückhalt im Land. Um die Union zu retten, wollte
Gorbatschow mit den verbleibenden Republiken einen neuen Vertrag
schließen, der ihnen deutlich mehr Macht gab. Aber am Tag vor der
geplanten Unterzeichnung am 20. August 1991 gab es einen
Putschversuch durch konservative Kräfte im Politbüro, im
Geheimdienst und im Militär, Gorbatschow wurde in seinem
Urlaubsdomizil auf der Krim festgesetzt. Der Präsident der
Russischen Föderation, Boris Jelzin, rief zum Widerstand
gegen den Putsch auf, und Hunderttausende Bürger versammelten sich
vor dem Parlament, um Jelzin und die Abgeordneten zu schützen. Der
Putsch scheiterte, das Ende der Sowjetunion war aber nicht
aufzuhalten: im Dezember kündigten Jelzin und die Präsidenten von
Weißrussland (Belarus) und der Ukraine die Auflösung der Sowjetunion
an. Gorbatschow verabschiedete sich am 25.12.1991 in einer
Fernsehrede als Staatspräsident.
Eine globale Umweltbewegung
Unterdessen hatte sich das tägliche Leben der Menschen vor allem in
den westlichen Industriestaaten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten
Weltkrieg deutlich verändert, der materielle Wohlstand war
unübersehbar geworden: Haushaltsgeräte wie Kühlschränke und
Waschmaschinen waren in den meisten Wohnungen anzutreffen, moderne
Ölheizungen hatten die Kohleöfen abgelöst und private Autos füllten
die Straßen. Die schnell wachsende Industrieproduktion hatte aber
ihren Preis, vor allen in den Industriegebieten wie dem "Black Belt"
in Mittelengland, im Ruhrgebiet oder an den Großen Seen in den USA
war die Luftverschmutzung
unübersehbar. Lange wurde sie ebenso wie verdreckte
Gewässer und in der Landschaft verstreute
Abfälle als Preis für den wirtschaftlichen Wohlstand
hingenommen, aber in den 1960er Jahren kamen überall auf der Welt
erste Zweifel auf. Bereits nach dem "Great Smog" von 1952, der in
London 4.000 Menschen das Leben gekostet hatten, waren dort
Kohlefeuerungen streng reguliert worden, 1961 hatte Kanzlerkandidat
Willy Brandt gefordert, der "Himmel über der Ruhr (müsse) wieder
blau werden." 1966 erinnerte ein Smogalarm zu Thanksgiving
die New Yorker an den Londoner Smog, und als es 1969 vor der
kalifornischen Küste zu einer Ölpest kam, und zum wiederholten Mal
der durch Öl und brennbare Chemieabfälle verschmutze Cuyahoga-River
in Brand geriet, demonstrierten am 20. April 1970, der zum Earth
Day ausgerufen wurde, rund 20 Millionen Amerikaner für
mehr Umweltschutz. Auch in Deutschland entstanden
Bürgerinitiativen für mehr Umweltschutz. Rückenwind erhielt die
junge Umweltbewegung 1972 durch das Buch "Grenzen des Wachstums"
des Club of Rome, eine von dem italienischen Industriellen Aurelio
Peccei gegründete Vereinigung, die sich mit den Zukunftsfragen der
Menschheit beschäftigte. Der Bericht beruhte auf frühen, am Massachusetts
Institute of Technology (MIT) durchgeführten
Computersimulationen, in denen Szenarien der künftigen Entwicklung
der Menschheit durchgespielt wurden. Zentrales Ergebnis: die
Menschheit werde in den nächsten 100 Jahren an absolute
Wachstumsgrenzen durch Erschöpfung von Rohstoffen oder eine
lebensbedrohende Umweltverschmutzung stoßen.
Durch die Ölkrisen 1973 und 1979 erhielt der Bericht große
Aufmerksamkeit; es war unübersehbar, wie abhängig die
Industriegesellschaften von der Versorgung mit Rohstoffen geworden
waren. Zugleich richteten sich die auch aus der Friedensbewegung
gespeisten Bürgerinitiativen für Umweltschutz zunehmend gegen die
von den Regierungen als Alternative gesehene Atomkraft:
wer aufgrund der Gefahren radioaktiver Strahlung gegen Atomtests in
der Atmosphäre war, hatte auch bei der friedlichen Nutzung
Bedenken, und als sich in den USA herausstellte, dass die
Notkühlsysteme der Atomkraftwerke nicht für jeden Störfall
ausreichten, geriet die Atomkraft in den Blick der Umweltschützer.
In Europa gab es 1971 im elsässischen Fessenheim die ersten
Demonstrationen gegen ein Atomkraftwerk; in Deutschland begann die
Bewegung mit der Besetzung des Bauplatzes für ein Atomkraftwerk im
badischen Whyl. (1976 fanden im benachbarten Sasbach die ersten
badisch-elsässischen „Sonnentage“ statt, die die Möglichkeiten
„alternativer Energien“ vorstellten.) Im März 1979 kam es im
US-amerkanischen Atomkraftwerk Three Mile Island bei
Harrisburg zu einem schweren
Unfall, bei dem der Reaktorkern teilweise schmolz: er zeigte
der Welt, dass der von Kritikern gefürchtete Super-GAU doch nicht so
unwahrscheinlich war, wie die Industrie-Experten sagten. In den USA
gilt der Unfall als "turning point", der den Ausbau der
Atomkraft stark einschränkte, in Bonn demonstrierten im Oktober
1979 100.000 Menschen gegen die Atomkraft; 1980 gründeten sich DIE
GRÜNEN (die 1983 in den Bundestag einzogen und sogleich "die
sofortige Stilllegung von Atomkraftanlagen in der Bundesrepublik
Deutschland" forderten). Nach dem Chemieunfall im italienischen Seveso
1976 gerieten auch Dioxine und andere Gifte aus der
(insbesondere Chlor-)Chemie ins Fadenkreuz der Umweltschützer; ab
1981 bestimmte in Deutschland vor allem die Furcht vor einem Waldsterben
infolge des "Sauren Regens" (der durch die Reaktion von
Schwefeldioxid in Abgasen mit Wassertröpfchen in der Luft zu
Schwefelsäure entstand) die Aktivitäten der Umweltbewegung. Die
Politik reagierte mit einer Verordnung, deren Grenzwerte nur mit
Entschwefelungsanlagen für die Abgase von Kohlekraftwerken
einzuhalten waren. Die daraus folgende drastische Verringerung der
Schwefel-Emissionen ist einer der großen Erfolge der Umweltbewegung.
Da mittlerweile auch die anderen Gesetze zur Luftreinhaltung, zum
Schutz der Gewässer und zur sicheren Deponierung von Abfällen
Wirkung zeigten, schien die Umweltbewegung vielen mittlerweile
überflüssig – bis zur Reaktorkatastrophe
von Tschernobyl im Jahr 1986: Hier kam es
tatsächlich zu einer Explosion des Reaktors, eine über Skandinavien
und Mitteleuropa ziehende radioaktive Wolke schürte die Krebsangst;
die Auseinandersetzung um die Atomkraft nahm wieder an Schärfe zu.
Im bayerischen Wackersdorf, wo eine "Wiederaufbereitungsanlage" für
den deutschen Atommüll gebaut werden sollte, kam es mehrfach zu
Zuständen, die an einen Bürgerkrieg erinnerten. Selbst in Japan
lehnte erstmals eine Mehrheit der Bevölkerung in Umfragen die
Atomkraft ab. Gravierend waren die Folgen in und für die
Sowjetunion: hatte die Atomenergie dort als Inbegriff der
„wissenschaftlich-technischen Revolution“ gegolten, mit der die
staatliche Planwirtschaft begründet wurde, hatte sich nun gezeigt,
dass ohne Gorbatschows „Glasnost“ (Transparenz) selbst die
Parteiführung das Ausmaß der Katastrophe nicht kannte und daher auch
kein effektives Krisenmanagement betreiben konnte. Nicht nur die
Widerstände gegen „Glasnost“ schwanden, auch andere Megaprojekte
wurden jetzt kritisch diskutiert. Gorbatschow beerdigte etwa den
Dawydow-Plan, nach dem die Flüsse Onega, Ob und Irtysch nach
Zentralasien umgeleitet werden sollten. Umweltthemen wurden auch in
der DDR zum Kristallisationskern der Opposition, die kirchliche
Aktion „Mobil ohne Auto“ fand viele Anhänger. 1988 erschien in
Wittenberg Michael Beleites Dokumentation über die Auswirkungen des
Uranabbaus in Sachsen und Thüringen. Im gleichen Jahr wurde in
Estland eine Grüne Bewegung gegründet, 1989 entstand eine grüne
Partei in der zerfallenden Sowjetunion. (Nach dem Ende der DDR
sollten die horrenden Zustände etwa in der Industrieregion um
Bitterfeld zeigen, dass die Umweltsituation nicht nur in
kapitalistischen Ländern, sondern im Osten sogar noch viel länger
vernachlässigt wurde.)
Im Jahr 1988, dem bis dahin wärmsten Jahr seit Beginn der
Klimaaufzeichnungen, warnte in den USA der NASA-Wissenschaftler
James Hansen vor einem Senatsausschuss vor einem Treibhauseffekt,
"der unser Klima bereits heute beeinflusst". Damit brachte er ein
Thema an die Öffentlichkeit, dass die Fachwelt bereits seit
einigen Jahren beschäftigte: den Klimawandel.
Die Vereinten Nationen und die WMO riefen gemeinsam den
UN-Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change,
abgekürzt IPCC) ins Leben.
Dieser sollte regelmäßig den Stand der Forschung zu einem möglichen
Klimawandel zusammenfassen, 1990 erschien sein erster Bericht. Darin
wurde festgestellt, dass der Mensch durch die Freisetzung von
Treibhausgasen die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert und
damit in den natürlichen Treibhauseffekt der Erde eingreift, wodurch
sich die Durchschnittstemperatur der Erde erhöht. Durch den weiter
anhaltenden Ausstoß von Treibhausgasen werde diese Erwärmung
weitergehen. Damit hatte die Umweltbewegung, die nach dem
Zusammenbruch des Kommunismus als Einzige eine Vision von einer Welt
jenseits eines ungezügelten Kapitalismus hatte, ein neues Thema;
überall auf der Welt entstanden Umweltverbände, die als „NGO“
(engl. Non-Governmental Organization,
Nichtregierungsorganisation) eine zunehmende Rolle spielen sollten.
(Zu den Verlierern dieser Ereignisse gehörten vorübergehend die
westdeutschen GRÜNEN, die mit ihrem von den Sorgen um den
Klimawandel inspirierten Slogan „Alle reden von Deutschland. Wir
reden vom Wetter“ 1990 aus dem Bundestag flogen. Die ostdeutsche
Grüne Partei konnte aber acht Mandate erringen; am Tag nach der Wahl
fusionierten ost- und westdeutsche GRÜNE.)
Weiter mit:
Übersicht "Das
Zeitalter der Industrie"
Übersicht "Strategien
für die Zukunft"